Lörrach Aufwühlendes Theaterstück

Gabriele Hauger
Till Alexander Lang geht in seiner Soloperformance auf eine fordernde Reise in sein Innerstes. Foto: Gabriele Hauger

Wie lebt es sich, wenn man als Kind traumatische Gewalterfahrung in der Familie erlebt hat? Was kann helfen, das Trauma zu überwinden? Diesen Fragen geht die Tempus fugit-Soloperformance „Die, die in der Dunkelheit leuchten“ nach. Premiere ist am Mittwoch. Wir waren bei der Probe.

Das nur fragmentarisch erhaltene Theaterstück „Woyzeck“ von Georg Büchner zählt zu den meist gespielten Dramen, inspiriert zahllose Kulturschaffende. Der Schauspieler Till Alexander Lang ist einer davon. Das Drama um Woyzeck, der aus Eifersucht seine Lebensgefährtin umbringt, interpretiert er in einer Soloperformance: und zwar aus der Perspektive des Kindes Christian. Der Sohn muss den Verlust der Mutter verkraften.

Das Skateboard wird zum Freund. Foto: Alexander Stutz

Im Hier und Jetzt

Im Tempus fugit-Stück unter der Regie von Alexander Stutz ist Christian ein Jugendlicher. Er agiert im Hier und Jetzt, mit Skateboard und Baseball-Cap, schwankend in seinen Gefühlen. Mal aufbrausend, mal von Schuldgefühlen und Ängsten geplagt. Dann wieder voller Wut auf das Schicksal oder melancholisch der Vergangenheit nachtrauernd.

Suche nach Geborgenheit

Die Eingangsszene: Dunkelheit, wabernde Nebel, das stete Tropfen einer Wasserinstallation. Schmerzverzerrt liegt Christian auf seinem Skateboard, seinem besten Freund – ein Jugendlicher, in seinen Grundfesten erschüttert. „Mein Kopf fängt an, sich in Träumen zu verirren“, stöhnt er. Er fühlt sich wieder als kleiner Junge, der sich voller Angst vor der Realität unter dem Bett versteckt, der Schutz sucht vor der grausamen Wirklichkeit.

Schmerzhafte Erinnerung

Woher diese Angst kommt, kristallisiert sich im Laufe der 70-minütigen Performance heraus: Ein Unfall des Vaters, Arbeitslosigkeit, Absturz und Frustrationsbekämpfung durch Gewalt. Diese Gewalt richtet der Vater gegen die Mutter Christians und tötet sie. Christian wird Zeuge – hilflos, überfordert, einsam.

Der Gedanke an die Mutter symbolisiert für ihn warme Geborgenheit. Der Alltag, das Frühstück, selbst gekochte Marmelade, Brot: Die Gedanken daran sind schmerzhaft. Das Bild des traumatisierten Kindes zeigt Schauspieler Till Lang mit großer Eindringlichkeit.

Gedanken und Erinnerungen wabern. Foto: Alexander Stutz

Fragende Stimmen

Die Zuschauer sitzen rund um das Geschehen. Von allen Ecken des Raumes werden immer wieder fragende Stimmen eingeblendet, sich überschneidende Gedankenfetzen, die im Inneren des Jugendlichen wüten. Seine Versuche, dagegen anzukämpfen, sind nachvollziehbar in der Welt des noch orientierungslosen Jugendlichen: Vermeintliche Coolness, Kiffen als Flucht ins Irreale, eine dreimonatige Reise als Flucht in eine andere Realität. Doch bei seiner Rückkehr holt ihn die Angst wieder ein, treibt ihn fast in den Wahnsinn. Wieso werden Väter zu schweigenden Protagonisten? Wieso verbergen sie ihre Gefühle? Wieso haben sie Angst vor der eigenen Schwäche? Und wieso sehen die Kinder sie doch als unverwundbare Helden, beziehungsweise sehnen sich nach diesem Heldentum?

Dämonen der Erinnerung

Christian wird geplagt von den Dämonen der Erinnerung. Die Regie findet dafür eindringliche Bilder: der Kopf, gefangen in einem schwarzen Gehäuse, umwabert von bedrohlichen Nebeln; das Kinderlied „Schlaf, Kindlein, schlaf...“ mit morbidem Text; das Eingefrorensein mit vom Wahnsinn verzerrten Gesicht.

Suche nach Erlösung

Wie kommt man heraus aus solch einem Trauma, aus dem quälenden Gedankengang, versagt, die Mutter nicht beschützt zu haben?

Immer wieder eingespielt wird die beruhigende, erklärende, Lösungen aufzeigende Stimme einer Trost gebenden Frau. „Du warst ein Kind“. Und: „Du musst die Dunkelheit akzeptieren lernen.“ Hoffnung macht des Fazit Christians: „Ich entscheide, welche Geschichte erzählt wird.“

Eine Erlösung?

Bis zu dieser nur halb erlösenden Erkenntnis durchlebt der Zuschauer in wechselnden Zeit- und Gesprächsebenen eine verstörende Geschichte. Keine leichte Kost, und sicherlich Anstoß für Diskussionen um toxische Männlichkeit, Traumaerfahrung, aber auch Resilienz. Auf letztere verweist im übrigen der positive Titel der Performance: „Die, die in der Dunkelheit leuchten“.

Premiere: Mittwoch, 21. Februar, 19.30 Uhr; weitere Termine: Do, 22. Februar, und Fr, 23. Februar, 9.30 und 19.30 Uhr, Sa, 24. Februar, 19.30 Uhr, Theater Tempus fugit, Adlergässchen 13, Lörrach; Reservierung: www.fugit.de oder Tel. 07621/157840

Info

Termine
Premiere: Mittwoch, 21. Februar, 19.30 Uhr; weitere Termine: Do, 22. Februar, und Fr, 23. Februar, 9.30 und 19.30 Uhr, Sa, 24. Februar, 19.30 Uhr, Theater Tempus fugit, Adlergässchen 13, Lörrach; Reservierung: www.fugit.de oder Tel. 07621/157840

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