Die Fondation Beyeler widmet das zweite Mal einem Fotografen eine große Einzelausstellung: Der Kanadier Jeff Wall hat zur Etablierung der Fotografie als Kunstform beigetragen. Die zahlreichen Großbilddias im Leuchtkasten sind echte Hingucker.
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Ein steinig-staubiger Hang, dahingemetzelte russische Soldaten, blutverschmiert. „Dead Troops Talk“ ist nur eine von zahlreichen inszenierten Fotoarbeiten des kanadischen Ausnahme-Fotografen Jeff Wall. 1992 entstanden, diente ihm die zugespitzte Darstellung als Verweis auf den in Vergessenheit geratenen Krieg in Afghanistan. Ein Werk, das sich in die lange Reihe großer Antikriegsbilder einreiht.
Einzigartige Arbeitsweise
Der 1946 in Vancouver geborene Künstler beschäftigt sich seit den 1960er Jahren mit der Fotografie. Zunächst studierte er Kunstgeschichte, malte, schrieb Kritiken, bevor er sich Mitte der 70er Jahre ganz der Fotografie widmete, die damals in erster Linie Mittel zur Dokumentation oder zur Werbung war. Seine Arbeitsweise ist dabei neu und einzigartig.
Museumschef Sam Keller würdigte Wall als „Großmeister der Fotografie“. In seine Inszenierungen fließen Elemente aus Film, Theater, Poesie und Bildender Kunst ein. Häufig stehen die Arbeiten im Dialog zueinander, kontrastieren sich, erzählen Geschichten weiter.
Die meist großformatigen Werke sind vielschichtig und subtil komponiert, voller Doppeldeutigkeit. Die Technik, sie als Großbilddia in Leuchtkästen oder als Inkjetdruck zu präsentieren, verleihen ihnen eine geradezu unwirkliche Intensität, „lebendiger als das Leben“, wie es der Museumsdirektor treffend formuliert.
Momente aus dem Leben
Jeff Wall kreiert mit seiner Kamera einen Moment aus dem Leben, wie es ihn geben könnte. Der Betrachter schaut sich das Bild an, fragt nach der Vorgeschichte, überlegt, wie die Szene entstanden sein könnte, wie es weitergeht, wer die Menschen sind, was sie bewegt.
Bewusst geschaffene Brüche provozieren und irritieren. Wie beispielsweise der Rosen verkaufende Mann in „In front of a Nightclub“, 2006, eine gescheiterte, einsame Existenz zwischen all den jungen, lebenshungrigen Leuten, die vor einem Club stehen und sich auf das pralle Leben freuen.
Kritische Reflexionen
Jeff Wall zeigt eingefrorene Sequenzen, an Videostills erinnernd, wie wir sie flüchtig wahrnehmen könnten, wenn wir durch Stadtlandschaften streifen. Sie sind aber auch kritische Reflexionen über soziale Ungerechtigkeiten. Wenn in „Storyteller“ (1986) indigene Menschen unter einer Autobrücke sitzen und Trost suchend den Erzählungen eines „Ältesten“ lauschen. Neben der Sozialkritik finden sich hier wie in mehreren Arbeiten Anspielungen auf berühmte Malerei, mit der der kanadische Fotograf bestens vertraut ist.
Geradezu philosophisch ist der Inkjet-Print einer alten Dame, die inmitten von Bücherschränken auf einen kaputten Strumpf schaut. Wird sie ihn stopfen? Lohnt sich das? Was lohnt sich überhaupt im Leben? Was ist vergänglich? Was bewahrenswert? Ein ganzer Fragenkatalog breitet sich aus.
Jeff Wall zeigt einsame Vorstadthäuser, vermüllte Landschaften, Stillleben, Architektur oder einen Friedhof mit einem frisch ausgehobenen Grab. Dieses, eigentlich düsterer Schlund und Endstation, wird hier zur wundersamen Quelle des Lebens: Mit Wasser gefüllt, tummeln sich hier bunte Seesterne und ein Oktopus, im übrigen das Lieblingstier Walls, wie der Kurator der Ausstellung, Martin Schwander, verrät.
Über 50 Hauptwerke
55 Hauptwerke aus fünf Jahrzehnten und allen Schaffensphasen von Jeff Wall, über ein Viertel seines Oeuvres, werden in der Ausstellung in elf Sälen eindrucksvoll präsentiert. Besonderes Augenmerk richtet die Schau auf die Arbeiten der letzten zwei Jahrzehnte, darunter sind einige, die in Riehen erstmals öffentlich zu sehen sind.
Jede Fotografie ist eine eigene Bildfindung mit oft rätselhafter Erzählstruktur: zwischen Emotion und Reflexion, zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen Spontaneität und Kalkül.
Der Katalog
Vertiefende Informationen bietet der Katalog, der im engen Austausch mit dem Künstler von Uwe Koch gestaltet wurde. Darin findet sich auch ein erhellendes Gespräch zwischen Künstler und Kurator. Geboten werden zudem Museumsgespräche, Workshops sowie spezialisierte Führungen für unterschiedliche Personengruppen.
bis 21. April, täglich 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr
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