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Lörrach „Es kann schmerzlich werden“

Von Gerd Lustig  und Peter Ade
Der Historiker Robert Neisen arbeitet derzeit die Geschichte des Nationalsozialismus in den Lörracher Ortsteilen auf. Archivfoto: Kristoff Meller Foto: Die Oberbadische

Ortsteile: Robert Neisen erforscht Nazi-Vergangenheit / Quellenlage in Haagen besser als in Hauingen

Lörrach - Nach der Kernstadt wird nun auch in den Ortsteilen die Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet. Dazu hat der Historiker Robert Neisen den Folgeauftrag erhalten, Daten und Fakten aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 zusammenzutragen. Jetzt gab er einen ersten Zwischenbericht im Ortschaftsrat Haagen und Hauingen. Das Gremium in Brombach will er am 7. Mai besuchen.

„Es ist gut und wichtig, dass wir auch über dieses dunkle Kapitel in unserer Ortschaft etwas mehr erfahren und das Thema aufgearbeitet wird“, erklärte Christa Rufer (SPD) im Haagener Ortschaftsrat. Sie bot auch gleich ihre Mithilfe an, da sie Informationen über den damaligen Bäcker, Stadtrat und Ehrenbürger der Stadt Lörrach, Albert Scheer, liefern oder vermitteln könne. Dafür zeigte sich Neisen dankbar.

Der Historiker zeichnete das Bild des Ortsteils Haagen, das den Nährboden für den Zuspruch für die Nazis erklärte. Es herrschte große Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, dazu kam die Weltwirtschaftskrise und der Umstand, dass infolge von Zwangsarbeit, Kriegsgefangenschaft und Flucht viele Fremde im Ort lebten. „Auch der hohe Anteil an Protestanten war nicht förderlich, diese waren deutlich empfänglicher für die NS-Ideologie als die Katholiken“, erklärte Neisen. Das führte zu Spannungen im Ort. Hinzu kam unter anderem ein extremes Haushaltsdefizit.

Nach der Reichstagswahl 1933, bei der 439 Haagener für die NSDAP stimmten, wurden die Kommunisten und die Zentrumspartei aus dem Gemeinderat gedrückt und verfolgt. Auch der damalige Bürgermeister Karl Gümpel sollte durch einen Nazi-Sympathisanten ersetzt werden. Doch Gümpel wehrte sich laut Neisen zunächst energisch, wurde schließlich zwar doch abgesetzt, bekam aber immerhin seine vollen Pensionsbezüge. „Der hat sich gegen die Nazis gestellt, das war schon ein Held“, sagte Neisen.

Was der Historiker ebenfalls herausgefunden hat: Es gab in der NS-Zeit Bestrebungen, die drei Ortsteile Haagen, Hauingen und Brombach zu vereinen. Das Vorhaben der Nazis scheiterte aber ebenso wie in späteren Jahren der Versuch der Badischen Regierung. „Und so blieb Haagen die Eingemeindung bis 1974 erspart“, schmunzelte der Historiker.

Anzahl der Dokumente über Hauingen „eher dürftig“

Im Gegensatz zur Aktenlage in Haagen bezeichnet der Freiburger Historiker die ihm bis dato vorliegenden Dokumente über die Zeit des Nationalsozialismus in Hauingen als „eher dürftig“. Er bat bei seinem Vortrag im Hauinger Rat die Bürger um Unterstützung seiner Arbeit durch Bereitstellung von Briefen und Dokumenten aus Familienarchiven.

Konkrete Zuarbeit versprach Ortschaftsrätin Annette Bachmann-Ade (SPD). Als Vorsitzende des Hauinger Turnvereins wisse sie um die Existenz alter Protokolle und Kassenbücher des Vereins aus der fraglichen Zeit.

Es gebe nur wenige Akten im Gemeindearchiv, dagegen einige Unterlagen im Staatsarchiv Freiburg und im Generallandesarchiv Karlsruhe, so Neisen. Für den Historiker steht aber fest: Hauingen war in den 1920er Jahren eine Gemeinde mit vielen Industriearbeiter, die größtenteils beim früheren Unternehmen Grossmann in Brombach beschäftigt waren und Werkswohnungen in Neu-Hauingen zur Verfügung hatten.

Dieser Personenkreis habe überwiegend KPD oder SPD gewählt, während Landwirte und Kleingewerbetreibende eher „in Richtung NSDAP“ tendierten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung habe KPD, SPD und Zentrum gewählt.

Für Schmunzeln am Ratstisch sorgte Neisens Recherche, wonach einige Hauinger die Eingemeindung nach Brombach gewünscht hätten, da in Hauingen Gewerbesteuereinnahmen fehlten.

Bei der Hauinger Bürgermeisterwahl im Jahr 1932 erreichte kein Kandidat eine Mehrheit. Erwin Sturm wurde deshalb von den Behörden zum Gemeindeoberhaupt bestellt. Er sei Anhänger der Deutsch-Nationalen gewesen und habe sich von den Nazis nichts sagen lassen.

Seine aktuellen Nachforschungen, so Neisen, hätten außerdem ergeben, dass in Hauingen weder Juden noch Roma lebten. Allerdings gab es etliche Zwangsarbeiter und Menschen, die aus bombardierten Städten in ruhigere Gegenden evakuiert worden seien.

Buch über NS-Geschichte soll im Frühjahr 2020 fertig werden

Bislang ist Neisen erst zu knapp zwei Dritteln mit seiner Archiv-Recherche durch. Den Rest will er bis Anfang des Sommers gesichtet und aufgearbeitet haben. Im nächsten Frühjahr soll dann sein Buch über die NS-Zeit in den drei Ortsteilen erscheinen. Im nächsten Jahr wird es zudem im Rahmen einer größeren Ausstellung im Dreiländermuseum eine Unterausstellung zum Nationalsozialismus in den drei Ortsteilen geben.

Schon jetzt betonte Neisen indes bezüglich seines Werks: „Ich werde nicht bei etwaigen Verfehlungen gnadenlos Draufschlagen, aber schon bisweilen Ross und Reiter nennen, das kann unter Umständen also schmerzlich werden.“

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