Lörrach Begleitung zur Integration

Veronika Zettler
Lamin S. (r.) mit den Mitarbeitern der Diakonie (v. l.) Mathias Winzer, Merlinda Bajo und Christina Hopfner. Foto: Veronika Zettler

„Geflüchtet nach Lörrach“: Serie – Teil 2: Bei der Diakonie sieht man die Menschen hinter den Zahlen

Lörrach - 2015 war das Jahr der „Flüchtlingswelle“ und der „Flüchtlingskrise“, aber auch der „Willkommenskultur“. Wie ist die Lage fünf Jahre danach in Lörrach? Im zweiten Teil unserer Serie kommen neben dem aus Gambia geflüchteten Lamin auch Mitarbeiter des Diakonischen Werks zu Wort.

Der Weg nach Deutschland kann lang sein. Der 26-jährige Lamin startete in seinem Heimatland Gambia, kam in einem Flüchtlingsboot über das Mittelmeer und über Stationen wie Sardinien, Neapel und Rom nach Karlsruhe, Donaueschingen und schließlich Lörrach. Die Anschlussunterbringung an der Ecke Grether-/Feldbergstraße ist derzeit sein Zuhause. „Es war eine lange Reise, die ich nie geplant hatte“, sagt er.

Die Gründe, warum er aus einem der ärmsten Länder der Welt geflohen ist, sind vielschichtig. „Das ist eine lange Geschichte“, beginnt er seinen Bericht über einen Brand in einer Fabrik, in der er mit seinem Onkel an der Elektrik gearbeitet hatte, über folgende Polizeiverhöre, Angriffe und Verhältnisse, die man mit den hiesigen nicht vergleichen könne.

Ob er in Deutschland bleiben kann, ist offen. Nach dem obligatorischen „Interview“ beim „BAMF“, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wurde sein Asylantrag wie bei fast allen Gambiern abgelehnt.

Damit einher ging die Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zehn Tagen zu verlassen. Lamin reichte Klage ein, ließ sich zudem davon überzeugen, seinen Reisepass zwecks Identitätsklärung abzugeben – obwohl er dadurch eine schnelle Abschiebung befürchtete.

Etappenziel Beschäftigungsduldung

Wenn alles klappt, hat er im April 2021 zwölf Monate Duldung geschafft. Damit wäre eine wesentliche Voraussetzung für die 2020 eingeführte Beschäftigungsduldung erfüllt. Sein eigenes Geld – weitere Bedingung – verdient er bereits bei einem Schopfheimer Beleuchtungsspezialisten, ebenso hat er die vorausgesetzten grundlegenden Deutschkenntnisse erworben. Erhält er die Beschäftigungsduldung, ist er zweieinhalb Jahre vor Abschiebung geschützt und könnte danach eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.

„Das ist der Weg, den Lamin geht“, erklärt Mathias Winzer. Der Sozialarbeiter beim Diakonischen Werk hatte sein Büro noch bis vor einem Jahr in der Unterbringung Gretherstraße, jetzt arbeitet er im Welcome-Center im Rathaus und engagiert sich hier für viele Schützlinge wie Lamin. Winzer ist es ein Anliegen, auf die Menschen und Schicksale hinter den Flüchtlingszahlen aufmerksam zu machen. Auch wenn die Bleibeperspektiven für Lamin gut stehen: Sicherheit gibt es nicht. Dass Menschen in ähnlicher Situation vom Arbeitsplatz weggeholt und ins Flugzeug gesetzt werden, kommt immer wieder vor, berichtet Winzers Kollegin Merlinda Bajo.

Winzer und Bajo wissen: Für ihre Klienten aus dem Ausland sind sie vielfach die wichtigsten deutschen Ansprechpersonen, und das über mehrere Jahre. Aktuell liegt der Betreuungsschlüssel bei 1:120, ab Oktober 2021 bei 1:140, erklärt Christina Hopfner, Fachbereichsleiterin Migration beim Diakonischen Werk.

Brückenbauer: Hilfe zur Selbsthilfe

Die Diakonie im Kreis Lörrach hat den Fachbereich im Zuge der 2014/15 rasant gestiegenen Zuwanderungszahlen von acht auf 22 Mitarbeiter aufgestockt. Allein im Stadtgebiet organisiert das Team ein vielgestaltiges Integrationsprogramm. Unterstützung beim Zugang zu Ausbildung oder Job gehören dazu genauso wie der Vorbereitungskurs Kinderpflege, der Kurs „Empowerment für Frauen“ oder die Angebote des Nadia Murad Zentrums, das ein Augenmerk auf die Betreuung traumatisierter Flüchtlingskinder legt. Ganz neu ist ein Projekt für Mädchen rund um Schule und Ausbildung.

„Wir verstehen uns als Brückenbauer, indem wir dabei helfen, hier Fuß zu fassen“, sagt Merlinda Bajo und Christina Hopfner ergänzt: „Es ist Hilfe zur Selbsthilfe, damit die Menschen wieder die Verantwortung für ihr Leben übernehmen können.“

Zugleich beraten die Sozialarbeiter tagtäglich ihre Klienten. „Manche kommen gar nicht, manche kommen öfter“, so die Erfahrung von Mathias Winzer. Waren es zu Beginn hauptsächlich Syrer und das Ziel vor allem Integration, so seien es im Moment mehr Afrikaner, deren Asylverfahren nach und nach abgearbeitet werden. „Aktuell suchen uns die meisten Leute auf, weil sie wieder Post bekommen haben“, schildert Winzer den Umgang mit reichlich Bürokratie. Ansonsten seien die Anliegen der Ratsuchenden vielfältig und reichten von Arbeits- und Wohnungssuche bis hin zu Spracherwerb und Kinderbetreuung.

Viel Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit

Bei der Diakonie mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit hofft man indes, dass die innerhalb von fünf Jahren aufgebauten Strukturen erhalten bleiben. „Ungefähr alle zehn bis 15 Jahre gibt es nun mal eine Welle der Fluchtbewegung“, sagt Christina Hopfner. Integration sei mitunter ein langer Weg und brauche den guten Willen der Migranten wie der Eingesessenen, ist Merlinda Bajo überzeugt. Dass sich die Angekommenen hier wohlfühlen, gehöre zur Integration dazu. Die promovierte Kriminologin ist zuversichtlich: „Auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden.“

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