Alemannisch ist für den ehemaligen Lehrer eine Widerstandssprache. „Dialekt wurde immer dort gesprochen, wo man sich gegen die Vereinnahmung von oben gewehrt hat.“ Wütend macht ihn zudem Unrecht. Sein Gedicht über das Schicksal der Jüdin Sara Isaak endet mit den Worten: „Einem schwärzt man den Namen, dir dein Leben“. Jung geht hier auf die mangelnde Verfolgung von NS-Straftätern ein, deren schändliches Wirken vertuscht werden sollte.
Im zweiten Teil der Matinée kommt es zu einem spannenden Dialog. „Wir haben uns unsere Texte zugeschickt“, erklärt Walle Sayer das Verfahren, „und dann einen eigenen Text geschrieben, der dazu passt.“ „Die Gedichte verbindet ein Grundgefühl“, ergänzt Jung, „das auf der Wortebene nicht immer sichtbar wird.“ Die beiden Lyriker lesen wechselseitig die Gedichte vor, die sich aufeinander beziehen.
Claudia Gabler will von ihnen zum Abschluss noch wissen, ob man nur das schreiben könne, was man auch selbst erlebt habe. „Lyrik zu schreiben, komme nicht ohne Erfahrung aus, aber man kann sich auch davon lösen“, antwortet ihr Walle Sayer. Ein Gedicht beinhalte für ihn das Zeitenthobene und das aus der Geschwindigkeit Heraustretende.
Wer Gedichte verfasse, müsse ganz bei sich sein, sagt Jung, den Moden in der Lyrik nicht interessieren. Dennoch lese er auch die Werke junger Literaten, und es gäbe darunter vieles, was ihm gefalle.
Ziel der „ars poetica“-Reihe ist es, die Lyrik in ihrer Bandbreite und die vielen Spielarten dieser Gattung vorzustellen. Es soll auch Lesungen mit Musikbegleitung geben. Damit gehe man auf die Ursprünge der Lyrik zurück, deren Vortrag anfangs von einer Lyra begleitet wurde. „Junge Lyrik“: 20. Januar, ab 11 Uhr, „Drei König“ mit dem Bieler Autor Rolf Hermann; die nächste Hörspielmatinée ist am Sonntag, 25. November, ab 11 Uhr in der Bar „Drei König“. Dann stellt Regisseurin Felicitas Ott das Hörspiel „Einstiegskurs“ vor.