Lörrach Angst in der Seele

Die Oberbadische
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Wintergäste: „Tod eines Handlungsreisenden“: Familiendrama von Arthur Miller als inszenierte Lesung

Von Jürgen Scharf

Lörrach/Basel. Dieser Handlungsreisende schleppt zwar nicht seine Musterkoffer über die Bühne, sondern hat das Lesemanuskript in der Hand. Peter Schröder agiert aber, als ob er auf der Theaterbühne stehen würde. Der Zuschauer spürt die Emotionen, die seelischen Qualen, die diese dargestellte Person durchmacht, die Angst in der menschlichen Seele, die Verzweiflung.

Es war eine grandiose Lese-Inszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“, die man am Sonntag bei den Wintergästen reloaded als kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Das andere Amerika“ erlebte und die hinter die Fassade einer bürgerlichen Existenz führte, in der es eine Diskrepanz zwischen Sein und Schein gibt.

Die Hauptfigur des Dramas, Willy Loman, täuscht seine geschäftlichen Erfolge nur vor. Er ist eine gescheiterte Existenz, wird entlassen und zerbricht an diesem auf Profit ausgerichteten Wirtschaftssystem und an seiner Lebenslüge. Millers Angriff richtet sich gegen das Business- und Prosperity-Denken und den Sicherheitsoptimismus. Das Angriffsziel ist der „American Way of Life“.

Wenn man das Stück nun als szenische Lesung gehört, nein, gesehen hat, versteht man, warum es immer wieder auf den Theaterbühnen auftaucht, und warum die Hauptrolle für Schauspieler auf der „To do“-Liste steht. Es ist eine Wunschrolle wie für junge Darsteller der Hamlet oder für ältere Mimen der King Lear.

Peter Schröder hat den Loman noch nie auf der Bühne verkörpert, würde es aber gerne, das merkt man seiner intensiven Darstellung an. Mimik: angsterfüllt, Gestik: auffahrend und wieder in sich zusammenbrechend. Schröder versteht auf der Klaviatur der Gefühle zu spielen.

Mit seiner biederen Weste ist er dieser Loser, der ein Leben lang als Vertreter auf Achse war und sich keinen anderen Job vorstellen kann. Wenn ihm sein Freund Charly (Urs Bihler) einen 50-Dollar-Job anbietet, lehnt er das empört und brüsk ab. Dabei ist Loman blank, völlig blank. Willy Loman lebt den falschen Traum vom großen Erfolg.

Eine familiäre und berufliche Hölle

Am Tisch sitzen seine Frau Linda, abgehärmt, resignativ (Doris Wolters) und die beiden Söhne, zwei Nichtsnutze, der arbeitslose Biff (Vincent Glander mit Mütze) und sein Bruder Happy (Mario Fuchs), ein verbummelter Schürzenjäger; zwei Jungs in Sweatshirts, Jeans und Turnschuhen, die die Füße baumeln lassen und an Mädchen denken. Loman redet seinen Söhnen Größenwahn ein. Anfangs meint er noch, seine Jungs würden für ihn durch die Hölle gehen.

Es ist eine Hölle, eine familiäre und berufliche, was sich da im Werkraum Schöpflin abspielt, bühnenwirksam inszeniert mit Tränen, Streit, Schuldgefühlen, Vorwürfen, Rechtfertigungen. Am Vormittag war die Lesetour schon im Wenkenpark Riehen über die Bühne gegangen. Die Schauspieler und Zuschauer, die dabei waren, beobachten dabei Unterschiede.

In der riesigen Reithalle in Riehen, die stark hallt, wirkte die Aufführung vor 150 Zuhörern theatralischer. Im intimen, kleineren Werkraum, wo nur halb so viel Publikum reinpasst, dichter, konzentrierter, mehr als Kammerspiel. Im Werkraum hat es den Schauspielern wohl besser gefallen, denn in einem großen Raum muss man doch anders sprechen. Nicht lauter, sagt Doris Wolters, sondern langsamer, artikulierter, und auf die andere räumliche Atmosphäre eingehen.

Man könnte bei der Aufführung in Brombach von „Kopftheater“ und Konzentrat des Textes reden. Denn die intelligente Strichfassung von Marion Schmidt-Kumke reduziert den großen Bühnentext auf Wesentliches, verzichtet auf viele Nebenfiguren und vor allem auf die Erinnerungsrückblenden. Dennoch war alles drin in diesem Drama. Die reale Handlung als solches sowieso, nur die zweite Handlung, die „surreale“ Ebene, wurde ausgeblendet; aber Rückblenden kann man bei einer Lesung auch schlecht machen, und Vergangenheit braucht man nicht.

Es fiel auf, dass Millers Text zeitlos ist und in dieser inszenierten Form ohne Ablenkung durch Bühnenbild und Kostüme noch gewinnt. Dabei näherte sich die Inszenierung mit psychedelischen Klängen und Geräuschen (Ton: Hannes Kumke) fast schon einer Bühnenversion an. Und die Konzentration auf das heute so Realistische war absolut stringent!

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