Kreis Lörrach Zorn in moderate Bahnen lenken

Die Oberbadische
Trotzphasen und Wutanfälle sind wichtige Momente in der Entwicklung eines Kindes, aber nicht selten fühlen sich Eltern dabei überfordert. Foto: Archiv Foto: Die Oberbadische

Interview: Kinderarzt Andreas Zipp über die Vermeidung von Stress bei Kindern und Eltern

Alltagsstress, hohe Erwartungshaltungen und keine ausreichenden Freiräume zur Entwicklung des Kindes: Nicht selten kommt es in Familien zu Problemen, bei denen sich Eltern überfordert fühlen.

Kreis Lörrach. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt Dr. Hans-Peter Zipp, Kinder- und Jugendarzt bei der AOK Baden-Württemberg, im Rahmen des heutigen Tags der Familie Auskunft, wie Eltern Stress und Aggressionen bei ihren Kindern und im gemeinsamen Umgang vermeiden beziehungsweise besser bewältigen können.

Frage: Wie strukturieren Eltern den „Kinderalltag“ möglichst stressfrei für sich und ihr Kind?

Die wichtigsten Ursachen für ein hohes Stressniveau bei Kindern sind Termindruck mit einem eng getakteten Zeitplan, wenig freie Zeit ohne Verpflichtungen und der Wunsch, die Erwartungen der Eltern immer zu erfüllen. Eltern sollten für eine Entschleunigung im Alltag ihrer Kinder sorgen. Ein strukturierter Tagesablauf, der dem Kind Freiräume zur Entspannung schafft, und ein maßvolles Freizeitprogramm sind ein guter Ausgleich zu festen Terminen wie Spielgruppe, Hort oder Schule. So lässt sich Stress vermeiden oder zumindest besser bewältigen.

Frage: Wie viel Freizeitprogramm ist förderlich, und ab wann wird es stressig fürs Kind?

Wichtig ist, den „Terminplan“ des Kindes kritisch anzuschauen und mit ihm über die Aktivitäten zu sprechen. So können Eltern ein Feingefühl dafür entwickeln, was dem Kind Spaß macht und was es womöglich überfordert. Kindern tut es gut, wenn sie die Möglichkeit haben, selbst Ideen zur Freizeitgestaltung zu entwickeln. Was hingegen eher schadet: Wenn Kinder ständig mit immer neuen Aktivitäten konfrontiert oder bei Langeweile sofort abgelenkt werden.

Frage: Trotzphasen und Wutanfälle – was geht da im Kind vor?

Kinder können ihren Bedürfnissen nicht immer sprachlich differenziert Ausdruck verleihen. Es stellt für sie mitunter eine Frustration und emotionale Überforderung dar, falls sie ihr Ziel nicht erreichen. Sie loten dann ihre Grenzen aus und zeigen Reaktionen, die von uns Erwachsenen als Wut und Trotzverhalten wahrgenommen werden. In dieser Autonomiephase machen die Kinder wesentliche emotionale Entwicklungsschritte und Erfahrungen mit ihren Gefühlen. Dabei ist bedeutsam, ihr Streben nach mehr Unabhängigkeit ernstzunehmen und ihnen alternative kindgerechte Möglichkeiten für eigene Erfahrungen zu schaffen. Wut als normales Element des kindlichen Gefühlsrepertoires darf sich natürlich nicht ungesteuert entladen.

Frage: Und wie reagieren Eltern angemessen?

Die Zornausbrüche sollten in moderate Bahnen gelenkt werden. Eltern dürfen diese nicht persönlich nehmen und versuchen, die Situationen so zu gestalten, dass ein Wutausbruch unnötig wird. Während eines Wutausbruchs sollten Eltern ohne große Eile reagieren und Konsequenzen eher sparsam aufzeigen. Das Kind anzuschreien, zu bestrafen oder ihm Vorwürfe zu machen, wird die Situation eher noch weiter verschärfen.

Frage: Was können Eltern tun, damit ihnen nicht der Geduldsfaden reißt?

Eine respekt- und liebevolle Atmosphäre unterstützt das Bemühen, Wutanfälle und Trotzphasen zu steuern und abzuschwächen. Damit ein Kind lernt, seine Gefühle einzuschätzen, und es erkennt, dass auch die anderen anwesenden Personen unter seinem Wut- oder Trotzanfall leiden, hilft es, mit dem Kind über die Situation und den Gefühlsausbruch zu reden. Eine Chance, den Schaden zu begrenzen, kann sein, das Kind vom Auslöser seiner Aggression zu trennen und auf sein Zimmer zu schicken oder zu bringen. Das darf dem Kind allerdings nicht im Sinne einer Bestrafung vermittelt werden. Reichen die Kraftreserven der Eltern nicht mehr aus und können die eigenen guten Vorsätze nicht mehr umgesetzt werden, sollten sich die Eltern Unterstützung suchen.

Frage: Und wenn er doch reißt? Wie schlimm ist das für das Kind?

Die Geduld der Eltern wird in den Trotzphasen auf eine harte Probe gestellt. Da kann es schon einmal vorkommen, dass Eltern sich nicht mehr ganz steuern können. Reaktionen wie Ärger, Traurigkeit und Reizbarkeit sind normal. Diese Gefühle ihrer Eltern dürfen und sollten Kinder auch mit Blick auf ihre Persönlichkeitsentwicklung spüren. Komplett abgelehnt werden muss dagegen die Ausübung von psychischer oder physischer Gewalt im Umgang mit Kindern.

Frage: Entspannte Eltern, entspannte Kinder: Stimmt das so?

Eltern wollen allen Anforderungen gerecht werden und erfahren vielfältige Belastungen. Sie sollten dabei hinterfragen, wie sie mit Stress, der zum Leben mal mehr, mal weniger dazu gehört, umgehen, und diesen nach Möglichkeit von den Kindern fernhalten. Der Stress ist jedoch mittlerweile längst in Kinderzimmern angekommen. Kinder nehmen eine gereizte Stimmung oder Stressreaktionen der Eltern wahr und reagieren auf diese. Ein entspanntes Verhalten der Eltern ist insofern für die Interaktion mit den Kindern förderlich.

Frage: Überträgt sich Stress der Eltern aufs Kind, und kann das auch krank machen?

Kinder spüren elterlichen Stress und müssen lernen, damit umzugehen. Ob sich dieser Stress negativ auf die Gesundheit des Kindes auswirkt, hängt von den jeweiligen Umständen ab, wie zum Beispiel der Anlass für den Stress und wie lange er andauert, sowie davon, wie die Eltern auf ihren Stress reagieren. Kinder sollten Stress der Eltern keinesfalls als Katastrophe erleben, sondern von ihnen motiviert und unterstützt werden, Belastungen zu bewältigen.

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