Pure Kraft

Von Gabriele Hauger

Augst. Alles vibriert. Leichtes Dauerdröhnen im Ohr. Mit dem ganzen Körper erspürt der Besucher der alten Maschinenhalle des Kraftwerks Augst die gewaltige Urkraft des Rheins, die hier zu Energie gemacht wird. Gewaltig sind auch die Ausmaße des Ausstellungsorts mit bodenhohen riesigen Fenstern, die den Blick freigeben auf Anlage und Fluss. Ein wunderbarer Ort für Kunst, die hier seit 21 Jahren regelmäßig gezeigt wird – mit großem Erfolg.

Neun Künstler aus der Regio, allesamt bekannt und befreundet, stellen aus, haben im Vorfeld gemeinsam ein Thema ausgelotet: Kraft. Dies ist angesichts der Örtlichkeit derart naheliegend, dass man sich wundert, dass da noch keiner draufgekommen ist.

Beim Betreten der Halle fallen einem sogleich die acht übermannsgroßen Eisenskulpturen der Baslerin Marianne Marx auf. An Scherenschnitte erinnernd, symbolisieren sie die handwerkliche Muskelkraft des Menschen, die er verwendet, um zu ernten, zu arbeiten, zu leben. Stechgabler, Harzhacker oder Schaufler sind Titel der vor Energie berstenden Gruppe.

Drumherum zeigt Ursula Salathé filigrane Zeichnungen; eher zart stehen sie für die versteckte, aber so wichtige Kraft des Wachsens der Pflanzenwelt. Mit Pinsel und Kohle bannt sie zudem die Äcker aufs Papier, auf denen dieses Wachstum stattfindet. Weite, leere Felder mit kraftvollen Wegspuren und Begrenzungen, auf denen die sprießende Kraft des Frühlings erwartet wird.

Steinformen variiert Ruth Urech in ihren strukturreichen Bildern zum Thema Kraft, während Wolfgang Burn dem Weg des Wassers nachspürt. Aus LED-Lichtschläuchen, PET-Flaschen und einer Badewanne kreiert er eine Installation, die auf Verschwendung von Wasser und Plastikmüll verweist. Ebenso wie seine Fotoarbeiten, auf denen er ungeschönt all den Dreck zeigt, den der Mensch ungestraft ins Wasser lässt. Gemeinsam mit David de Caro zeigt er zudem die Bodenarbeit „Ablauf“. Mit den Augen folgt der Besucher dem vermeintlichen Lauf des Wassers mit Stationen aus geschnitzten Holzstelen.

Eindrücklich und leicht zugänglich sind die Fotografien von Christian Jaeggi. Das „Kraftwerk Mensch“ ist sein großes Thema. Drei Jahre lang portraitierte er auf Reisen Menschen, deren unverbrüchliche Lebenskraft allen Widrigkeiten trotzt. Die schwarz-weiß-Aufnahmen strahlen Würde, sogar Fröhlichkeit aus – was angesichts der Biografien verblüfft und beeindruckt. Da ist die behinderte Frau aus Malawi, die stolz lächelt; die breit lachende Abfallsammlerin aus Kambodscha mit nurmehr Fetzen am Leib; die Hoffnung in den Augen eines indischen Vaters, dessen Tochter misshandelt wurde. Bewundernswert, welche Kräfte des Lebenswille der Menschen mobilisieren kann.

Ein Hingucker ist das gewaltige Triptychon von Pascal Joray, vielen als Basler Fasnachtsmaler bekannt. Auch er widmet sich darin dem kraftvollen Überlebenskampf des Menschen: beim Thema Flüchtlinge. In intensiven Farben zeigt er aufgerissene Münder und sich nach Hilfe streckende Hände im Strudel des Meeres sowie einen Menschen, der versucht, die ihn fesselnden Ketten zu sprengen. An anderer Stelle präsentiert er elegante und detailreiche Zeichnungen mit Ausschnitten von Baumstämmen – Symbole für die Kraft der Natur.

Michael Hein, eigentlich Kulissenmaler, kritisiert Ignoranz und Umweltzerstörung, erinnert an den Sandoz-Chemieunfall und Klimawandel. Und zeigt mit sich durch Hindernisse windenden Fischen einen existentiellen tierischen Verzweiflungskampf.

Roman Müller lässt unter der Decke eine mit Stoff bespannte Drahtinstallation schweben – die Kraft des Fliegens. Ein aus Lärchenholz gehauener kraftstrotzender Körper bahnt sich seinen Weg, ebenso urwüchsig wie die eingangs beschriebene Metallskulpturen. Pure Kraft.   bis 17. Mai, Do, 17-20 Uhr, Sa, 14-17 Uhr, So und 1. und 10.  Mai, 13-17 Uhr; Führungen: So und Feiertag 14 Uhr