Kreis Lörrach Schlummernde Potenziale wecken

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Von der Hilfskraft zum Facharbeiter: Weiterqualifizierung ist ein wichtiger Baustein, um den sich zuspitzenden Fachkräftemangel abzufedern. Foto: pixabay

Interview: Chef der Lörracher Arbeitsagentur über den Strukturwandel und Qualifizierung im Beruf

Fachkräftemangel und Strukturwandel stellen viele Unternehmen vor Probleme. Der Weiterqualifizierung im Beruf kommt daher eine immer wichtiger werdende Rolle zu. Unser Redakteur Michael Werndorff hat mit Horst Eckert, Leiter der Lörracher Agentur für Arbeit, über die Herausforderungen am Arbeitsmarkt gesprochen.

Frage: Herr Eckert, der Fachkräftemangel spitzt sich zu. Dabei dürfte es nicht nur an der Nähe zur Schweiz liegen, dass hiesige Arbeitgeber offene Stellen selten zeitnah besetzen können. Woran liegt es?

Der Fachkräftemangel ist und bleibt eines der zentralen Themen am Arbeitsmarkt. Es ist kein Lörracher Problem, sondern betrifft die ganze Republik. Sicherlich spielt die Schweiz durchaus eine Rolle, aber aus meiner Sicht keine besonders große mehr. Der demografische Wandel ist in vollem Gange, die geburtenstarken Jahrgänge gehen nun Schritt für Schritt in den Ruhestand. In unserer Region ist das in den nächsten fünf Jahren ungefähr jeder fünfte Beschäftigte.

Frage: Eine demografische Lücke ist absehbar.

Richtig, und die kann nicht durch die nachfolgenden Generationen ausgeglichen werden, da diese schlichtweg in der Summe viel weniger sind. Auch ist der Zeitpunkt nicht mehr gut vorherzusehen, wann ein junger Mensch dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung steht. Darüber hinaus ist der Trend nach höherem Bildungsabschluss und Studium ungebrochen hoch. Dazu kommen soziale Jahre, Auslandserfahrungen und andere Unterbrechungen.

Frage: Das Problem verorten Experten bereits in der Schule: Oftmals bringen Bewerber nicht die nötige Qualifikation für eine Ausbildung mit, zum Beispiel im technischen Bereich. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Die Schulzeit soll auf den Anschluss vorbereiten, aber natürlich liegt die Hauptverantwortung im Elternhaus. Eine gute Sozialisation legt den Grundstein für den weiteren Weg. Pauschal die Verantwortung bei den Schulen zu verorten, halte ich nicht für richtig. Aber natürlich wissen wir auch, dass die Startmöglichkeiten für viele junge Menschen nicht besonders gut sind. Hier müssen Hilfsangebote und Unterstützungsleistungen früh greifen und die Familien erreichen.

Frage: Bisweilen fehlt es an Orientierung und Hilfestellung.

Aus meiner Sicht können wir es uns einfach nicht leisten, dass auch nur ein junger Mensch nach der Schule keinen Plan hat, wie es für ihn weitergeht und er sich des Geldes Willen für eine Helfertätigkeit entscheidet. Wenn uns gelingt, dass Bildung einschließlich betrieblicher Ausbildung in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert bekommt, dann ist schon viel gewonnen.

Frage: Zuwanderung ist ein oft propagierter Weg, Lücken zu schließen. Aber was ist mit der steigenden Zahl Jugendlicher, die sich vergebens auf Ausbildungsstellen bewerben?

Es bewirbt sich niemand vergebens. Junge Menschen, die nicht zum Zug kommen, weil sie zum Beispiel den Anforderungen noch nicht gewachsen sind, erhalten in jedem Fall eine Alternative. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass wir den jungen Menschen kennen und dieser unsere Beratung in Anspruch nimmt. Unser Werkzeugkoffer ist groß, mit unseren Angeboten schaffen wir es zu über 80 Prozent, dass die fehlende Ausbildungsreife im nächsten Jahr vorliegt.

Frage: Ein weiterer Aspekt ist die demografische Entwicklung. Wie können Unternehmen die nötigen Fachkräfte finden, um die altersbedingt ausscheidenden Mitarbeiter zu ersetzen?

Weiterbildung und Qualifizierung können Beschäftigten neue Perspektiven bieten. Und das nicht nur, um demografische Lücken zu füllen, sondern auch im Hinblick darauf, dass wir mitten im Strukturwandel stecken und das Know-how für die neuen Tätigkeiten benötigen, Stichwort „Transformation“. Unternehmen müssen sich zunehmend auf Menschen einstellen, die vielleicht nicht mehr zu 100 Prozent auf die Stelle passen. Und hier stellt sich dann die Frage, wie es uns gelingt, Menschen so zu qualifizieren, dass sie die Anforderungen gut meistern können.

Frage: Weiterbildung und Qualifizierung sind wichtige Bausteine im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Welches Potenzial sehen Sie hier für die Menschen und Unternehmen in der Region?

Auch nach nun fast zwei Jahren Corona-Pandemie ist unser regionaler Arbeitsmarkt weiterhin in einem stabilen Zustand. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit war zwar vorhanden, fiel aber doch geringer aus, als ursprünglich erwartet, und auch die befürchtete Insolvenz-Welle blieb bislang aus.

Eines hat uns die Krise allerdings gezeigt: Insbesondere Geringqualifizierte sind am stärksten von Arbeitslosigkeit bedroht. Es ist wichtig, dass diese Menschen nicht abgehängt werden, denn wenn sie erst einmal arbeitslos geworden sind, wird es schwer für sie, wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Dabei ist dies auch aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Perspektive sinnvoll. Denn Unternehmen sind gut beraten, an die Zeit nach der Pandemie zu denken und in Weiterbildung und Qualifizierung zu investieren. Auch da Megatrends wie Digitalisierung, Strukturwandel und demografische Entwicklung den Fachkräfteengpass noch weiter verschärfen werden.

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung und dem Gesetz zur beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung gibt uns der Gesetzgeber Instrumente an die Hand, die genau da ansetzen und uns den finanziellen Rahmen geben, Unternehmen bei diesem Wandel aktiv zu begleiten.

Frage: Sie gehen davon aus, dass noch viel Potenzial in den Firmen schlummert. Inwiefern? Und wie können Sie Unternehmen dazu bringen, unausgeschöpftes Potenzial zu nutzen?

Gerade Unternehmen, die im verarbeitenden Gewerbe tätig sind, aber auch Unternehmen mit klassischer Lagerarbeit oder auch die Pflege beschäftigen noch viele Menschen, die angelernt sind. Das sind Menschen, die ihren Job verstehen, aber eben keinen berufsbezogenen Abschluss vorweisen können. Damit ist die Gefahr drohender Arbeitslosigkeit um ein Vielfaches höher und auch Entwicklungsmöglichkeiten – wo ich wieder beim Thema Strukturwandel und Digitalisierung bin – sind eingeschränkter.

Das Potenzial an fähigen Menschen ist quasi schon vor Ort. Ich verwende hier gerne das Bild eines Rohdiamanten, dessen gesamtes Potenzial erst noch geschliffen werden muss. Und genau hier setzt unsere Qualifizierungskampagne „Diamant im Unternehmen“ an. Wir möchten sowohl die Arbeitgeber als auch die Beschäftigten sensibilisieren, sich mit lebenslangem Lernen auseinanderzusetzen, sozusagen heute schon an morgen zu denken und sich weiterzuentwickeln. Einmal erworbene Kompetenzen reichen einfach nicht mehr aus, um den neuen und immer komplexer werdenden Anforderungen im Arbeitsleben begegnen zu können.

Frage: Mangelt es an Bereitschaft, Programme wie DiamantimUnternehmen zu nutzen?

Es ist vermutlich keine Frage der Bereitschaft, sondern eher eine Frage der aktuellen Betroffenheit. Ich denke auch, dass vielen Unternehmen und auch Beschäftigten gar nicht bewusst ist, dass es finanzielle beziehungsweise staatliche Unterstützung gibt, sich beruflich weiterzubilden. Wir versuchen deshalb keine Gelegenheit auszulassen, auf dieses wichtige Thema hinzuweisen.

Frage: Von der ungelernten Hilfskraft zur qualifizierten Fachkraft: Das ist sicher mit Hürden verbunden. Wo liegen die Herausforderungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Das Weiterbildungsangebot war vermutlich noch nie so breit und vielfältig und die Lernangebote so individuell wie heute. Deshalb ist eine sorgfältige Planung nötig. Um den Überblick zu behalten, ist es hilfreich, den eigenen Standort zu bestimmen. Wie sieht die Altersstruktur aus? Was braucht ein Unternehmen mittel- und langfristig? Welche Kenntnisse fehlen den Beschäftigten für zukünftige Aufgaben?

Hier setzen unsere Experten für Weiterbildung an. Sie unterstützen das Unternehmen bei diesen Fragen und klären, welche Möglichkeiten für den Betrieb in Frage kommen.

Frage: Abschließend: Damit verbunden sind zusätzliche Kosten für den Unternehmer. Welche Fördermöglichkeiten bestehen?

Arbeitslose und Beschäftigte ohne Berufsabschluss haben grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Förderung der beruflichen Weiterbildung, wenn sie damit einen Berufsabschluss nachholen wollen. Für Beschäftigte wurde die vorgegebene Mindestdauer von Weiterbildungsmaßnahmen reduziert und es können auch Anpassungsqualifizierungen gefördert werden, die zum Teil Bildungsinhalte aus berufsqualifizierenden Studiengängen vermitteln. Und schließlich wurde die Regelung zur Prämie bei erfolgreicher Prüfung nach einer Weiterbildung mit Berufsabschluss bis Ende 2023 verlängert, genauso wie die Möglichkeit der Vergabe von Maßnahmen zum Erwerb von Grundkompetenzen und umschulungsbegleitenden Hilfen. Die Zuschüsse zu den Weiterbildungskosten und zum Arbeitsentgelt wurden vergangenen Herbst erhöht.

Weitere Informationen: www.diamantimunternehmen.de

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