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Lörrach Diese Frau haut alles raus

Gabriele Hauger
Tamika Campbell – Powerfrau mit bewegter Kindheit und Jugend Foto: Vincent Barker

Interview: Tamika Campbell sprüht vor Energie. Das spürt man selbst durchs Telefon. Die deutsch-amerikanische Comedian kommt jetzt erstmals in den Burghof mit dem bezeichnenden Programm „Drama Magnet“. Eine Frau, die viel zu erzählen hat.

Sie haben schon viele Jobs gemacht. Wie kamen Sie 2007 zur Comedy?

Zufall! Erst mal habe ich verschiedene Ausbildungen gemacht. Als ich neu nach Deutschland kam, war ich begeistert, wie viele Möglichkeiten man hier hat. Ich war Hotelfachfrau, Visagistin, Zimmerin. Aber ich wusste nie so genau: Was will ich wirklich? Wer bin ich? Eines Tages stand ich im Berliner Zoo und alberte herum. Auf einmal stand eine Menschenmenge um mich herum, und irgendjemand stellte sogar einen Hut auf den Boden. Da waren plötzlich unglaubliche 700 Euro drin. Da dachte ich mir: Ihr zahlt, weil ich rede? Cool. Eine Frau fragte mich dann, ob ich professionell Stand-up Comedy mache. Und ich antwortete: Ach, war das das?

Was haben Sie denn so lustig erzählt?

Ich habe von meiner Kindheit in New York erzählt, wie gefährlich, wie chaotisch, wie laut und wie schmutzig es da ist, und auch über die Kakerlaken. Dabei findet jeder hier in Deutschland New York so toll. Ich hingegen hab’ denen mal erzählt, wie toll ich Deutschland finde. Die Leute haben sich kaputt gelacht. Eine Zuhörerin wollte mich dann an eine englischsprachige Comedy-Show vermitteln, weil es da zu wenig Frauen gäbe. Ich hätte nie gedacht, dass die sich noch mal meldet. Doch sie rief an: Dienstag, zwei Mal 15 Minuten. Alles klar.

Waren Sie nicht aufgeregt?

Doch, klar. ich dachte: Oh Gott, was tue ich jetzt? Haare waschen, schlafen, mich krank melden? Aber dann dachte ich: Hey, Du hast so viel erlebt und ausprobiert, mach das!

Wie war der erste Auftritt?

Als ich zum ersten Mal da oben stand, war mir sofort klar: Meine ganze Vergangenheit, mein Schmerz, meine Erfahrungen, das hat seinen Platz hier auf der Bühne. Bis dahin hatte ich keinen richtigen Ort, keine Heimat für mich gefunden. Auf der Bühne machte alles plötzlich Sinn. Hier hat alles Platz: Auf der Bühne bin ich nicht seltsam, auf der Bühne bin ich nicht verletzlich, auf der Bühne habe ich keine Schmerzen, bin ich nicht zu dick, nicht zu schwarz, nicht zu laut, oder nicht weiblich genug. Auf der Bühne bin ich Zuhause.

Sie hatten eine extrem harte Kindheit und Jugend. Was haben Sie alles durchgemacht?

Ich bin in einer Sekte aufgewachsen. Im Namen Gottes habe ich alles erlebt, was einem Kind Schlimmes passieren kann: sexuellen Missbrauch, Prügel, ich wurde eingesperrt, musste hungern – und das alles mitten in New York.

Nach solchen Erlebnissen ist jeder Mensch traumatisiert. Hilft Ihnen die Bühne, das alles zu verarbeiten?

Auf der Bühne zu stehen, ist mir zunächst einmal eine große Ehre. Ich bin nicht mehr alleine. Wenn ich erzähle, wie ich fühle, wie mein Gehirn arbeitet, dann erreiche ich Menschen, die vielleicht Ähnliches erlebt haben. Und gemeinsam können wir dann darüber lachen. Das heilt.

Sie thematisieren Ihre Erlebnisse also auch in Ihren Programmen?

Nur in meinen Solo-Programmen. Zunächst mal sollen mich die Zuschauer kennenlernen und viel lachen, bevor auch die dunkle Seite zum Vorschein kommt. Und auch diese bringe ich mit Humor und Witz rüber. Erst müssen sich mir die Menschen nahe fühlen, ehe sie gemeinsam mit mir auch über Trauriges lachen können.

Sie haben einen Deutschen geheiratet und sind mit ihm erstmals nach Deutschland gekommen. Was haben Sie erwartet?

Ich habe die USA vorher nie verlassen. Ich hatte ehrlich gesagt keine richtige Zivilisation erwartet. In Amerika denken viele, die alten Europäer sind noch nicht so weit, hausen noch in Höhlen und Tipis, sind Barbaren. Ich aber dachte: Lieber ziehe ich irgendwo in die Pampa, wo ich meinen eigenen Käse machen muss, als weiter in New York City zu bleiben! Den Koffer hatte ich für alle Fälle voller Obst und Gemüse gepackt.

Wie war die Ankunft?

Ich bin in Frankfurt gelandet und dachte: Huch, die haben ja eine Skyline! Und zu meiner Freude lernte ich schnell, dass es hier auch Wasch- und Spülmaschinen gibt.

Was macht Sie in Deutschland bis heute fertig?

Der Papierkram! Die Steuererklärung! Was man hier alles ausfüllen muss! Du stellst einen Antrag, und die Leute wollen wissen, was es bei deiner Oma am 15. Dezember zum Mittagsessen gab! Das will nicht in meinen Kopf. Was mich hier auch fertig macht, ist, wie lasch viele Gesetze sind. Zum Beispiel beim Kinderschutz, bei Senioren, die jahrelang gearbeitet haben und nun viel zu wenig Rente bekommen.

Und was gefällt Ihnen?

Zum ersten: Deutschland ist nicht Amerika! Das ist das A und O. Außerdem liebe ich die deutsche Sprache. Nicht unbedingt die Artikel. Aber wie genau man sich ausdrücken kann. Und ich liebe die bayrische Küche. Mir gefällt, dass die Menschen hier ihre Traditionen bewahren.

Sie sprechen fantastisch Deutsch. Haben Sie sich das tatsächlich selbst beigebracht?

Ich habe noch keine einzige Unterrichtsstunde in Deutsch gehabt.

Ist es schwer, in einer Fremdsprache komisch zu sein?

Sprache und Kultur gehören zusammen. Nicht jedes Thema kann in jeder Sprache thematisiert werden. Nicht jeder Witz ist transportierbar. Ich mache ja auch auf Englisch und Arabisch Comedy. Da sind aber die Pointen oft ganz anders gesetzt. Ich liebe das, für mich ist das eine Challenge, die mich jung hält. Manchmal gehe ich mit einer Idee auf die Bühne, und auf einmal biege ich in eine ganz andere Richtung ab. Meine Witze sind oft nicht bis zu Ende geschrieben. Da bin ich manchmal über mich selbst überrascht.

Sie sind unglaublich sprachbegabt, sprechen auch Hindi, lernen gerade Türkisch. Sie lieben die verschiedenen Kulturen?

Ja, das ist in mir drin. Denn ich bin auf der Suche nach einer Kultur. Ich gehöre nirgendwo wirklich hin, habe keine Familie. Deswegen bleibe ich so offen für alles neue.

Was erzählen Sie in Ihrem neuen Programm in Lörrach?

Die Botschaft ist, dass ich ein Drama-Magnet bin. Ich ziehe stets Menschen in mein Leben, die mir eigentlich nicht gut tun. ich habe immer das Gefühl: Ich muss die Welt retten. Ich muss für jeden da sein, weil für mich keiner da war. Ich versuche, die Person zu sein, die ich als Kind gebraucht hätte. Dazu brauche ich viel Energie. Bei mir geht oft vieles schief. Ich bin es gewohnt, im Sumpf, in Problemen zu sitzen. Und wenn mal alles gut ist, finde ich bestimmt irgendetwas, was ein bisschen Drama reinbringt. Ich habe das erkannt und will nun einen anderen Weg gehen. Das erzähle ich dem Publikum...

...und dabei gibt es ganz schön viel zu lachen! Nun aber noch ein ernstes Thema: Erleben Sie in Deutschland Rassismus?

Ich wohne jetzt in Brandenburg. Jeder hat mich davor gewarnt. Ich werde hier aber super behandelt. Bayern war für mich ein Problem. Ich lebte in einer Gemeinde: Oh mein Gott. Molotowcocktails, Steine durchs Fenster, Beschimpfungen. Ich dachte: Ihr seid sauer auf mich? Damit habe ich nichts zu tun. Das ist euer Problem. Mich stört das nicht. Die Menschen, die das tun, sind eher ignorant als rassistisch. Idioten gibt es überall. Als ich jung war, habe ich dumme Menschen gehasst. Jetzt sehe ich das eher als Material für die Bühne. Also her mit dem Bullshit.

Ich hätte Sie – aus New York kommend – eher in Berlin verortet?

Ich habe lange in der Hauptstadt gewohnt. Ich will das nicht mehr. Diese Unhöflichkeit, die Mietpreise, die Hektik, da habe ich null Bock drauf. Ich stehe auf der Bühne vor tausenden Leuten, da möchte ich Zuhause die Mücken fliegen hören und die Beine hochlegen. Zuhause bin ich eine ganz normale Frau und Mutter, bodenständig, ich koche für mich, kaufe bei Lidl ein, engagiere mich gerne zum Beispiel für Obdachlose.

Sie hatten eine furchtbare Kindheit. Was wünschen Sie Ihrer 14-jährigen Tochter?

Ein gutes Leben. Aber gerade ist es nicht sehr einfach zwischen uns. Ich sage nur: Pubertät. Was mich echt stört: Egal, was man sagt, du bist immer falsch. Dieses Wesen, dem du alle Liebe gegeben hast und gibst, die motzt und spuckt dich an und versteht diese Liebe nicht. Du versuchst, das nicht persönlich zu nehmen. Ich wünsche, dass meine Tochter das eines Tages versteht. Viele Kinder wissen gar nicht, wie privilegiert sie sind und meckern nur rum. Aber: Ich bin nicht nur Mutter, ich bin auch Mensch!

Apropos schimpfen. Das können Sie richtig gut.

Ja, die Deutschen meckern immer so ruhig. Wir als Schwarze in New York hauen alles raus. Pure Energie. Wenn eine Banane nicht gelb genug ist, wird’s laut: Bäm!

Tamika Campbell: „Drama Magnet“, Samstag, 9. Dezember, 20 Uhr, Burghof Lörrach

Zur Person

Tamika Campbell
, 1974 geboren, ist eine deutsch-amerikanische Comedian.

 

 

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