Kultur Krachender Flügel in Zeitlupe

Die Oberbadische
Pianisten Nicolas Hodges live am unversehrten Flügel und als Videodouble am manipulierten Schrottflügel Foto: Willi Vogl Foto: Die Oberbadische

Konzert: Basel Sinfonietta spielt in der Konzertfabrik Z7

Von Willi Vogl

Pratteln. Die Basel Sinfonietta ist nicht nur für ungewöhnliche Konzertformate und Aufführungsorte bekannt, sondern vor allem für innovative Programme mit neuer bewegender Musik. Beim Abo-Konzert in der Konzertfabrik Z7 kamen von Maurus Conte eine Uraufführung sowie zwei Schweizer Erstaufführungen zu Gehör.

In „REM“ verarbeitete Conte „musikalisch die Empfindungen ständiger Schlaftrunkenheit“. Laut Einführung bilden „Glissandi ähnlich einer Schlafkurve das zentrale Element des Stücks“. Dieses Element sowie wage flirrende Tremoli und perkussive Abschlussklänge erzeugen eine Art Dämmerzustand. Der Gesamtklang stellte sich als bekenntnisarmer Katalog von Bewegungsmodellen dar, der einen eher schläfrigen Eindruck hinterließ.

Aufgewacht ist man bei John Adams „City Noir“ aus dem Jahr 2009. In diesem 35-minütigen, komplexen Werk bezieht sich Adams vielfältig auf harmonische und melodische Jazz-Muster. Dabei spinnt er die Fundstücke zu eigenwillig ausufernden Gebilden fort, die pulsierende Lebendigkeit vermitteln. Bisweilen wirkten die vielen, hervorragend präsentierten Soli in der Attitüde traditioneller Bigband-Musik zwar etwas redundant, doch zahlreiche attraktive, oft hintergründig wirkende Gestaltungselemente wogen dies bei weitem auf. Während im zweiten Satz die Jazzharmonik gleichsam eingefroren wirkte, entfaltete sich in der finalen „Boulevard Night“ Ausgelassenheit pur. Knackig morsende Blechbläser, aberwitzig wuselnde Holzbläser, expressive Streicherkantilenen in bester Filmmusiktradition sowie ein eruptives Schlagwerk bildeten eine überzeugende Melange.

In Simon Steen-Andersens „Piano Concerto“ von 2014 kracht ein Flügel aus sieben Meter Höhe auf einen Fabrikhallenboden. In Pratteln nicht live, sondern auf der Leinwand. Der von zwei Sekunden auf vier Minuten gedehnte Fall wurde mit Hochgeschwindigkeitskameras aufgenommen und wirkt erst in dieser Zeitlupe spektakulär. Steen-Andersen geht es allerdings nicht um den bloßen Showeffekt. Vielmehr nutzt er die dadurch erzeugte Klanglichkeit mittels Sampling als Initialzündung für einen überzeugend korrespondierenden Orchesterklang. Im Vordergrund sieht man den versiert agierenden Pianisten Nicolas Hodges live am unversehrten Flügel mit Edelklang und gegenüber, auf Leinwand projiziert, sein eigenes Videodouble am brachial manipulierten Schrottflügel. Durch die ruckartigen Schnitte des Videos, die lädierten Zitate aus dem klassisch-romantischen Klavierrepertoire und vor allem durch die weitreichenden Dopplungen von klanglichen und visuellen Prozessen entstand eine Art Slapstick-Effekt. Der Showcharakter des Multimediawerks ist durch die anregende wie charakteristische klangliche Umsetzung legitimiert. Dies zeigte auch der begeisterte Applaus für den präzise agierenden Dirigenten André De Ridder und die fulminant musizierende Basel Sinfonietta.

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