Lörrach Dichter eint extreme Sprachlust

Christoph Schennen
Claudia Gabler im Gespräch mit Walle Sayer (links) und Markus Manfred Jung. Foto: Christoph Schennen

Auftakt der neuen Lyrikreihe „ars poetica“ mit Walle Sayer und Markus Manfred Jung .

Lörrach - Ehre für die Dichtkunst: Am Sonntag war der Auftakt der neuen Reihe „ars poetica“, die Lyriker vorstellt. Die Kuratorin der Reihe, Claudia Gabler, stellte dem Publikum, das zahlreich in die Lörracher Bar „Drei König“ gekommen war, Walle Sayer und Markus Manfred Jung vor. „Die Parallelen zwischen diesen beiden sind frappierend“, so Gabler. „Sie zeichnen sich durch eine extreme Sprachlust und die Freude, mit Klang zu experimentieren aus. In ihren Gedichten spiegelt sich die kulturelle Umgebung wider, in der sie sich aufhalten.“

Sayer und Jung kennen sich schon lange

Sayer und Jung kennen sich seit 20 Jahren, als beide Finalisten des Lyrikpreis Meran waren. Gabler, die selber Lyrikerin ist, hat sich letztes Jahr intensiv mit dem Werk von Sayer beschäftigt, weil sie anlässlich der Verleihung des Basler Lyrikpreises die Laudatio auf ihn hielt. Während Markus Manfred Jung einen Großteil seiner Gedichte auf alemannisch verfasst, spielt der schwäbische Dialekt bei Walle Sayer nur eine untergeordnete Rolle.

„Heimat kann was Enges haben. Meine Gegenwelt waren unter anderem die Gedichte von Günter Eich oder Rainer Brambach. Und die waren auf Hochdeutsch verfasst. Reine Mundart-Gedichte zu schreiben, habe ich mich nie getraut“, erzählt Walle Sayer. Dennoch so der in Bierlingen geborene Autor, habe ihn der Dialekt nie losgelassen. Er komme bei ihm aber nur in Form von Einsprengseln vor.

Im ersten Teil der Matinée stellten die beiden Autoren eine kleine Auswahl ihrer Gedichte vor. In ihnen paaren sich feine Beobachtungsgabe und eine Sensibilität für Dinge, die dem gewöhnlichen Betrachter verborgen bleibt.

Im Gedicht „An den Nebentischen“ versammelt Walle Sayer alle jene Eindrücke, die er in seiner Tätigkeit als Aushilfskellner gesammelt hat. In „Geheimnis des Kartoffelsalats“ beschreibt er lebendig ein Heimatgefühl, das sich auch darin ausdrückt, dass es bei der Zubereitung des Gerichtes auf die richtige Kartoffelsorte, die richtige Zubereitungsart und die sorgfältige Wahl der Zutaten ankommt. Nicht selten treffen bei ihm ungewöhnliche Paarungen aufeinander, etwa wenn der Feuerschlucker einen Wangenkuss gibt. Oder er schildert das Treiben an einer Wurfbude, deren Gewinne zu nichts zu gebrauchen sind.

Melancholie

Markus Manfred Jungs Gedichte durchzieht eine leichte Melancholie, wenn er etwa eine Person am Grab seines Vaters darüber sinnieren lässt, dass es noch so viel zu sagen gegeben hätte“. Auch die Missbilligung der Mundart mancher Zeitgenossen thematisiert Jung in einem Gedicht. „Die Mundart ist halt ein Sprachfehler, eine Unart, die sich auswächst“, heißt es dort.

Alemannisch ist für den ehemaligen Lehrer eine Widerstandssprache. „Dialekt wurde immer dort gesprochen, wo man sich gegen die Vereinnahmung von oben gewehrt hat.“ Wütend macht ihn zudem Unrecht. Sein Gedicht über das Schicksal der Jüdin Sara Isaak endet mit den Worten: „Einem schwärzt man den Namen, dir dein Leben“. Jung geht hier auf die mangelnde Verfolgung von NS-Straftätern ein, deren schändliches Wirken vertuscht werden sollte.

Im zweiten Teil der Matinée kommt es zu einem spannenden Dialog. „Wir haben uns unsere Texte zugeschickt“, erklärt Walle Sayer das Verfahren, „und dann einen eigenen Text geschrieben, der dazu passt.“ „Die Gedichte verbindet ein Grundgefühl“, ergänzt Jung, „das auf der Wortebene nicht immer sichtbar wird.“ Die beiden Lyriker lesen wechselseitig die Gedichte vor, die sich aufeinander beziehen.

Claudia Gabler will von ihnen zum Abschluss noch wissen, ob man nur das schreiben könne, was man auch selbst erlebt habe. „Lyrik zu schreiben, komme nicht ohne Erfahrung aus, aber man kann sich auch davon lösen“, antwortet ihr Walle Sayer. Ein Gedicht beinhalte für ihn das Zeitenthobene und das aus der Geschwindigkeit Heraustretende.

Wer Gedichte verfasse, müsse ganz bei sich sein, sagt Jung, den Moden in der Lyrik nicht interessieren. Dennoch lese er auch die Werke junger Literaten, und es gäbe darunter vieles, was ihm gefalle.

Ziel der „ars poetica“-Reihe ist es, die Lyrik in ihrer Bandbreite und die vielen Spielarten dieser Gattung vorzustellen. Es soll auch Lesungen mit Musikbegleitung geben. Damit gehe man auf die Ursprünge der Lyrik zurück, deren Vortrag anfangs von einer Lyra begleitet wurde.  „Junge Lyrik“: 20. Januar, ab 11 Uhr, „Drei König“ mit dem Bieler Autor Rolf Hermann; die nächste Hörspielmatinée ist am Sonntag, 25. November, ab 11 Uhr in der Bar „Drei König“. Dann stellt Regisseurin Felicitas Ott das Hörspiel „Einstiegskurs“ vor.

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