^ Lörrach: Erinnerung im öffentlichen Raum - Lörrach - Verlagshaus Jaumann

Lörrach Erinnerung im öffentlichen Raum

Kristoff Meller

Ausschreibung zur Verlegung von Stolpersteinen in Lörrach / Fokus „auf  würdige und feierliche Zeremonie“. Stiftung des Projektkünstlers sieht noch Diskussionsbedarf.

Lörrach - Der Gemeinderat hat im September 2019 beschlossen, ein Beiratsverfahren zur Verlegung von Stolpersteinen als Teil der Lörracher Erinnerungskultur durchzuführen. Dieser Beirat hat nun das Prozedere sowie die Kriterien zur Antragstellung festgelegt. Ab sofort können Anträge zur Verlegung eingereicht werden. Indes gibt es offenbar noch Abstimmungsbedarf mit Künstler Gunter Demnig, der die Rechte am Kunstprojekt „Stolpersteine“ besitzt.

Sie gelten als größtes dezentrales Mahnmal der Welt: Stolpersteine. Mittlerweile liegen rund 70 000 der kleinen, quadratischen Pflastersteine mit Messingoberfläche des Künstlers Gunter Demnig zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland und in vielen weiteren Ländern im Boden. Ab Herbst sollen nach einem langen Diskussionsprozess zur Erinnerungskultur auch in Lörrach die ersten Stolpersteine verlegt werden.

Anträge bis zum 28. Februar

Für die Durchführung des Verfahrens hat die Stadt einen „Beirat zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Lörrach“ eingerichtet, der sich laut Gemeinderatsbeschluss aus Vertretern der Verwaltung, der Gemeinderatsfraktionen und der Zivilgesellschaft zusammensetzt. In seiner ersten Sitzung hat dieser Beirat das Prozedere sowie die Kriterien zur Antragstellung (siehe Info am Ende dieses Artikels) festgelegt.

Der Ablauf sieht vor, dass ab sofort Anträge von Initiativen zur Verlegung eingereicht werden können. Bürger, die konstruktive Vorschläge haben, können sich dazu an den Fachbereich Kultur und Tourismus wenden. Sie haben dafür aber nicht sehr viel Vorlauf: Die Anträge sollen bis zum 28. Februar an den Fachbereich adressiert werden. Die Mitarbeiter des Stadtarchivs prüfen diese anschließend. Im Frühsommer wird der Beirat in einer zweiten Sitzung über die konkreten Vorschläge entscheiden.

Nur überschaubare Anzahl von Verlegungen in diesem Jahr geplant

„Der Zeitraum ist deswegen so kurz gewählt, weil wir im Herbst mit der Verlegung beginnen wollen“, erklärte Sonja Raupp, Stellvertretende Fachbereichsleiterin Kultur und Tourismus, am Dienstag auf Anfrage. Der Fokus der Beurteilung liege „auf einer würdigen und feierlichen Zeremonie, zu der möglichst auch Angehörige eingeladen werden können“, so die Mitteilung der Stadt. Zudem wurde vom Beirat festgelegt, „dass es in diesem Jahr bei einer überschaubaren Anzahl von Verlegungen bleiben soll“. Die konkrete Zahl werde sich erst aus den Ergebnissen der Prüfung ergeben. Vollständig ausrecherchierte Anträge, die 2020 nicht realisiert werden könnten, sollen für eine Verlegung in den kommenden Jahren berücksichtigt werden. Ebenso wie Vorschläge zu Personen, über die noch zu wenig Details bekannt sind.

Projekt soll auf Dauer angelegt sein

Raupp rechnet damit, dass vor allem Historiker oder zumindest historisch interessierte Persönlichkeiten aus der Region entsprechende Anträge einreichen werden, die bereits vorrecherchiert haben. „Wir gehen auch davon aus, dass diese Personen mehr als einen Vorschlag einreichen werden.“ Das Projekt solle in jedem Fall auf Dauer angelegt sein. Es gehe nicht darum, „in kurzer Zeit möglichst viele Stolpersteine zu verlegen. Vielmehr soll mit den regelmäßigen Verlegungen das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Lörrach immer wieder thematisiert werden“, wird in der Mitteilung betont.

Indes gab und gibt es nicht nur Befürworter für die Stolpersteine in Lörrach. Ein Vorwurf: Die Opfer würden ein zweites Mal mit Füßen getreten. Die Israelitische Kultusgemeinde war dem Vorschlag zunächst ebenfalls mindestens skeptisch eingestellt. Schließlich ließ sie bei einer Gemeindeversammlung am 20. Dezember 2018 über die Frage abstimmen. Das Ergebnis: „Die Gemeinde entschied sich, das Projekt gutzuheißen und zu unterstützen. Wir möchte uns natürlich nicht nur auf die Stolpersteine begrenzen, begrüßen diese aber als eine Ergänzung zur Erinnerungskultur“, teilte die Gemeinde mit.

Diskussionen in der Arbeitsgemeinschaft

Im Gemeinderat aber auch in der Arbeitsgemeinschaft zur Erinnerungskultur wurde das Thema ebenfalls kontrovers diskutiert. Kritiker beklagten unter anderem, dass der Künstler Gunter Demnig über die genaue Art der lokalen Erinnerungskultur entscheide, weil er die Rechte am Projekt und dessen Ausgestaltung besitzt.

Und genau an diesem Punkt gibt es offenbar noch offene Fragen: „Die Stadt Lörrach hat offenbar nicht unsere Ausarbeitung ,Erste Schritte’ gelesen“, erklärte Demnigs Mitarbeiterin Karin Richert am Dienstag im Gespräch mit unserer Zeitung, nachdem sie die aufgestellten Kriterien gelesen hatte. Richert ist bei der Stiftung des Kölner Bildhauers für die Inschriften der Stolpersteine verantwortlich und begleitet das Projekt seit 20 Jahren fotografisch.

Kritik an Lörracher Kriterien

Sie störte sich vor allem an Punkt 5 der Lörracher Kriterien (siehe unten) bezüglich der Inschriften. Demnach soll kein Vokabular verwendet werden, das sich auf die Ideologie des Nationalsozialismus bezieht und aus heutiger Sicht nur mit Erklärungen verständlich wäre. „Man muss Begriffe wie Schutzhaft oder Rassenschande schreiben, wir wollen schließlich deutlich machen, wie das Nazi-Regime war. Das könnte noch Diskussionsbedarf geben“, sagte Richert und betonte: „Es geht nicht, nur einzelne Bausteine zu verwenden. Das ist das Projekt von Gunter Demnig und wenn eine Stadt die Stolpersteine will, muss sie sich danach richten.“

Sonja Raupp konnte zu dieser Kritik auf Anfrage lediglich mitteilen, dass Fachbereichsleiter Lars Frick, der sich derzeit im Urlaub befinde, bereits im Austausch mit der Stiftung stehe. „Offene Fragen“ müssten gegebenenfalls abgestimmt werden.
 

Ausschreibung: Vorschläge aus der Bürgerschaft
Der Beirat zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Lörrach ist durch den Gemeinderat beauftragt worden die Verlegung von Stolpersteinen in Lörrach zu begleiten, zu koordinieren und eine Auswahl der zu verlegenden Stolpersteine festzusetzen. Hierzu erbittet der Beirat Vorschläge aus der Bürgerschaft, an welchen Orten für welche Personen, die unmittelbar durch die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes in Lörrach zu Opfern geworden sind, Stolpersteine verlegt werden sollen.

Die Vorschläge sollen folgende Angaben inklusive ausreichender Dokumentation (Kopie der Quelle und Quellenverweis) beinhalten:
Vollständige Namen und Adressen der betroffenen Personen
Lebensdaten der betroffenen Personen (Geburts- und Sterbejahr, Geburtsort und Hauptwohnsitz zum Zeitpunkt der Tat)
Art des Verbrechens beziehungsweise Todesursache (ermordet, deportiert, Tod im Konzentrationslager oder ähnliches) und vorgebliche Begründung des Verbrechens (Religion, Politik, Krankheit oder ähnliches)
Lebenslauf beziehungsweise kurzer Lebensbericht (circa 1 DIN-A 4 Seite)
Fotos, Bildmaterial, Zeugnisse, sonstige Belegdokumente (in Kopie mit Quellenangabe)
Nachweis über mögliche Nachfahren und bestehende Kontakte zu diesen Angaben zur Finanzierung des jeweiligen Stolpersteins (Kosten: 120 Euro pro Stolperstein)

Es werden zudem nur Vorschläge umgesetzt, die den hier aufgeführten Kriterien zur Verlegung von Stolpersteinen in Lörrach entsprechen, die der Gemeinderat am 26. September 2019 verabschiedet hat.

Kriterien zur Verlegung von Stolpersteinen in Lörrach
1. Stolpersteine in Lörrach werden für Menschen verlegt, deren Lebensmittelpunkt Lörrach war, die unter dem nationalsozialistischen Herrschaftssystems sehr unmittelbar gelitten haben und deren Lebens- und Leidensweg ausreichend gut dokumentiert ist.
2. Stolpersteine in Lörrach werden nicht verlegt, wenn direkte Nachfahren der Opfer sich explizit gegen eine Verlegung aussprechen.
3. Stolpersteine werden nicht verlegt oder nachträglich entfernt, wenn ausreichend dokumentiert ist, dass die gewürdigten Personen in ihrem Leben und Wirken den Grundsätzen der Lörracher Erinnerungskultur widersprochen haben, beziehungsweise dass sie nicht nur Opfer sondern auch Täter waren.
4. Stolpersteine in Lörrach werden nach einer ausreichenden Prüfung der historischen Dokumente verlegt, aus denen eindeutig hervorgeht, dass die unter Punkt 1 genannten Kriterien erfüllt sind. Diese historischen Dokumente und Quellen sind durch bürgerschaftliche Initiativgruppen zu recherchieren und in aufbereiteter Form dem Stadtarchiv vorzulegen. Die Prüfung erfolgt durch Mitarbeiter des Stadtarchivs oder durch Historiker, die vom Stadtarchiv beauftragt werden.
5. In Lörrach verlegte Stolpersteine enthalten kein Vokabular, das sich eindeutig auf die Ideologie des Nationalsozialismus bezieht und welches aus heutiger Sicht nur mit Erklärungen verständlich wird. Begrifflichkeiten wie „Volksschädling“, „Rassenschande“ oder ähnliche bedürfen einer ausführlichen historischen Erklärung, die aber auf dem kleinen Format eines Stolpersteins nicht umgesetzt werden kann.
6. Die geprüften Empfehlungen werden durch den Beirat zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus begutachtet und genehmigt. Nur in strittigen Fällen übergibt der Beirat dem Gemeinderat die Entscheidung mit einer begründeten Beschlussempfehlung.

Die Vorschläge können bis spätestens 28. Februar an folgende Stelle gerichtet werden: Stadt Lörrach, Fachbereich Kultur und Tourismus, Lars Frick, Basler Straße 170 79539 Lörrach, E-Mail l.frick@loerrach.de

 

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