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Kreis Lörrach Wenn Verlangen Vernunft besiegt

Michael Werndorff
In der Corona-Pandemie hat sich die Suchtproblematik für viele Betroffenen weiter verschärft. Foto: pixabay

Bilanz: Fachstelle Sucht und Suchthilfe Drehscheibe blicken zurück / Steimle: Unkontrollierbarer Konsum

Die Fachstelle Sucht und Suchthilfe Drehscheibe haben auch 2021 trotz Pandemie auf Präsenzangebote gesetzt. „Die persönliche Beziehung ist das wichtigste Handwerkszeug“, sagte Leiterin Rebekka Steimle gestern beim Bilanzpressegespräch. Zwar wurden weniger Fälle gezählt, dafür sei die Arbeit um so intensiver gewesen.

Von Michael Werndorff

Kreis Lörrach. Auch im Jahr zwei der Pandemie konnten die beiden Einrichtungen des Baden-Württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation (blv) ihre Angebote aber aufrechterhalten. Für Suchtkranke sei vor allem die Kontaktaufnahme mit dem Hilfesystem eine große Überwindung, da Scham- und Schuldgefühle, Ängste und Unsicherheiten überwunden werden müssen, so Steimle. So wählten die meisten Hilfesuchenden das persönliche Gespräch, nur wenige entschieden sich für Telefon- oder Videoberatungen.

Weniger Hilfesuchende

Eine Kernbotschaft lautete, dass man auch in der Pandemie für Hilfesuchende da sei. Gezählt wurden aber weniger Ratsuchende als im Vorjahr. Einen Grund vermutet Steimle in der Tatsache, dass sich Suchtkranke und Depressive noch mehr zurückzogen haben.

Derweil hat sich die Lage für viele Betroffenen verschlechtert: Während im ersten Pandemiejahr die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und Folgen von Kurzarbeit angesprochen wurden, stünden nun die Preissteigerungen und hohe Lebenshaltungskosten im Fokus. Diese würden als bedrohlich und nicht mehr beeinflussbar erlebt, erklärte Steimle. „Wir beobachten, dass unsere Klienten Stress und subjektive Ohnmacht nun gleichzeitig in mehreren zentralen Lebensbereichen erleben.“ Die individuelle psychische Not sei teilweise sehr groß.

Mit der erhöhten psychischen Anspannung sei für viele auch ein erhöhter und unkontrollierterer Suchtmittelkonsum verbunden. „Je früher Menschen sich mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen, umso größer sei ihre Chance, eventuell die Kontrolle über den eigenen Konsum zurückzubekommen. Einige Klienten hätten ihren Konsum während Home-office oder Kurzarbeit gesteigert. Und: Zugenommen habe auch der Konsum von Internet-Plattformen. „Unkontrollierter Mediengebrauch und Abhängigkeitsentwicklungen seien klar erkennbar und nähmen zu, berichtete Steimle, die auch das Thema Glücksspiel thematisierte. Glücksspieler drifteten verstärkt in den Online-Bereich ab, wodurch sich Geldverluste erhöhten. Laut Steimle gibt es hier deutlich weniger Kontrollmöglichkeiten. Sie merkte zudem an, dass es für Erwachsene an Präventionskonzepten fehle. „Und uns fehlt der Auftrag“, verwies die Leiterin an den Kreistag.

Fachstelle Sucht

Die Fachstelle Sucht bietet in der Zentrale in Lörrach und in drei Außenstellen ein umfassendes Angebot zu allen Fragen in Zusammenhang mit legalen Suchtformen für Betroffene und Angehörige. Insgesamt wurde ein Beratungsrückgang bei den Betreuungszahlen in allen Bereichen um zehn bis 15 Prozent festgestellt. Bei den Reha-Vermittlungen gab es im vergangenen Jahr ebenfalls Rückgänge zu verzeichnen. „In einer äußeren Krisensituation zusätzlich noch massive persönliche Veränderungsprozesse anzugehen, ist offenbar eine sehr hohe Hürde“, machte Steimle deutlich. Auffallend sei indes die hohe „Haltequote“ im Bereich der Nachsorge. „Kaum jemand hat seine Therapie abgebrochen. Viele schließen die Betreuung mit gutem Ergebnis ab“, bilanzierte Steimle. In vielen Fälle bedeutete dies die Sicherung von Arbeit, Wohnung und sozialem Umfeld.

Suchthilfe Drehscheibe

Besonders von der Pandemie betroffen sind die Klienten der Suchthilfe Drehscheibe. Diese ist ein niederschwelliges Angebot für langjährig schwerwiegend Suchterkrankte. Im Zentrum steht der Kontaktladen als offener Aufenthaltsort.

Die meisten leben laut Steimle in prekären sozialen Situationen, ihre Ängste und Zukunftssorgen seien stark ausgeprägt – Frustration, Aggression und Depression seien im Kontakt deutlich spürbar. Laut Steimle ist es dem Team in den vergangenen beiden Jahren gelungen, einen festen Stamm von Personen auch unter schwierigen Rahmenbedingungen weiter zu betreuen. „Wir erreichten immerhin zwei Drittel der Besucherzahlen im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie.

Steimle sieht die Fachstelle gut aufgestellt. Finanziell sei das Angebot gesichert, verwies sie auf einen Vertrag mit dem Kreis bis zum Jahr 2026.

 Die Fachstelle Sucht ist erreichbar unter Tel. 7621/95 67 890.

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