Lörrach Ein Rüstungsbetrieb der indirekten Art

Hubert Bernnat
Zum Tag der nationalen Arbeit am 1. Mai 1935 muss auch die Raymond-Belegschaft antreten. Im Vordergrund ist mit hellem Anzug der französische Geschäftsführer Jean Perrochat zu sehen. Die Männer mit Schirmmützen tragen Uniformen der Deutschen Arbeitsfront, der Zwangsvereinigung von Gewerkschaften und Arbeitgebern Foto: Firmenarchiv ARaymond

Vor 125 Jahren eröffnete Raymond seinen Betrieb an der Teichstraße. Das heutige Weltunternehmen hat eine wechselvolle Geschichte erlebt. Die Jahre des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs wurden zur Bewährungsprobe.

Als die Nationalsozialisten im Jahr 1933 an die Macht kamen, war die Druckknopf- und Metallwarenfabrik Raymond, wie sie mittlerweile hieß, infolge der Weltwirtschaftskrise in große Schwierigkeiten geraten. Doch dem französischen Geschäftsführer Jean Perrochat gelang es ab 1935 auch durch Produkte für die Automobilindustrie, die Firma zu stabilisieren und weiter auszubauen.

Kriegsbeginn ändert alles

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 durch den deutschen Überfall auf Polen und die damit verbundene Kriegserklärung Frankreichs änderten aber alles. Perrochat musste fluchtartig Deutschland verlassen. Wie schon im ersten Weltkrieg stand Deutschland im Kriegszustand mit Frankreich, wieder wurde Raymond als feindlicher Besitz betrachtet. Friedrich Vortisch, der Rechtsberater der Firma, konnte die Zwangsverwaltung nicht übernehmen, da er den Nationalsozialisten wegen seiner liberal-demokratischen Gesinnung nicht genehm war. Es gelang aber, seinen Bürovorsteher Carl Kapp in diese Position zu bringen, der die Firma formal pachtete. Die Verträge zwischen Achille Raymond und Kapp wurden über die Schweizerische Treuhandgesellschaft in Basel abgeschlossen, die in Vermögens- und Kreditfragen schon länger im Auftrag der Familie Raymond tätig war.

Kapp, der vor 1933 für das Zentrum politisch tätig war, hatte nun die Aufgabe, zwischen dem immer massiveren Druck des nationalsozialistischen Regimes, seiner eigenen Überzeugung und den Interessen der Eigentümerfamilie Raymond zu lavieren. Zu dieser liefen die Kontakte vor allem über die Treuhand in Basel.

Situation spitzt sich zu

Die Situation spitzte sich zu, als es im Mai 1940 tatsächlich zum Angriffskrieg zwischen Deutschland und Frankreich kam, der mit einem schnellen Sieg Adolf Hitlers endete. Grenoble, der Stammsitz der Raymond-Werke, gehörte formal zum unbesetzten Teil Frankreichs. Dessen Regierung unter Marschall Philippe Petain war allerdings von Hitler-Deutschland abhängig.

Die Nationalsozialisten hatten schon vor Kriegsbeginn in die Wirtschaft eingegriffen, um die Aufrüstung zu forcieren. Auch Raymond produzierte für die 1935 neu formierte Wehrmacht, vor allem Uniformknöpfe, Ösen und Unterlegscheiben. Doch mit Kriegsbeginn nahmen diese Eingriffe zu. Raymond wurde zum „W-Betrieb“ erklärt, zum wehrwirtschaftlich wichtigen Betrieb. Die Produktion musste immer stärker auf die Bedürfnisse des Kriegs umgestellt werden. Die Herstellung von Artikeln für den zivilen Bedarf und für den Export ging immer weiter zurück.

Vor allem seit dem Überfall auf die Sowjetunion zur Schaffung von Lebensraum im Osten im Juni 1941 wurde die Kriegsproduktion massiv gesteigert. Dabei produzierte Raymond nur indirekt für die Rüstung. Alle Artikel wie Druckknöpfe, Drehverschlüsse und Befestigungselemente konnten für die Herstellung von Kriegsgerät verwendet werden, aber ebenso gut für zivile Bedürfnisse. Man kann feststellen, dass sich die Firma Raymond unter Carl Kapp dem nationalsozialistischen System anpassen musste, aber nie ein nationalsozialistischer Betrieb im ideologischen Sinne war. So gab es im Betrieb und an der Führungsspitze keine ausgesprochen aktiven Nationalsozialisten, was auch die Entnazifizierungsverfahren nach 1945 zeigen. Im Betrieb wurden auch keine Zwangsarbeiter eingesetzt, lediglich zwei französische Kriegsgefangene mussten ab 1940 für Raymond arbeiten.

Aus den noch reichlich vorhandenen Firmenunterlagen dieser Zeit lässt sich auch zeigen, wie die kriegswichtigen mittelständischen Firmen wie Raymond in ein Wirrwarr von überbordender Bürokratie und teilweise sich widersprechenden Befehlsgewalten geriet. So sollte die Produktion gesteigert werden, gleichzeitig wurden aber Facharbeiter in den verbrecherischen Krieg geschickt, mindestens sechs kamen dabei ums Leben.

Man sollte einerseits für das Panzerprogramm liefern, einem Prestigeprojekt Hitlers, andererseits für das Luftwaffenprogramm Görings. Beide verlangten für ihre Artikel die höchste Dringlichkeitsstufe und drohten bei Nichterfüllung mit dem Kriegsgericht. Die Arbeitszeit wurde auf 60 Stunden in der Woche erhöht, die Arbeitskräfte gleichzeitig durch die immer schwierigere Versorgung zusehends erschöpft. Auch Frauen, die bei Raymond immer einen beachtlichen Anteil der Belegschaft stellten, wurden zum Beispiel als Luftwaffenhelferinnen dienstverpflichtet.

Durch die zunehmende Belastung lag der Krankenstand teilweise bei 30 Prozent. Die auch im Betrieb aufgehängten Parolen gerieten in großen Widerspruch zur realen Situation.

Als am 24. April 1945 französische Truppen einmarschierten und die Herrschaft der Nationalsozialisten beendeten, stand der Betrieb bei Raymond bereits seit einigen Monaten still. Zuletzt waren noch rund 40 Personen beschäftigt, in der Vorkriegszeit waren es rund 100.

Grenznähe als Schutz

Geschützt durch die Nähe zur Schweizer Grenze und die weitgehend kampflose Übergabe Lörrachs blieb der Betrieb unbeschädigt. Als französischer Betrieb in der französisch besetzten Zone hatte Raymond nun Vorteile. Carl Kapp hatte die Gewinnanteile, die der Familie Raymond zustanden, auf ein Sonderkonto eingezahlt. Die Schweizer Treuhandgesellschaft erstellte eine Abschlussbilanz und so konnte die Firma wieder an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben werden.

Der Autor ist Historiker, Gymnasiallehrer und ehemaliger Direktor des Hans-Thoma-Gymnasiums in Lörrach. Er ist auch Mitglied im Redaktionsteam des Stadtbuchs Lörrach.

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