Kreis Lörrach Wo Gleichberechtigung aufhört

Denis Bozbag
 Foto: zVg/Bernd Weissbrod

Interview: Soziologin Sandra Kostner warnt bei der Genderdebatte vor Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts und positiver Diskriminierung

Die Genderdebatte schlage mittlerweile über die Stränge, meint Sandra Kostner. Heute, Mittwoch, hält die Soziologin im Rahmen des Studium Generale an der DHBW um 18 Uhr den Vortrag „Frauenquoten, Paritätsgesetze, Gendersternchen: Bedeutet staatlich verordnete Gleichheit das Ende der Freiheit?“ Denis Bozbag unterhielt sich mit ihr im Vorfeld über den Stand der Gleichberechtigung sowie über ein Redeverbot an Hochschulen.

Frau Kostner, Sie stehen Frauenquoten und Sprachregelungen wie dem Gendersternchen kritisch gegenüber. Sind sie per se  gegen die Gleichstellung von Frauen und Minderheiten?

Ich bin dafür, dass alle, und die Betonung liegt auf alle, die gleichen Rechte und bei gleicher Qualifikation die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Daher setze ich mich entschieden für Antidiskriminierung ein, aber spreche mich genauso entschieden gegen positive Diskriminierung aus.

Quoten bedeuten nichts anderes, als dass der Staat Unternehmen dazu verpflichtet, Menschen aufgrund ihres Geschlechtsteils und nicht aufgrund ihrer Eignung einzustellen. Das ist ein massiver Eingriff in die Privatautonomie.

Das gilt auch für die Sprache: Der Staat sollte in den Sprachgebrauch seiner Bürger nur dann eingreifen, wenn strafrechtsrelevante Äußerungen vorliegen.

Ansonsten hat er die kommunikative Selbstbestimmung der Menschen zu achten. Das heißt, wer Gendersternchen nutzen will, soll das tun, wer nicht, soll dazu nicht verpflichtet werden.

23 Länder haben gesetzliche Kandidatenquoten für ihre politischen Parteien vorgeschrieben. Brandenburg und Thüringen haben ebenfalls Paritätsgesetze verabschiedet. Sind solche Regelungen ihrer Meinung nach sinnvoll?

Auch hier unterscheide ich zwischen Selbstverpflichtung und gesetzlicher Vorschrift. Wenn Parteien sich dazu entscheiden, Kandidatenquoten einzuführen, dann steht es ihnen frei, dies zu tun.

Wenn der Staat aber Quoten verpflichtend setzt, dann greift er in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien ein.

Hinzu kommt, dass Männer in allen Parteien die Mehrheit stellen: knapp 60 Prozent bei den Grünen, rund zwei Drittel bei der SPD und 74 Prozent bei der CDU.

Müssten all diese Parteien ihre Wahllisten 50:50 besetzen, müssten sie Frauen massiv bevorzugen und Männer benachteiligen. Das ist aus meiner Sicht ein klarer Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, der durch keine noch so gut gemeinte Gleichstellungspolitik gerechtfertigt werden kann.

Die US-amerikanische Philosophin und Vorreiterin der Genderdebatte, Judith Butler, hat gesagt, der Ausruf einer Hebamme bei der Geburt, es ist ein Mädchen oder Junge, sei keine Feststellung, sondern vielmehr eine Aufforderung, dem Kind eine Geschlechterrolle anzuerziehen. Was finden Sie an dieser Aussage falsch?

Falsch daran finde ich die komplette Leugnung, dass es so etwas wie ein biologisches Geschlecht gibt. Wichtig und richtig war, dass die Frauenbewegung für die Abkehr von der Fixierung auf das biologische Geschlecht gekämpft hat.

Schlicht und einfach aus dem Grund, weil mit der Biologie lange die Schlechterstellung von Frauen gerechtfertigt wurde.

Auch die Gendertheorien haben hier anfangs wichtige Impulse eingebracht, wie dass Geschlechterrollen anerzogen werden. In meinen Augen geht es aber komplett an der Realität vorbei und entspricht utopischem Wunschdenken, wenn man wie Judith Butler behauptet, dass es keine biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, die sich auf ihr soziales Verhalten und ihre Interessen auswirken.

Sexuelle Minderheiten haben in den vergangenen Jahren für die rechtliche Gleichstellung in Bezug auf die Ehe gekämpft und gewonnen. Gleichwohl suchen sie nach mehr Repräsentation in der Gesellschaft, den Berufen, Medien und im Sport. Finden Sie, Sprachregelungen können dabei helfen?

Die Ziele von Menschen mit einer gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung und Menschen, die sich keinem biologischen oder sozialen Geschlecht zuordnen können oder möchten, unterscheiden sich. Ersteren geht es um gleiche Rechte, wie eben dem Recht auf die Ehe oder darauf, nicht diskriminiert zu werden.

An spezifischen Sprachreglungen zeigen sie wenig Interesse. Denn sie sehen sich als Frauen oder Männer, mit dem einzigen Unterschied, dass sie sich sexuell zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen.

Wie sieht es mit der Gruppe der Transgender aus?

Anders sieht es bei dieser Gruppe aus. Sie will sich keinem Geschlecht zuordnen und fühlt sich durch geschlechtsspezifische Ansprachen, wie „sehr geehrte Damen und Herren“ diskriminiert. Diese Gruppe tritt recht massiv und teilweise sogar aggressiv auf. Sie erwartet, dass sie über den Sprachgebrauch aller anderen bestimmen kann. Ein solches Vorgehen war noch nie hilfreich.

Viele Redner mit vom Mainstream abweichenden Meinungen werden an Hochschulen erst gar nicht mehr ein- oder nach Protesten ausgeladen. Was halten Sie von so einer Entwicklung?

Das halte ich für hochproblematisch, gerade an der Institution, die mehr als alle anderen für freies Denken und Argumentieren stehen sollte. Man kann aber nur Argumentieren lernen, wenn man eine große Bandbreite an Perspektiven zu einem Thema kennt. Ansonsten schmort man im eigenen Saft.

Wer denkt, dass an Hochschulen nur Menschen sprechen sollten, deren Ansichten zu den eigenen passen, der setzt sich und andere Hochschulangehörige auf intellektuelle Diät. Hält man diese zu lange ein, führt das irgendwann zur intellektuellen Magersucht, und die eigene Denk- und Argumentationsfähigkeit büßt an Kraft ein.

Sandra Kostner studierte Geschichte und Soziologie an der Universität Stuttgart und promovierte an der University of Sydney. Seit dem Jahr 2010 ist sie Geschäftsführerin des Masterstudiengangs „Interkulturalität und Integration“ an der PH Schwäbisch Gmünd. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der international vergleichenden Migrations- und Integrationspolitik.

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