Lörrach Große Namen, neue Stimmen, klare Linie

Die Oberbadische
Stimmen-Chef Markus Muffler sieht das Festival auf einem guten Weg. Foto: Kristoff Meller Foto: Die Oberbadische

Interview: Stimmenfestival-Leiter Markus Muffler über Wertschätzung, Wetterunbill, Headliner und die Festivalzukunft

Mit dem Prolog im Theater La Coupole, bei dem die Jazzsängerin Sarah McKenzie auftritt, und mit „Stimmen on tour“ in Saint-Louis wird die 25. Auflage des Stimmenfestivals am morgigen Sonntag eingeläutet. Zu Programm, Philosophie, Anerkennung und Zukunft des Musikfestivals stellte sich Festivalleiter Markus Muffler den Fragen von Gabriele Hauger.

Frage: 20 Jahre Stimmenfestival. Haben Sie sich bei der Programmgestaltung unter Erfolgsdruck gesetzt?

Ich neige dazu, mich von solchen Daten recht wenig unter Druck setzen zu lassen. Ich bin kein Freund von zwanghaftem Brimborium. Wir wollten einfach ein gutes Programm machen. Dass das Jubiläum auf ein Jahr fällt, in dem es allgemein extrem schwer ist, ein gutes Line-up hinzubekommen, wusste ich im Vorfeld natürlich nicht.

Wir wollten allerdings zum 25. ein Ausrufezeichen setzen, das mit dem Programm an sich gar nichts zu tun hat. Es war mir wichtig, ein grundlegendes Thema aufzugreifen – gerade zum runden Geburtstag: Dass nämlich die Stadt viel zu wenig im Stimmen-Modus ist, außer vielleicht während der Marktplatzkonzerte. Wenn ich das mit dem Engagement in anderen Städten vergleiche, fehlt da viel. Die Aktion des Schmückens der Innenstadt mit Fähnchen während des Festivals wird seitens der Stadt unterstützt. Aber die maue Reaktion des hiesigen Handels auf unseren Aufruf zur Festivalförderung – das war wirklich blanke Enttäuschung.

Frage: Wieso ist die Programmfindung so schwierig?

Die Sommerkonzertsituation ist komplexer geworden. Das liegt an mehreren Komponenten. Zum ersten befinden wir uns in einem Wettbewerb einer gewissen Wahllosigkeit: Dorffest, Stadtfest, Bühne hinstellen, alte Recken drauf. Fertig. Das grassiert ja.

Frage: Sie spielen auf Schopfheims Sommersound an.

Nein, nicht im Speziellen, sondern ganz allgemein. Das gilt im Übrigen auch für die Schweizer Festivallandschaft. Schopfheim ist für uns keine Konkurrenz. Wir haben von unserer Ausrichtung und Tradition einen anderen Anspruch. Wenn ich aber beispielsweise nach Freiburg schaue: Da wird mit Riesenaufwand die Werbetrommel gerührt, große Gigs werden auf die Bühne geholt. In Mannheim traten Guns’n’Roses auf. Kurz danach Iron Maiden in Freiburg. Dann in der Schweiz das Frauenfeld Festival. Gurtenfestival in Bern mit einem tollen Line- up. Es folgt Montreux. Das ist auch nicht allzuweit weg. Das alles bedeutet nicht unbedingt Konkurrenz. Aber: Das Geld der Musikfreunde kann nur einmal ausgegeben werden.

Frage: Gibt es weitere Gründe?

Hinzu kommt das Wetter mit ganz großen Unsicherheiten. 2016 musste das Southside Festival abgesagt werden, Hurricane wurde unterbrochen und dann abgesagt. Wir hatten letztes Jahr im Rosenfelspark Katastrophenwetter. Da überlegen sich dieses Jahr doch viele, erst kurzfristig Karten zu kaufen. Das macht es uns nicht leichter.

Und dann gibt es auch noch das Thema Sicherheit. Letztes Jahr wurde Rock am Ring wegen einer Terrorwarnung abgesagt. Dann die Gagensituation... Ich spreche jetzt mal als Wirtschaftswissenschaftler: Die Anzeichen einer Überhitzung der Festivallandschaft sind sichtbar. Im Gespräch mit anderen Festivalleitern wird das auch spürbar: Hier wird ein Tag gekürzt, dort auf etwas verzichtet – da braut sich was zusammen.

Frage: Welche Resonanz haben Sie bis jetzt auf das Programm bekommen?

Der Vorverkauf auf dem Marktplatz liegt hinter den Erwartungen. Alles andere läuft besser als im Vorjahr: Rosenfels, Arlesheim, Burghof.

Über die geringere Resonanz auf den Marktplatz sind wir überrascht. Man muss vielleicht besser herausarbeiten, wer beispielsweise Liam Gallagher ist. Immerhin der Frontman von Oasis! Ein absoluter Headliner, wie immer so schön gefordert wird. Auch wenn das vielleicht viele hierzulande nicht so sehen.

Am Anfang waren die Reaktionen übrigens super. Das Programm macht Stimmen für viele interessant, die sonst nicht zum Festival kommen. Es gibt aber immer die, die trotzdem meckern: entweder ist das Programm zu alt oder zu jung, zu laut, zu leise, zu viel Groove, zu wenig Hardrock...

Ich erinnere mich an letztes Jahr: Grace Jones. Was haben da viele gelästert: Was, gibt’s die noch? Macht die noch was? Was habe ich mir da anhören müssen. Wer aber auf dem Konzert war, hat gemerkt: Und wie die macht. Eines des besten Konzerte überhaupt.

Es ist wie es ist. Die alten Top Stars sterben langsam aus. Wir müssen auf die Trends der Nuller und der 90er Jahre setzen.

Frage: Zu Jubiläen werden gerne Vergleiche zu früher gezogen. Wie hat sich das Festival unter Ihrer Regie verändert?

Helmut Bürgel und ich sind befreundet. Ich finde seine Leistung für das Stimmenfestival und für diese Stadt, in der ja absolut nichts war, enorm. Er leistete eine wahre Graswurzelarbeit, gemeinsam mit der Verwaltung, erst unter Oberbürgermeister Offergeld, dann unter Frau Heute-Bluhm – großartig. Da muss man ganz viel reinstecken, auch persönlich. Das honoriere ich sehr. Aber es ist normal, dass ein neuer Kurator eines Festivals musikalisch andere Schwerpunkte setzt.

Frage: Stichwort Weltmusik?

Ein Thema das immer wieder strapaziert wird. Damit wollte ich das Festival nicht bestücken. Ich bin überzeugt, dass Stimmen jetzt etwas bietet, was es so in der gesamten Region nicht gibt. Weil wir in den Genres Rock, Pop, Jazz, Soul und Roots / Ethno – und im klassischen Bereich satellitenmäßig – an einem Punkt sind, an dem wir Top Qualität bieten. Helmut Bürgel hat viel Vermittlungsarbeit geleistet – mit Klängen und Stimmen, die hier kein Mensch kannte. Ich mache eigentlich nichts anderes. Nur lege ich eben den Schwerpunkt auf andere Genres. Die Klänge, die wir im Rosenfelspark bieten, die kennt nämlich hier auch fast keiner. Zum Beispiel Alice Phoebe Lou, da haben wir schon viele Karten verkauft. Das ist eine sensationelle Künstlerin, die hier noch wenig bekannt ist. Das ist auch Vermittlung: Hört euch das mal an, man muss nicht immer zum gleichen rennen.

Also ja: Inhaltlich sieht Stimmen anders aus als früher. Das will ich auch so. Am stolzesten waren wir auf das Line-up von letztem Jahr. Ich bin auch dieses Jahr sehr zufrieden. Gerade, wenn man die Konkurrenzsituation anschaut, muss man bedenken: Wie kann man sich von den anderen abheben? Entweder durch sehr viel Geld, das einem ganz große Stars ermöglichen. Oder durch Inhalte.

Frage: Die Menschen müssen davon aber auch überzeugt werden.

Ja, das dauert mitunter ein bisschen. Nehmen Sie die Tanzreihe im Burghof-Programm, vor zehn Jahren gegründet. Seit drei Jahren funktioniert das. Eine Nische, in Lörrach. Man braucht einen langen Atem. Bei Stimmen sind wir auf dem richtigen Weg, den gehen wir weiter.

Frage: Der Marktplatz steht in der Kritik. Stichwort: fehlende Headliner.

Aber, wie ich oben schon sagte, sind das doch Headliner. Robert Plant ist ein Top-Musiker. Und wenn einer fragt: Wer ist das, kenne ich nicht, dann muss ich schon stark an mich halten. Er ist schließlich eine der wichtigsten Stimmen des Rock’n’Roll aller Zeiten! Der Frontman von Led Zeppelin, einer Band, die den Rock’n’Roll grundsätzlich verändert hat, die bahnbrechend war, auf den sich alle Heavy Metal Bands beziehen. Dieser Mann spielt bei uns.

Oder Liam Gallagher, der Frontman von Oasis. Der hat eine Wahnsinns neue Platte gemacht und spielt alle Oasis-Hits. Oasis war eine der größten Bands der 90er Jahre. Und sie ist geschichtlich in der Rock- und Popmusik immer noch eine der allergrößten. Wer da sagt, dass die großen Namen fehlen, der muss sich einfach mal ein bisschen im Internet umschauen.

Frage: Der Rosenfelspark wird wieder anders gestaltet. War der verdichtete Aufbau ein Experiment, das gescheitert ist?

Der Charakter des Parks, seine Feinheit hat mir durch den doch sehr gewaltigen, verdichteten Bühnenaufbau doch etwas gefehlt. Dann hatten wir noch extrem schlechtes Wetter. Ich möchte dieses Jahr wieder eine andere Atmosphäre kreieren. Wir gehen etwas weg von der Tribüne, hin zum Park-Ambiente. Wir können zudem variabel mit Sitzgelegenheiten reagieren. Das extern vergebene Catering im vergangenen Jahr hat uns auch nicht ganz zufrieden gestellt. Deswegen organisieren wir das dieses Jahr wieder selbst. Wir schmücken den Park, es soll eine mediterrane Atmosphäre entstehen. Das Programm bietet dazu passende Musik.

Frage: Beispiele?

Wenn Sie einen sehen wollen, der bald ganz groß rauskommt, dann müssen Sie zu Marlon Williams kommen. Sensationell. Er ist Neuseeländer und erinnert an den frühen Bruce Springsteen, hat eine gewisse Schnoddrigkeit. Das ist das eine.

Das Feine haben wir dann beim Konzert mit Rufus Wainwright. Und die Party-Situation werden wir bei Songhoy Blues aus Mali anbieten – afrikanisch bluesig eben. Zudem haben wir den Jazz in seiner stimmlich brillantesten Form mit Hildegard lernt fliegen. Die Musik spricht für einen Park, der diese Besonderheit atmosphärisch unterstützt. Wir haben aus der Kritik also durchaus gelernt.

Frage: Stichwort Frankreich. Letztes Jahr klangen Sie recht euphorisch, was die Zusammenarbeit mit La Coupole betrifft. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung? Oder ist und bleibt das Thema Frankreich zäh?

Wenn man nur die Leiterin Eleonora Rossi und mich nehmen würde und wir uns etwas ausdenken dürften, dann gäbe es weitaus mehr. Ich glaube, dass Eleonora in Saint-Louis ganz schön zu kämpfen hat. In Frankreich herrscht bei den Befindlichkeiten in der Kulturarbeit eine andere Denke als bei uns. Mit den Vorverkaufszahlen für Saint-Louis bin ich im übrigen derzeit noch nicht zufrieden. Dennoch: Ich bleibe dran!

Frage: Fehlt Ihnen die Wertschätzung dafür, dass es in Lörrach ein Festival wie Stimmen gibt? Wird zu viel gemäkelt?

So sehr gemäkelt wird ja gar nicht. Wir bekommen viel positive Resonanz. Bestimmte Gruppen in Lörrach kritisieren aber am Festival und am Burghof herum, viele, ohne dass sie jemals den Burghof betreten hätten. Da werden oft partikuläre Einzelinteressen betrachtet, gemäß dem Motto: Was nützt mir Stimmen? Wenn es mir nichts nützt, dann zähle ich auch nicht zu den Unterstützern. Da vermisse ich durchaus die Wertschätzung.

Frage: Inwiefern profitiert die Stadt?

Dass Stimmen per se eine große Wirkung für die Stadt hat, sehen einige leider nicht. Die vielen Menschen, die einfach kommen und Stimmen toll finden, die werden oft weniger beachtet als die, die sich lauthals beschweren. Das Festival ist in Lörrach Zuhause. Aber das Publikum kommt zum Glück auch von außerhalb. Das bringt Geld in die Stadt: Stimmen und Burghof jedes Jahr vier Millionen. Ich möchte mal sehen, welche Kulturinstitution in vergleichbarer Größenordnung das schafft. Ich kann inzwischen mit dieser Kritik einigermaßen leben. Wenn es aber zu ungerecht wird, dann sage ich auch etwas.

Frage: Sie wohnen in Freiburg. Fühlen Sie sich in der Lörracher Stadtgesellschaft angekommen? Oder wollen Sie gar nicht so eng verbandelt sein?

Ich bin in vielen Bereichen inzwischen sehr gut vernetzt. Es ist aber mitunter durchaus hilfreich, nicht omnipräsent zu sein. Helmut Bürgel musste das sein, er hat das Festival aufgebaut. Aber die Stadtgesellschaft hat sich inzwischen sehr gewandelt. Ich kooperiere intensiv mit anderen Gruppen als er. Zum Beispiel mit dem SAK. Ich arbeite auch eng mit dem politischen Themenangebot des Werkraums Schöpflin zusammen oder mit dem Theater Tempus fugit. Es sind andere Bereiche, in denen ich mich wohlfühle.

Frage: Wo sehen Sie Stimmen in fünf Jahren?

Mindestens da, wo wir jetzt sind. Ich will Künstler, die Hamburg, Berlin oder Köln umwerben, bei uns sehen. Ich möchte Stimmen mit seinem Alleinstellungsmerkmal als Festival noch mehr in der Regio verankern. Auf Schweizer Seite hat man das im Übrigen längst erkannt. Wir werden von Gemeinden in Baselland vielfach gefragt: Warum kommt Ihr denn nicht zu uns? Die schätzen uns sehr. Auch die Freiburger. Ich spüre von außen oft mehr Positives als in Lörrach selbst.

Frage: Im ersten Interview, das ich mit Ihnen führte, sprachen Sie davon, wie Sie vor Leidenschaft brennen. Ist das noch so?

Ja, es ist immer noch da. Ich hatte mir zwar manches anders, auch leichter vorgestellt. Jeder hat an mir gezerrt und gezogen, es gab so viele Baustellen. Ich musste ja den Burghof neu aufstellen. Jetzt steht das Haus so da, wie ich es – auch personell – haben möchte. Ich arbeite mit einem brillanten Team zusammen.

Die Saisons liefen und laufen sensationell. Wir haben schon jetzt für die nächste Spielzeit mehr Karten verkauft als zum gleichen Zeitpunkt letztes Jahr. Bei Stimmen müssen wir dranbleiben. Und unsere Linie durchziehen.

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