Kultur Fremdschämen im Container

Dominique Spirgi
Erste Staffel, 20 Jahre Großer Bruder: eine Außenansicht der Installation im Museum Tinguely Foto: Boris Nikitin

Ein „Big Brother“-Wohncontainer ist als Kunstwerk im Museum Tinguely Basel zu besichtigen. Diese erste Reality Show wurde im Jahr 2000 aufgegleist – gefeiert und verteufelt.

Der Basler Dramatiker Boris Nikitin hat im Museum Tinguely den Nachbau des Wohncontainers der TV-Show „Big Brother“ von 2000 platziert. Die bejubelte und verteufelte Reality-Show von damals wird damit zum historisch-musealen Objekt der Social-Media-Selbstdarstellung.

Ganz normale Menschen?

Eine Gruppe „ganz normaler“ Menschen ließ sich in einen Wohncontainer sperren und rund um die Uhr von Kameras aufzeichnen, die das Geschehen einem rasch wachsenden Publikum in die gute Stube weitergaben.

Selbstdarstellung

Die 1999 in den Niederlanden erfundene Reality-Show war die erste, die in Einschaltungen am TV-Bildschirm und rund um die Uhr als Livestream zu verfolgen war. „Big Brother“ war gewissermaßen die Geburtsstunde der von Selbstdarstellung beherrschten Social Media. Facebook und Instagram folgten erst nach 2004. In einer Vitrine neben dem zehn mal zehn Meter großen Container könnte das erste iPhone von 2007 ausgestellt werden.

Manifest der Verdummung?

Weltweit gefeiert als Unterhaltungssensation und verteufelt als Manifest der Verdummung, wurde „Big Brother“ um den Jahrhundertwechsel zum Gesellschaftsereignis und zum Tagesgespräch sowohl in bildungsfernen als auch in intellektuellen Kreisen. Das Wort „Fremdschämen“ war geboren.

Fürs Publikum begehbar

Nikitin hat den Wohncontainer im Corona-Jahr 2020 ursprünglich als Bühneninstallation für die Inszenierung „Erste Staffel. 20 Jahre Großer Bruder“ am Staatstheater Nürnberg nachgebaut. Diese kam nun fürs Publikum begehbar ins Museum und wurde zur Konzeptkunst-Installation mit dem Titel „The Last Reality Show“.

Unsichtbare Geister

Im Container begegnet man im grellen Licht den unsichtbaren Geistern der längst vergessenen ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner. Es sind Räume, welche die visuelle Ausstrahlung längst vergangener Zeiten haben: Es ist eine Mischung aus einer nostalgischen Zeitkapsel und dem dystopischen Grauen eines scheußlich möblierten Schau-Gefängnis’ für eine Gruppe von Menschen, die sich gnadenlos der Lächerlichkeit preisgaben.

Existenzielle Themen

Museumsdirektor Roland Wetzel bezeichnete die Installation an der Vernissage am Dienstagabend als stimmiges Pendant zu Tinguelys Spiel mit Mensch und Maschine. Im Container seien existenzielle Themen des unreflektierten individuellen Ausdrucks haften geblieben, die heute zum Social-Media-Alltag gehörten, sagte Nikitin.

Die Installation „The Last Reality Show“ von Boris Nikitin ist bis zum 21. Januar 2024 im Museum Tinguely Basel zu sehen: Di bis So, 11-18 Uhr, Do bis 21 Uhr

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