Lörrach Hoffnung neben geplatzten Träumen

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Britta Lanzendorf mit einem ihrer „Schützlinge“ Foto: Gabriele Hauger Foto: mek

Vom Alltag in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge / Interview mit Britta Lanzendorf

Lörrach. Die Unterbringung von Flüchtlingen ist derzeit DAS beherrschende Thema – auch im Landkreis. Abstrakte Zahlen ermöglichen den Bürgern jedoch nur eingeschränkte Einblicke darüber, wie die Situation direkt in den Unterkünften ist. Um den Alltag und die Atmosphäre an einem Beispiel näher kennenzulernen, unterhielt sich unsere Redakteurin Gabriele Hauger mit der Heimleiterin der Gemeinschaftsunterkunft Brombach, Britta Lanzendorf.

Frau Lanzendorf, seit rund 100 Tagen leiten Sie die Unterkunft in Brombach. Entspricht die Arbeit Ihren Erwartungen?
Ich habe gar keine Zeit gehabt, mir im Vorfeld etwas Konkretes vorzustellen. Wir haben am 16. November hier angefangen, und am gleichen Tag sind auch schon die ersten knapp 100 Flüchtlinge angekommen. Es gab zunächst keine richtige Infrastruktur, Erdarbeiten waren noch im Gange, wir sind drei Wochen lang in Gummistiefeln herumgelaufen, mussten uns in jeder Hinsicht organisieren. Und hatten keine Zeit zum Nachdenken, wir haben einfach zugepackt, wo es notwendig war. Und das Riesenglück gehabt, dass wir ein Superteam sind – unser Hausmeister Jörg Morgenstern sowie unsere beiden Sozialarbeiter Carlo Lemke und Annette Grether.

Wie würden Sie die Stimmung unter den Menschen in der Unterkunft beschreiben?
Gut! Am Anfang war der Frust allerdings groß, weil man den Menschen offensichtlich Dinge versprochen hatte, die nicht realistisch waren – zumindest was Syrer und Iraker angeht. Was die Menschen vom Balkan in unserem zweiten Zelt betrifft, kannte ich die meisten schon von meinem Engagement als Deutschlehrerin aus der Unterbringung in Efringen-Kirchen. Für sie war der Umzug nach Brombach eine Verbesserung. Als sie hier mit dem Bus ankamen und ausstiegen, ist mir jeder einzelne um den Hals gefallen. Uns standen allen die Tränen in den Augen.

Wie ist die Zusammensetzung der Bewohner? Woher kommen die Menschen?
Am Anfang waren ungefähr die Hälfte der Menschen vom Balkan, der Anteil wird aber jetzt geringer. Inzwischen wohnen hier vor allem Syrer, Iraker und Afghanen.

Wie ist die Situation jetzt?
Wir sind immer wieder überrascht, wie unglaublich gut vernetzt die Leute sind: hier untereinander sowie auch nach außen. Untereinander ist die Stimmung größtenteils wirklich gut, viele helfen sich gegenseitig. Seit diesem Monat haben wir auch endlich eigene Küchen, die sich zu einer Art Marktplatz entwickeln, wo die Menschen miteinander kochen und ins Gespräch kommen. Klar, gibt es auch immer wieder einmal Streit. Bei den sehr beengten Platzverhältnissen in den Schlafcontainern lässt sich das nicht vermeiden.

Wie äußern sich solche Konflikte?
Wir sind hier ein Mikrokosmos der Gesellschaft. Es gibt wie überall die gleichen Ursachen für Streitereien: Meinungsverschiedenheiten, Streit wegen zu lauter Nachbarschaft, Neid, auch Alkohol war schon im Spiel, Missverständnisse wegen fehlender Verständigungsmöglichkeiten....Und man darf nicht vergessen: Hier leben auf engstem Raum verschiedene Kulturen, Nationalitäten, Mentalitäten zusammen, die sich zum Teil sogar einen Schlafraum teilen müssen.

Ein Beispiel?
Ein Anfängerfehler: Wir haben einmal zwei muslimische Paare in einem Raum einquartiert, weil wir dachten, dass das gut passt. Von wegen! Denn die Männer dürften die jeweils andere Frau ja nicht ohne Kopftuch sehen. Wie soll das dann beim Schlafengehen funktionieren? Insgesamt haben wir hier aber einen sehr friedlichen Campus. Wir beherbergen überwiegend Familien. Von den 200 Leuten sind ein Drittel Kinder. Das entspannt schon sehr, im Vergleich zu Unterkünften, wo fast ausschließlich junge Männer leben. Übergriffe auf Frauen gab es bisher zum Glück nicht.

Gab es schon Abschiebungen?
Eine Familie aus dem Balkan wurde nachts durch die Polizei abgeholt. Dieses erste Mal war für uns alle entsetzlich. Die Bewohner aus den Balkanländern waren total geschockt, wie paralysiert. Alle saßen am Tisch, keiner sprach ein Wort. Die Angst war spürbar. Diese Angst äußert sich zum Beispiel auch in psychosomatischen Krankheiten. Die Leute bemühen sich sehr, sich anzupassen, sind sehr sauber, geben sich auch große Mühe, Deutsch zu lernen. Gerade die Kinder leiden. Ein Mädchen saß neulich auf meinem Schoß und weinte. Als ich ihr sagte: ’Du gehst doch nach Hause, freust du dich denn nicht?’, sagte sie: ’Ich kenne doch da niemanden’. Das sind Momente, die einem schon nahegehen.

Haben sich die Bewohner irgendwie zu den Ereignissen rund um Köln geäußert?
Direkt angesprochen haben mich nur wenige. Aber es herrscht eine Art Fremdschämen. Ich glaube, dass die Flüchtlinge das in den Netzwerken sehr genau verfolgen und sich davon distanzieren. Ein junger Mann aus Algerien hat mir gesagt, das seien Auswüchse, die allen Flüchtlingen sehr schaden würden.

Haben Sie den Eindruck, dass die Bewohner die Diskussionen, auch die teilweise Hetze und Anfeindungen gegenüber Flüchtlingen, deutschlandweit genau verfolgen und dass sie dies auch belastet?
Natürlich bekommt das jeder mit. Gerade, wenn sie Freunde oder Bekannte anderswo besuchen. Ich glaube, bei den meisten ist inzwischen angekommen: ’Es ist nicht so einfach hier in Deutschland, wie wir dachten.’ Doch die meisten bemühen sich, das alltägliche Leben hier zu verstehen und sich in vielem anzupassen.

Es herrscht also nicht überwiegend Frust und Enttäuschung?
Nein, ganz im Gegenteil. Die Menschen gehen ja täglich in den Deutschunterricht. Sie verstehen also täglich auch mehr von unserer Kultur. Englisch können ja nicht alle. Aber viele sprechen mich inzwischen auf deutsch an, auch wenn es nur ein ’Guten Morgen’ oder ’Wie geht’s’ ist. Sie bemühen sich wirklich. Und wenn man die Sprache versteht, fühlt man sich sicherer und verliert Ängste. Mein Anliegen ist ein Coaching im Sinn von Hilfe zur Selbsthilfe. Die Zeit, die die Menschen hier verbringen, sollte sie weitmöglichst „Fit for Life“ machen.

Sie sehen die Integrationsbereitschaft als hoch an?
Ich würde sagen, sie liegt bei 90 Prozent, weit über meinen Erwartungen. Viele unserer Bewohner verstehen inzwischen, dass Integration auch für die Deutschen ein schwieriges Thema ist, das auf beiden Seiten die Bereitschaft zu viel Anstrengung und viel Entgegenkommen erfordert.

Musste die Security schon oft einschreiten?
Ab und zu. Wir achten aber insgesamt drauf, dass es rings ums Gelände sauber und ruhig bleibt, und haben mit den Nachbarn bisher keine Probleme. Natürlich gibt es schon mal Streitereien auf dem Gelände, wo dann die Security einschreitet. Das sind aber Fälle, wie es sie überall in Deutschland und bei weitem nicht nur unter Flüchtlingen gibt.

Wie nahe sind Ihnen die Menschen inzwischen emotional gerückt?
Viele kommen zu den Sozialpädagogen, aber auch zu mir, mit all ihren Problemen. Da fällt die Distanzwahrung zuweilen schon schwer. Permanente Abgrenzung geht gar nicht. Um diesen Beruf ausüben zu können, braucht man einen gesunden Grundstock an Empathie. Sicher gibt es Menschen, die einem offener als andere gegenübertreten, zu denen man ein intensiveres Verständnis als zu anderen entwickelt. Oft ist auch die Verständigung schwierig. Zum Glück haben wir jetzt eine Sozialpädagogin, die auch Arabisch spricht. Das ist besonders wichtig für die Frauen, gerade bei Arztbesuchen und ähnlichem.

Wie ist der Bildungsstand?
Sehr unterschiedlich. Wir haben Hochgebildete, die studiert haben, viel gereist sind, die Geschäfte besaßen. Und andere, die irgendwo vom Land kommen und zum Teil kaum lesen und schreiben können.

Was macht ein Flüchtling den ganzen Tag?
Nun ja, die, die keine Kinder haben, schlafen meist lange. Dann kümmern sie sich um die Verpflegung, einkaufen, kochen, sauber machen, abwechselnd ist einer für die Bedienung der Waschmaschinen zuständig. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich nicht nur um ihren eigenen, unmittelbaren Wohnbereich kümmern, sondern mehr Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen. Wie mussten viel Kraft investieren, damit die Bewohner alles selbst gut sauber halten, insbesondere die Gemeinschaftstoiletten. Das war für einige zunächst ungewohnt. Unser Hausmeister koordiniert das alles aber ganz hervorragend.

Was wird Ihrer Meinung nach für Unterkünfte wie in Brombach am dringendsten benötigt?
Der Freundeskreis Asyl leistet großartige Arbeit. Von einheimischen Familien würde ich mir wünschen, dass mal öfter jemand eine Familie zu sich nach Hause einlädt oder mit den Kindern in den Zoo geht... Um so mehr, als unsere Bewohner ja jetzt schon etwas Deutsch können.
Seitens der Stadt wünsche ich mir zwischen die Zelte einige Hochbeete in Holzkübeln, wo die Bewohner Blumen oder Gemüse anpflanzen können. Für das Gelände der GU hätte ich gern ein paar große Bäume in Kübeln, und Gras- und Blumensamen für die Erde ringsum. Ein paar Pflanzkübel in den Zelten wären auch toll. Vielleicht als Spende der Stadt oder einer Gärtnerei? Gerade für unsere vielen Kinder ist eine lebendige Umgebung wichtig.

Sind Sie optimistisch, was die Flüchtlingsproblematik insgesamt betrifft?
Ob ’wir das schaffen’, wird erst die Generation nach uns wissen. Wir können den Flüchtlingen jedenfalls etwas von unserer Kultur und Mentalität vermitteln und sie auf ein eigenverantwortliches Leben hier in Deutschland vorbereiten. Ich verstehe aber auch die Bedenken und Ängste der Menschen in Deutschland. Ich bin zuversichtlich, dass jede Mühe sich lohnt. Für mich ist jede Minute hier wertvoll, jeder Tag eine Bereicherung.

Gibt es ein Schicksal, das Sie besonders berührt hat?
Ja. Ein traumatisierter Jugendlicher, der mit dem Boot und über insgesamt sieben Länder hierher flüchtete. Seine Familie blieb zurück, und er stand unter enormem psychischem Druck. Das war einfach zuviel für ihn, so dass er in eine Klinik musste. Jetzt geht es ihm sehr viel besser, und er hat direkt nach der Klinik einen Platz in einer Anschlussunterkunft bekommen. Das freut mich ungeheuer. Bei solchen Schicksalen muss man einfach zweimal durchatmen.

Zur Person:
Britta Lanzendorf war lange im Management in internationalen Großfirmen tätig. Sie ist ausgebildete Mediatorin und Coach mit seelsorgerischer Zusatzausbildung und führte Jahre lang eine eigene Praxis. Dann verwirklichte sie sich einen Lebenstraum und kaufte ein Hotel in Bayern, das sie auch leitete. Seit November 2015 leitet sie die Gemeinschaftsunterkunft Brombach, zuvor arbeitete sie ehrenamtlich als Deutschlehrerin in der Unterkunft Efringen-Kirchen.

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