Lörrach Eine neue Vielfalt

Regine Ounas-Kräusel
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Schöpflin Stiftung: Max Czolleks las online aus seinem Buch „Gegenwartsbewältigung“.

Lörrach-Brombach - Der Berliner Autor Max Czollek wirbt in seinem Buch „Gegenwartsbewältigung“ für eine Gesellschaft der radikalen Vielfalt. Am Dienstag las er daraus per Livestream auf Einladung der Schöpflin Stiftung im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus.

Mit Birgit Degenhardt und Dorothee Vogt von der Stiftung und Zuhörern diskutierte er dabei auch die Frage, wie ein Gesellschaftsmodell aussehen könne, das die Existenz der AfD unmöglich macht.

Max Czollek zeichnete das Bild einer „postmigrantischen“ Gesellschaft, in der Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und Erfahrungen leben. Gängige politische Denkmuster wie das der Leitkultur passten nicht mehr zu dieser Vielfalt: „Die Gesellschaft ist eine andere geworden.“ Das Streben nach Harmonie hielt er für problematisch: „Weil dann Vielfalt zur Bedrohung wird.“ Er warnte auch vor völkisch, geschlossenen Weltbildern wie bei der AfD. Gerade in großen Städten wie Berlin, wo viele gesellschaftliche Gruppen lebten, gehe es nicht immer harmonisch zu. Aber sie seien lebendig und vital.

Der Autor warb für mehr Sensibilität gegenüber Diskriminierung. Er schilderte, wie vier weiße Menschen in einer WDR-Sendung über Rassismus in der Alltagssprache diskutierten. Erst nach Zuschauerprotesten fiel den Programmmachern auf, dass sie keine Vertreter von Minderheiten eingeladen hatten. Czollek hinterfragte auch, ob es bei der Solidarität in der Corona-Pandemie wirklich um den Schutz aller gehe oder doch nur um die eigene Familie? Fehlte diese Solidarität in den Anfängen der AIDS-Seuche vielleicht, weil sie zunächst nur homosexuelle Männer betraf?

Scharfe Diskussionen nicht scheuen

Dorothee Vogt fragte, wie man in Zeiten geschlossener Theater und Kultureinrichtungen einen Diskurs über eine vielfältige Gesellschaft führen könne? Max Czollek empfahl, mit unterschiedlichen Menschen Bündnisse zu bilden und scharfe Diskussionen nicht zu scheuen. Trotz aktuellem Corona-Lockdown betrachtete er Popkultur, Literatur und Kunst als wichtige Felder der Begegnung.

Die Grenzen zwischen diskriminierten und privilegierten Gruppen seien fließend, machte er Mut: Er selbst zähle als Jude und Ostdeutscher zu diskriminierten Gruppen. Er habe aber auch studiert, könne gut reden und die Leute hörten ihm zu, sagte er und empfahl, solche Ressourcen zu nutzen.

Czollek selbst scheut vor scharfen Debatten nicht zurück. Auf die oft gehörte Beteuerung, das Judentum gehöre untrennbar zu Deutschland, reagierte er sarkastisch: „Bei den Juden hat es 1700 Jahre und einen Völkermord gebraucht, bis man sich mit ihrer Anwesenheit abgefunden hat.“ Er erinnerte an die Gleichstellung der Juden im Deutschen Reich 1871. Im Mittelalter hätten sie aber mit eigener Rechtsprechung für Alltagsfragen in einer Parallelgesellschaft in nichtjüdischer Umgebung gelebt.

Der Idee der christlich-jüdischen Leitkultur setzte er die Idee einer jüdisch-muslimischen Leitkultur entgegen, um das Judentum unabhängig von der deutschen Dominanzkultur betrachten zu können, wie er erklärte. Er verwahrte sich auch dagegen, die Verantwortung für den Antisemitismus in Deutschland auf zugewanderte Muslime abzuwälzen.

Max Czollek lebt seit seiner Geburt 1987 in Berlin. Politikwissenschaftler, Promotion am Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin. Unter anderem Mitherausgeber des Magazins „Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart“ und Mitglied im Lyrikkollektiv G 13.

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