Das Stimmenfestival wird 25 Jahre alt – eine gute Gelegenheit für einen Rückblick: In unserer Serie widmen wir jedem Stimmen-Jahrgang eine Seite. Die Folgen erscheinen bis zum Ende des diesjährigen Festivals in regelmäßigen Abständen. Heute schreibt Kristoff Meller über sein erstes Jahr als Konzertfotograf 2009.

Von Kristoff Meller

Lörrach. Aktuelle Popstars auf dem Marktplatz, Weltmusik im Rosenfelspark, dazu eine räumliche und zeitliche Konzentration. Das Stimmenfestival 2009 bot ein  Programm mit wenigen Experimenten: „Helmut Bürgel und sein Team haben nach dem teilweisen Misserfolg im vergangenen Jahr den sicheren Weg der Konsolidierung gewählt“, hieß es in einem  Kommentar unserer Zeitung.

Für mich hingegen war das Festival 2009 ein großes Experiment. Bis dato überwiegend auf hiesigen Sportplätzen sowie in Bundesliga-Stadien mit der Kamera unterwegs, sollte ich erstmals Musiker fotografieren. Stimm- statt Ballakrobaten, Bühnengraben statt Spielfeldrand.   

Ein Vorteil: Während Torschuss und -jubel des SC Freiburg innerhalb von wenigen Minuten auf dem Server der Agentur landen sollten, blieb beim Konzert etwas mehr Zeit für die Bildauswahl. Allerdings musste ich mich erst daran gewöhnen, dass der Fotografeneinsatz keine 90 Minuten sondern maximal drei Lieder dauert. Länger wollen sich die Stars in der Regel nicht ablichten lassen. Doch dazu später.

Gleich zum Auftakt wartete mit Bobby McFerrin ein ganz Großer und treuer Freund des Festivals auf mich. Sein Improvisationsprojekt „Bobble“, das an zwei Abenden im Amphitheater von Augusta Raurica aufgeführt wurde, war bereits der vierte Besuch des Künstlers bei „Stimmen“. Bei dem vom Turmbau zu Babel inspirierten Projekt stand er allerdings nicht alleine auf der Bühne sondern mit 20 weiteren Profisängern unterschiedlichster Herkunft. Für einen Fotografen keine leichte Aufgabe.  

Am Ende sprangen dennoch einige gute Bilder heraus. McFerrin und die antike Kulisse im sonnigen Abendlicht waren aber auch dankbare Motive. Mein Interesse an der Konzertfotografie war geweckt.

Weitaus schwieriger wurde es tags darauf: Monteverdis Marienvesper im Burghof. Für einen sportbegeisterten Studenten, der als Kind immerhin mal Blockflöte und Saxofon gelernt hat, keine leichte Kost. Dazu ein schwarz gekleideter  Chor  vor dunklem Bühnenhintergrund. Eine Herausforderung für jeden Fotografen.

Auslösegeräusch beim Marienvesper schmeckt nicht jedem Besucher

Noch dazu, da das nicht gerade geräuschlose Auslösen der Spiegelreflexkamera im klassischen Konzert anders als im Stadion durchaus stören kann. Zumal wenn der Festivalleiter eine Reihe hinter einem sitzt. Ziemlich eindeutig gab Helmut Bürgel uns Fotografen nach höchstens drei Minuten zu verstehen, dass wir die Kameras nun einpacken sollten. Entsprechend spärlich fiel die Fotogalerie aus.

Zum Glück übertönte Cristina Branco, auch bekannt als „Muse des Fado“, einen Abend später am gleichen Ort mit ihrer eindrucksvollen Stimme das Auslösegeräusch. Und auch bei „Der Schrei“,  das „wohl ungewöhnlichste Projekt, das je ein Orchester gewagt hat“, so  unsere Zeitung, war es alles andere als leise.

200 Jugendliche aus Lörrach, Schopfheim und anderen Städten aus dem Ländle bespielten gemeinsam mit dem SWR-Sinfonieorchester  den kompletten Burghof. Das beste Bild des Abends: Eine jugendliche Bläsergruppe mit  schrillem Outfit auf der Theke im Foyer.  Ein starker Kontrast zum Orchester in klassischem Schwarz auf der Bühne. „Jugendkultur und Konzerttradition traut vereint“, schrieb unsere Zeitung, auch ich war beeindruckt.

Jazz in drei Gängen im Wenkenpark

Dennoch freute ich mich nach den Ausflügen ins Kulturhaus,  wieder ins Freie zu kommen. Denn Open-Air-Konzerte bieten gerade bei so tollen äußeren Bedingungen wie bei den meisten Stimmen-Konzerten  2009 für Fotografen viel mehr Möglichkeiten: Man nehme beispielsweise einen warmen Sommerabend, eine traumhaftschöne Parklandschaft und serviere dort Jazz in drei Gängen: Lisa Sokolov, Lisette Spingler und zuletzt Melody Gardot  im Dressurviereck des Riehener Wenkenparks. Wow!  Noch heute erinnere ich mich an den Moment, als Gardot uns mit dem Cognac-Glas zuprostete und ich abdrückte.

Auch der zweite Abend im Riehener Park, wo heute nur noch in der Reithalle musiziert wird, profitierte vom Wetterglück.   1500 Leute (ausverkauft!) wollten Lambchop  und vor allem den Calexico-Sound  hören. Joseph Burns und seine Mitstreiter begeisterten nicht nur die Kritiker  mit dem „stilübergreifenden Wüstensound“. Den Besuchern stand es dabei frei, ob sie dieser mit Mariachi-Trompeten und Fernweh-Klängen angereicherten Musik auf einer  Picknickdecke  irgendwo im weitläufigen Park oder ganz nah im Gedränge vor der Bühne   lauschten. Super!

Vergessene Interviews und Knebelverträge für Fotografen

Auf Wenkenpark folgte Weltmusik. Und auch wenn im  Rosenfelspark das Wetter nicht an jedem Abend  mitspielte, war ich  sofort begeistert von der abendlichen Atmosphäre im „Wohnzimmer“ des Festivals. Noch mehr freute ich mich allerdings auf die fünf anknüpfenden Abende im Herzen der Innenstadt – der Marktplatz.

 Doch noch bevor dort der erste Ton erklang, musste ich   feststellen, dass mit dem Bekanntheitsgrad der Künstler meist auch die  Einschränkungen für die Presse steigen. Während Sophie Hunger im Rosenfelspark lediglich einen Interview-Termin unentschuldigt verstreichen ließ, schickte das Management von Tracy Chapman schon Tage im Voraus einen mehrseitigen Knebelvertrag auf Englisch: Man dürfe sie nur ablichten, wenn sämtliche Fotos vor der Veröffentlichung vorgelegt und nach dem Abdruck gelöscht werden. Die US-Sängerin, die als soziales Gewissen ihres Landes gilt, nahm sich das Recht heraus, die zugeschickten Aufnahmen  ohne Honorar für Werbezwecke zu nutzen. Inakzeptabel!

Wir verzichteten auf eine fotografische Berichterstattung  über das Konzert der fotoscheuen Künstlerin. Beim Soundcheck am Mittag versteckte sie sich übrigens  hinter einem großen Vorhang. Für mich war daraufhin nach der Vorgruppe (Scott Matthew) Feierabend. Den Wolkenbruch zu Beginn des „überraschend überraschungslosen“ Auftritts von Tracy Chapman, so die Kritikerin unserer Zeitung, erlebte ich dadurch im Trockenen statt im Bühnengraben.

Auch das Management von „Ich+Ich“ hatte zunächst auf ähnlichen Forderungen bestanden, verzichtete aber aufgrund des angedrohten Berichterstattungsboykotts kurzfristig darauf. Das Ergebnis: Tolle Fotos eines tollen Konzerts mit Adel Tawil und knapp 5000 Fans.  

Ganz ohne Starallüren und Fotoeinschränkungen präsentierte sich Milow („Ayo Technology“) nicht nur beim „Meet and Great“ im Alten Rathaus sondern auch als „Vorband“ von James Morrison. Und auch für den Schlusspunkt des 2009er-Jahrgangs mit „Snow Patrol“ galt der Standard für Fotografen: drei Songs, kein Blitz.

Die Zaungäste stehen fast bis zur Stadtkirche

Tolle Auftritte, keine Frage, die „Riesenparty“  (Helmut Bürgel) fand jedoch bereits einen Tag zuvor mit  Peter Fox statt. „Er ist der Popstar des Jahres“, seine Tournee sei „ein Triumphzug“ hieß es im Vorfeld. Wohl auch weil der Reggae- und Hip-Hop-Musiker mitten im Vorverkauf in einem Interview  verkündet hatte, seine Solopläne schon bald wieder ad acta zu legen, war das Konzert seit Monaten restlos ausverkauft.

Entsprechend begehrt waren alle Plätze in Hörweite des Festivalgeländes. Die Fans standen fast bis zur Stadtkirche auf der Straße. Jedes Fenster rund um den Marktplatz war besetzt, als Peter Fox und seine riesige Combo mit ihren Affenmasken auf die Bühne traten. Ja, selbst Häuserdächer wurden zu nicht ganz ungefährlichen Stehplätzen, um im Takt der Trommelformation „Cold Steel Drumline“ zu tanzen.

Nicht nur für die Fans auch für uns Fotografen ein denkwürdiger Abend. Ich erinnere mich noch heute daran, wie ich meine Kamera mit dem Weitwinkelobjektiv  in die Höhe streckte und auf den Rand der meterhohen Bühne legte, nur Zentimeter vor den Füßen von Peter Fox, während dieser sein Markenzeichen – ein buntes Tüchlein – locker durch die Luft wirbelte. Klick!

Der Autor
Kristoff Meller war zunächst als freier Fotograf für Zeitungen und Agenturen bei Sportveranstaltungen im Einsatz – bis 2009 die Anfrage der „Oberbadischen“ für das Stimmenfestival kam. 2011 folgte ein Volontariat und im Anschluss eine Anstellung als Redakteur im Ressort Lörrach. Seit 2009 hat er keine Ausgabe des Stimmenfestivals mehr verpasst und die Mehrzahl der Konzerte fotografisch begleitet.