Lörrach Das Herz schlägt für Schlesien

Gabriele Hauger
Die Hirschberger Trachten (v.l.): Berthold Josko, Barbara Geiss-Kaschel und Markus Moehring Foto: Gabriele Hauger

Diese Integration ist gelungen: Nach dem zweiten Weltkrieg flüchteten Millionen Deutsche aus dem Osten – auch nach Lörrach. Eine große Gruppe: die Schlesier.

Noch lebt sie, die Erinnerung, die Sehnsucht nach der alten Heimat. Und dies, obwohl die Mitglieder der hiesigen Landsmannschaft Schlesien im Landkreis Lörrach längst eine neue Heimat gefunden haben, sich wohlfühlen, Wurzeln geschlagen haben. „Eine bemerkenswerte Integrationsleistung“, befindet der Leiter des Dreiländermuseums Markus Moehring. Dennoch bleibt das Trauma der Vertreibung.

An die 100 Objekte

Das Depot seines Hauses verfügt über rund 100 Objekte, die die Erinnerung an die schlesische Kultur bewahren, die sich aber vor allem auf den Neuanfang der Vertriebenen in Lörrach beziehen. Kürzlich wurde diese Sammlung erweitert: Barbara Geiss-Kaschel und Berthold Josko übergaben dem Museumsleiter drei weitere sogenannte Hirschberger Trachten. Diese aufwendig gefertigten festlichen Kleider stammen allerdings nicht mehr aus der alten Heimat. „Auf der Flucht hatten wir anderes zu transportieren als Trachten“, erinnert sich der 82-Jährige an seine Flucht als Kind mit dem Flüchtlingstreck. Vielmehr wurden Anzug, Kinder- und Frauenkleid originalgetreu hier in der neuen Heimat, unter anderem von einem Schwarzwälder Trachtenschneider, nachgefertigt. „Vor allem die Stickerei ist ein Riesenaufwand“, erklärt Barbara Geiss-Kaschel, die jahrzehntelang als Mitglied der Trachtentanzgruppe über die Kleidung wachte und dies bis heute bei den noch vorhandenen tut.

Kümmert sich seit Jahrzehnten um die Trachten: Barbara Geiss-Kaschel Foto: Gabriele Hauger

Aus dem Hirschberger Tal

Dass die Hirschberger Trachten nun die Sammlung Schlesischer Museumsobjekte ergänzen liegt daran, dass man sie der Nachwelt bewahren möchte. Denn es schwindet die Erinnerung und das Wissen über die schlesische Heimat.

„Der Dialekt stirbt aus“

Die Kinder zeigen meist wenig Interesse an der ursprünglichen Heimat ihrer Vorfahren. „Der Dialekt stirbt aus“, bedauert Berthold Josko, der aus Ratibor stammt, selbst aber auch kein Schlesisch mehr kann. „Ein paar Kinderreime weiß ich noch. Aber richtig sprechen kann auch ich nicht“, ergänzt Barbara Geiss-Kaschel.

Damit die schlesische Kultur nicht ganz ausstirbt, dazu brauch es Museen. Das gelte für Schlesien genauso wie für viele andere Vertriebenen-Gruppen, sagt Markus Moehring. Im Museumsdepot werden bewahrenswerte Objekte archiviert. Er verweist auf alte Stadtansichten, auf einen Wimpel der Schlesischen Jugend- und Trachtengruppe Lörrach/Baden, einen Koffer von der Flucht oder einen Stuhl, den ein Vertriebener im Flüchtlingslager baute. Natürlich können nicht alle Objekte in der Museumssammlung Platz finden. Doch die Schlesier sind froh, dass ein Teil ihres „Schatzes“ hier sicher und umsichtig für die Nachwelt bewahrt wird.

Festtagsstaat für die ganze Familie Foto: Gabriele Hauger

Wissen bewahren

Sonst ginge viel Wissen unwiederbringlich verloren. So zum Beispiel Hintergründe der Tracht aus dem Hirschberger Tal. Verheiratete Männer durften nur mit Hut aus dem Haus. Silberne und goldene Hauben durften nur Verheiratete tragen. Und mit der Stickerei des weißen Kleides wurde bereits im Konfirmationsalter begonnen – damit es bis zur Hochzeit fertig war, erläutert die Trachtenspezialistin.

Lange Zeit wurden diese nachgeschneiderten Objekte bei Festivitäten und Tanzvorstellungen getragen. Die Schlesier waren sehr aktiv im Kreis, beteiligten sich an Umzügen und Festen, traten in der Schweiz und im Elsass auf. Die Gruppen – als letztes die Kindertanzgruppe – wurden nach und nach mangels Interesse aufgelöst.

Die verbliebenen 40 Mitglieder der Kreisgruppe treffen sich einmal im Monat. Es finden Aktivitäten wie Ausflüge statt, auch Reisen in die alte Heimat, wo noch eine kleine deutschsprachige Minderheit lebt, wie Josko erstaunt erfahrenen hatte. Er erkannte sein Elternhaus wieder, sonst bleibt ihm eine eher traumatische, schemenhafte Erinnerung an Flüchtlingstrecks, verhungerte Kinder, Bomben über Breslau oder Granaten, die rund um die Flüchtlinge explodierten.

Trauma sitzt tief

Barbara Geiss-Kaschel wollte früher eigentlich mit anderen beim Gruppentreffen über die Flucht sprechen. „Wir haben es versucht. Aber es ging nicht. Das sitzt zu tief“, sagt sie traurig.

Revanchismus liegt beiden fern. Vielmehr hoffen sie, dass die Kultur der Schlesier nicht vergessen wird – und wollen dazu ihren Beitrag leisten. Die Kreisgruppe der Landsmannschaft Schlesien soll nach ihren Wünschen noch möglichst lange bestehen: „solange noch ein Schlesier lebt, dessen Herz an der Heimat hängt.“

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading