Lörrach Flotter Wortwitz kommt an

Beatrice Ehrlich
Sebastian Lehmann sorgte für einen vollen Saal im Nellie Nashorn. Foto: Beatrice Ehrlich

Nellie Nashorn: Sebastian Lehmann begeistert nahe der Heimat.

Lörrach - „Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an” – In Lörrach schwingt in Sebastian Lehmanns typischem Anfangssatz ein ganz anderer Klang mit, als von dem Wahlberliner vielleicht ursprünglich beabsichtigt. Was von der Hauptstadt aus Provinz erscheint, ist von hier aus gesehen die nächste (deutsche) Großstadt, die Eltern zwischen Tango-Kurs und Kreuzfahrtschiff nicht ganz so entfernt wie einem Berliner Schriftsteller in seinem urbanen und hippen Milljöh.

Dennoch stoßen seine nachgespielten Telefonate mit den Eltern – auf SWR 3 sind sie Kult – auf allgemeine Erheiterung. Manchmal muss er selber lächeln, wie spielend er den an drei Abenden ausverkauften Saal im Nellie Nashorn mit seinen in flotte Sprache umgesetzten Beobachtungen und der teilweise ins Absurde abdriftenden Situationskomik zum Lachen und Applaudieren bringt.

Statt dem Großen da draußen – das heimelige Drinnen, statt Politik – Alltag. Das Publikum entspannt es offenbar, wenn der Horizont einmal etwas enger gesteckt ist, als sonst im täglichen Nachrichtenfluss. Im Falle Lehmanns ist der Hauptschauplatz das auf das absolut Wesentliche reduzierte Dreieck zwischen Bett, Haustür und Telefon.

Wiedererkennungswert

Öko, Emo, Gruftie, Girlie: Sebastian Lehmanns Einblicke in die Jugendkulturen seiner Zeit vereinen unzählige Beobachtungen von hohem Wiedererkennungswert für Menschen, die wie er in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sozialisiert wurden. Detaillierte Beschreibungen, sei es der Kleidung, sei es der Gesten, verraten die Lust des Autors daran, sein Umfeld genauestens ins Auge zu fassen und zu analysieren. Wie ein Sammler seine Schmetterlinge bannt er Beobachtung um Beobachtung als Trophäe in seine populären Bücher, die übrigens auch hier im Nellie Nashorn nach der Vorstellung weggehen wie warme Semmeln.

Aus der Slam-Poetry kommt die Lust am Wortwitz und der schnellen Pointe, die den Reiz der „Telefonate“ ausmachen, in seinem Lesebühnen-Programm in Berlin ist das Format Liedübersetzungslyrik entstanden. Es ist ein recht einfacher Trick mit dem Lehmann aus englischen Liedtexten Lyrik verschiedener Stilepochen – Expressionismus, Dadaismus, Naturlyrik – wie am Fließband generiert: Er lässt den Songtext per Mausklick von einem Online-Übersetzer ins Deutsche übertragen. Was herauskommt, ist sprachlich verworren, inhaltlich unlogisch und vor allem eines: ziemlich witzig.

Hinter Lehmanns bescheidenem, ja minimalistischen Auftreten verbirgt sich auch eine gesellschaftskritische Komponente: Mit seinen sprachlichen Spielen macht er aufmerksam auf hundert Möglichkeiten, sich im Alltag blendend zu amüsieren, ohne große Kosten und Anfahrtswege.

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