Lörrach Grandios zelebriert

Willi Vogl
Pia Davila (links) überzeugt als Euridice mit ihrem klar und fein strukturierten Sopran. Foto: Willi Vogl

Stimmen-Festival: Lautten Compagney mit „L’Orfeo“.  Gänsehauteffekt.

Lörrach - „Vor dem Besuch der Hölle sollten sie sich nochmals stärken“, machte Wolfgang Katschner, Leiter der Lautten Compagney, in seiner Werkeinführung launig auf die Pause im Werk aufmerksam. Das kreative Barockensemble aus Berlin ist gern gesehener Gast beim Stimmen-Festival. Am Sonntag präsentierte es im Burghof Claudio Monteverdis epochale musikalische Fabel „L’Orfeo“ in einer konzertanten Aufführung.

Monteverdi und sein Librettist Alessandro Striggio, die beide am Hof des musikliebenden Herzogs von Mantua dienten, entwickelten einen neuen Musikstil, der fern der polyfonen Satzkunst der Renaissance ganz auf die vielgestaltige Ausdruckskraft der menschlichen Stimme und auf größtmögliche Textverständlichkeit setzt. So ist es kein Wunder, dass die Regelverstöße des jungen Wilden Monteverdi bei den Verfechtern des alten Stils seinerzeit einen ästhetischen Schock auslösten. Die Entdeckung des individuellen Ausdrucks dürfte für die damaligen Befürworter allerdings eine Offenbarung dargestellt haben.

Für den heutigen Klassikhörer bedarf es jedoch eines gehörigen Maßes an Einfühlungsvermögen, um sich in die mitunter schlicht gereihten Kadenzformeln Monteverdis einzuhören. Ein Großteil der Nuancen entsteht erst durch eine historisch gut informierte wie gleichermaßen fantasievolle Interpretation eines erstklassigen Ensembles wie der Lautten Compagney.

Parabel über die emotionale Macht der Musik

Der Mythos um Orfeo und Euridice ist eine Parabel über die emotionale Macht der Musik und bot Monteverdi die ideale Vorlage, um die Akzeptanz seines neuen Stils zu befördern. Der Stoff ist ergreifend: Euridice, die Geliebte Orfeos, stirbt. Orfeo will sie aus dem Totenreich zurückholen. Mit gesanglicher List bringt er den Fährmann Caronte dazu, ihn über den Fluss in die Unterwelt überzusetzen. Plutone, Herr der Unterwelt, gibt Euridice tatsächlich frei – unter der Bedingung, dass sich Orfeo auf den Weg in die irdische Welt nicht umwenden dürfe. Misstrauisch geworden, dreht er sich dennoch um und Euridice ist auf ewig verloren. Apollo tröstet seinen Sohn Orfeo, erklärt alles irdische Glück für nichtig und holt ihn in den Olymp, von wo aus er das Antlitz Euridices in den Gestirnen wiedersehen kann.

Totenwelt mit Zinken, Posaunen und einem schnarrenden Regal dargestellt

Allerlei ungewöhnliche Instrumente findet man auf der Bühne, mit denen Monteverdi die unterschiedlichen Charaktere und Stimmungen kennzeichnet. So stehen Streicher, Flöten und Lauten für die Hirtenwelt, während die Totenwelt mit Zinken, Posaunen und einem schnarrenden Regal dargestellt wird. Der Ausnahmebariton Gyula Orendt in der Titelrolle verblüfft bereits im lyrischen Gebet an die Himmelsrose oder im Preislied des zweiten Aktes mit überschwänglichen Stimmkapriolen und inniglichen Farbmodulationen bis hin zu schmerzvoller Nachdrücklichkeit und hauchender Resignation, als er vom Tod Euridices erfährt. In den flehentlich zittrigen Melismen, dem sprechnahen gesanglichen Schluchzen und der verzweifelten Expressivität des großen Bittgesangs an Caronte vermittelt er ein Opernerlebnis mit Gänsehauteffekt.

Aber auch Pia Davila als Euridice mit ihrem klar und fein strukturierten Sopran, Ida Aldrian als Proserpina mit expressiver Eindringlichkeit, Georg Bochow als Speranza in seiner androgyn schillernden Altuspartie, Cornelius Uhle in der Doppelrolle als Plutone und Apollo sowie Bassist Joel Frederiksen als düster statischer Caronte überzeugten durchgehend mit gestalterischer Fantasie und stimmlicher Präzision.

Das 19-köpfige Orchester agierte auf höchstem kammermusikalischem Niveau. Dirigierend und Laute spielend setzte Wolfgang Katschner im Sinne stimmlicher Vorherrschaft ganz auf vielfältig sprechende Instrumentalartikulationen und ein mannigfaltiges Klangfarbenspiel. Ein mustergültig und grandios zelebriertes Stück Operngeschichte.

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