Kreis Lörrach „Rückwirkende Gebühr nicht zulässig“

Michael Werndorff
Die blaue Tonne war bisher kostenlos. Jetzt soll der Bürger dafür zahlen. Foto: Archiv

Abfallwirtschaft: Landrätin erwägt, rückwirkende Forderung überprüfen zu lassen. Diskussionsbedarf der Fraktionen.

Kreis Lörrach - Leserbriefe und Anrufe erzürnter Bürger zeigen: Die rückwirkende Erhebung der Gebühr für die blaue Tonne erhitzt die Gemüter. Die Vorsitzenden der Fraktionen im Kreistag sehen Diskussionsbedarf im zuständigen Ausschuss, wie bei Nachfrage unserer Zeitung deutlich wurde. Laut Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist die rückwirkende Gebühr unzulässig.

Im Februar dieses Jahres hat unsere Zeitung erstmals berichtet, dass die Entsorgungsunternehmen Remondis und Kühl für die im Jahr 2006 eingeführte blaue Tonne eine Jahresgebühr erheben werden. Der Grund: Das Geschäft mit dem Altpapier läuft schlecht. Der Altpapierpreis sei stark gesunken, hieß es bereits im Februar im zuständigen Betriebsausschuss des Kreistags. Zuvor deckten die Verkaufserlöse die Kosten von Sammlung, Sortierung und Transport, wie aus dem dieser Tage versandten Schreiben an die Bürger im Landkreis hervorgeht.

Die privatwirtschaftlichen Unternehmen stünden vor einem branchenweiten Problem, verwies im Februar Remondis-Pressesprecher Michael Schneider auf Absatzprobleme und verschärfte Importbeschränkungen seitens China.

Nun melden sich vermehrt Bürger zu Wort, die das Vorgehen sowie die Informationspolitik von Landkreis, Remondis und Kühl kritisieren.

Stellungnahmen

Bei den Fraktionen im Kreistag sieht man Diskussionsbedarf, wie Stellungnahmen der Vorsitzenden zeigen.

„Vom Grundsatz her haben wir die Gebührenfreiheit bei Altpapier und Verpackungen als elementar in unserer Abfallwirtschaft gesehen. Wenn jetzt der Preis der Wiederverwertbarkeit von Altpapier gesunken ist und damit die Wirtschaftlichkeit infrage steht, hätten wir uns eine Debatte und nicht nur in eine Information in den zuständigen Gremien gewünscht“, moniert Klaus Eberhardt (SPD).

Diskussionsbedarf

Eine Diskussion im zuständigen Gremium des Kreistags sei jetzt mehr als angebracht, was auch die anderen Fraktionen so sehen. „Allerdings haben wir wenig Hoffnung, dass etwas Besseres dabei herauskommt“, teilt Bernd Martin für die Grünen mit. Das Thema auf die Agenda heben will auch die CDU, insbesondere mit Blick auf die Frage, wie Vereine, die sich aufgrund sinkender Altpapiermengen aus der Sammlung zurückgezogen haben, wieder aktiviert werden können. „Das war für viele Vereine eine gute Einnahmemöglichkeit und außerdem nachhaltig“, ist von Eberhardt in diesem Zusammenhang zu erfahren. „Wir werden uns sicherlich auch mit künftig wieder verstärkt auf den Recyclinghöfen angelieferten Papier- und Kartonagemengen befassen müssen“, meint CDU-Fraktionschef Paul Renz.

In Zukunft unumgänglich

„Stellenweise Kompromisse und weitere Entscheidungen bezüglich des Vorgehens von Kühl und Remondis werden von uns als dringend notwendig erachtet“, macht Manuel Karcher (FDP) deutlich. Indes sei eine Gebührenpflicht für die blaue Tonne mit Sicherheit in Zukunft unumgänglich. „Die Entsorgungskosten steigen mit dem zunehmenden Anteil an Karton und Papier. Die großen Mengen stehen oftmals zusätzlich neben den Papiertonnen, das ist in vielen Straßen keine Seltenheit mehr.“

Die Marktsituation habe sich erheblich verschlechtert, weiß auch der CDU-Chef. „Die Erlöse für Altpapier und Kartonage sind eingebrochen. „Die Alternative einer gebührenpflichtigen Tonne wäre wohl der Rückzug der Unternehmen aus der Papier- und Kartonsammlung mit der Folge, dass diese Abfälle wieder dem Landkreis, über Vereinssammlungen und Recyclinghöfe, angedient werden. Die dadurch entstehenden Kosten bei der Abfallwirtschaft würden ebenfalls Mehrkosten verursachen und zu einer Erhöhung der Jahresgebühr führen“, sagt Renz.

Dass die Bürger die Wahl hätten, die blaue Tonne abzubestellen, betont Wolfgang Fuhl (AfD). „Da der Landkreis auf den Recyclinghöfen entsprechende Sammelcontainer bereithält, ist dies auch möglich.“ Und weiter: Kühl und Remondis seien Privatunternehmen, die mit der blauen Tonne Gewinne erzielen müssten. „Nur so lassen sich diese Arbeitsplätze sichern.“ Fuhl ist zudem überzeugt, dass diskutiert werden müsse, ab welchen Kosten die Verbrennung zur Energiegewinnung sinnvoller als das Recycling wird.

Rosinenpickerei

Deutliche Kritik kommt von den Grünen. So erklärt Bernd Martin: „An diesem Beispiel zeigt sich wieder einmal, dass private Unternehmen es nicht besser können als der Eigenbetrieb des Landkreises. Ganz im Gegenteil: Die Privaten picken sich die Rosinen heraus, und wenn die Erträge daraus nicht so sprudeln, werden die Bürger zur Kasse gebeten. Die Gewinne der Jahre zuvor seit 2006 sind privatisiert worden. Der Eigenbetrieb Abfallwirtschaft hätte die Erlöse aus dem Verkauf von Papier und Pappe zur Gebührensenkung verwendet. Wir Grüne waren dafür, als der Landkreis 2014 versucht hat, eine kommunale blaue Tonne einzuführen. Es fand sich jedoch kein Anbieter“, blickt Martin zurück. Würde er es zum jetzigen Zeitpunkt machen, wäre dies mit erheblichen Kosten verbunden und für die Bürger auch nicht günstiger, heißt es von Ulrich May (FW).

Dass Remondis und Kühl die Gebühr rückwirkend erheben, komme überraschend und sei für die Bürger ärgerlich, weiß Eberhardt. Die FDP lehnt die rückwirkende Erhebung klar ab, teilt Karcher mit. „Nach meinem Rechtsempfinden müsste dann, wenn für eine Leistung ein Entgelt verlangt wird, dies vor Durchführung deutlich kommuniziert werden. Da dies nicht geschehen ist, sollte in diesem Jahr nur die halbe Jahresgebühr erhoben werden“, so May. Und was sagt Landrätin Marion Dammann zur Angelegenheit? „Die Papiertonne ist im Landkreis Lörrach privatwirtschaftlich organisiert. Wie die Unternehmen ihre Entgelte erheben, darauf haben wir als Landkreis keinen Einfluss. Was uns mitgeteilt wurde, ist, dass die Entsorgungsunternehmen für die Leerung der Papiertonne künftig eine Jahrespauschale erheben wollen, da die Papiersammlung schon seit vergangenem Jahr für die Entsorger ein Verlustgeschäft darstellt. Weitere Details wurden an uns nicht kommuniziert.“ Dass dieses Entgelt nun rückwirkend erhoben werden soll, sei der Landrätin nicht bekannt gewesen, und es erscheine ihr aus Kundensicht angezeigt, diese Vorgehensweise überprüfen zu lassen.

Leser unserer Zeitung erhoben den Vorwurf, dass sich das Landratsamt beziehungsweise der Eigenbetrieb Abfallwirtschaft mit dem Schreiben, das eine Einzugsermächtigung der beiden Unternehmen enthielt, vor den Karren der Privatwirtschaft spannen ließ. Für Eberhardt stellt sich die Frage, ob es Aufgabe des Eigenbetriebs sei, die Einzugsermächtigung des privaten Betreibers dem jetzt erfolgten Informationsschreiben beizufügen. „Letzteres wirft Fragen auf.“

Widerspruch einlegen

Dass auch in Sachen Gebühr das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, zeigt die Stellungnahme der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Im Gespräch mit unserer Zeitung macht Gabriele Bernhardt nach Prüfung des Schreibens des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft deutlich, dass die rückwirkende Erhebung nicht zulässig sei. Ein privatrechtliches Unternehmen dürfe nicht so einfach rückwirkend seine Preise verändern.

„Außer dies ist korrekt in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt, was hier aber nicht der Fall ist. Der Verbraucher hat nun zum einen die Möglichkeit, einen Widerspruch an den Landkreis zu schicken, der immerhin die Vertragsänderung der privatrechtlichen Unternehmen als Anlage zu einer Information des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft verschickt hat. Zum anderen kann er gegenüber dem Unternehmer eine rückwirkende Zahlungsverpflichtung zurückzuweisen und nur die Gebühr ab August zahlen.“

Darüber hinaus könnten sich die Bürger direkt bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg beschweren, teilt Bernhardt mit.

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