Haben sich die Bewohner irgendwie zu den Ereignissen rund um Köln geäußert?
Direkt angesprochen haben mich nur wenige. Aber es herrscht eine Art Fremdschämen. Ich glaube, dass die Flüchtlinge das in den Netzwerken sehr genau verfolgen und sich davon distanzieren. Ein junger Mann aus Algerien hat mir gesagt, das seien Auswüchse, die allen Flüchtlingen sehr schaden würden.
Haben Sie den Eindruck, dass die Bewohner die Diskussionen, auch die teilweise Hetze und Anfeindungen gegenüber Flüchtlingen, deutschlandweit genau verfolgen und dass sie dies auch belastet?
Natürlich bekommt das jeder mit. Gerade, wenn sie Freunde oder Bekannte anderswo besuchen. Ich glaube, bei den meisten ist inzwischen angekommen: ’Es ist nicht so einfach hier in Deutschland, wie wir dachten.’ Doch die meisten bemühen sich, das alltägliche Leben hier zu verstehen und sich in vielem anzupassen.
Es herrscht also nicht überwiegend Frust und Enttäuschung?
Nein, ganz im Gegenteil. Die Menschen gehen ja täglich in den Deutschunterricht. Sie verstehen also täglich auch mehr von unserer Kultur. Englisch können ja nicht alle. Aber viele sprechen mich inzwischen auf deutsch an, auch wenn es nur ein ’Guten Morgen’ oder ’Wie geht’s’ ist. Sie bemühen sich wirklich. Und wenn man die Sprache versteht, fühlt man sich sicherer und verliert Ängste. Mein Anliegen ist ein Coaching im Sinn von Hilfe zur Selbsthilfe. Die Zeit, die die Menschen hier verbringen, sollte sie weitmöglichst „Fit for Life“ machen.
Sie sehen die Integrationsbereitschaft als hoch an?
Ich würde sagen, sie liegt bei 90 Prozent, weit über meinen Erwartungen. Viele unserer Bewohner verstehen inzwischen, dass Integration auch für die Deutschen ein schwieriges Thema ist, das auf beiden Seiten die Bereitschaft zu viel Anstrengung und viel Entgegenkommen erfordert.
Musste die Security schon oft einschreiten?
Ab und zu. Wir achten aber insgesamt drauf, dass es rings ums Gelände sauber und ruhig bleibt, und haben mit den Nachbarn bisher keine Probleme. Natürlich gibt es schon mal Streitereien auf dem Gelände, wo dann die Security einschreitet. Das sind aber Fälle, wie es sie überall in Deutschland und bei weitem nicht nur unter Flüchtlingen gibt.
Wie nahe sind Ihnen die Menschen inzwischen emotional gerückt?
Viele kommen zu den Sozialpädagogen, aber auch zu mir, mit all ihren Problemen. Da fällt die Distanzwahrung zuweilen schon schwer. Permanente Abgrenzung geht gar nicht. Um diesen Beruf ausüben zu können, braucht man einen gesunden Grundstock an Empathie. Sicher gibt es Menschen, die einem offener als andere gegenübertreten, zu denen man ein intensiveres Verständnis als zu anderen entwickelt. Oft ist auch die Verständigung schwierig. Zum Glück haben wir jetzt eine Sozialpädagogin, die auch Arabisch spricht. Das ist besonders wichtig für die Frauen, gerade bei Arztbesuchen und ähnlichem.
Wie ist der Bildungsstand?
Sehr unterschiedlich. Wir haben Hochgebildete, die studiert haben, viel gereist sind, die Geschäfte besaßen. Und andere, die irgendwo vom Land kommen und zum Teil kaum lesen und schreiben können.
Was macht ein Flüchtling den ganzen Tag?
Nun ja, die, die keine Kinder haben, schlafen meist lange. Dann kümmern sie sich um die Verpflegung, einkaufen, kochen, sauber machen, abwechselnd ist einer für die Bedienung der Waschmaschinen zuständig. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich nicht nur um ihren eigenen, unmittelbaren Wohnbereich kümmern, sondern mehr Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen. Wie mussten viel Kraft investieren, damit die Bewohner alles selbst gut sauber halten, insbesondere die Gemeinschaftstoiletten. Das war für einige zunächst ungewohnt. Unser Hausmeister koordiniert das alles aber ganz hervorragend.
Was wird Ihrer Meinung nach für Unterkünfte wie in Brombach am dringendsten benötigt?
Der Freundeskreis Asyl leistet großartige Arbeit. Von einheimischen Familien würde ich mir wünschen, dass mal öfter jemand eine Familie zu sich nach Hause einlädt oder mit den Kindern in den Zoo geht... Um so mehr, als unsere Bewohner ja jetzt schon etwas Deutsch können.
Seitens der Stadt wünsche ich mir zwischen die Zelte einige Hochbeete in Holzkübeln, wo die Bewohner Blumen oder Gemüse anpflanzen können. Für das Gelände der GU hätte ich gern ein paar große Bäume in Kübeln, und Gras- und Blumensamen für die Erde ringsum. Ein paar Pflanzkübel in den Zelten wären auch toll. Vielleicht als Spende der Stadt oder einer Gärtnerei? Gerade für unsere vielen Kinder ist eine lebendige Umgebung wichtig.
Sind Sie optimistisch, was die Flüchtlingsproblematik insgesamt betrifft?
Ob ’wir das schaffen’, wird erst die Generation nach uns wissen. Wir können den Flüchtlingen jedenfalls etwas von unserer Kultur und Mentalität vermitteln und sie auf ein eigenverantwortliches Leben hier in Deutschland vorbereiten. Ich verstehe aber auch die Bedenken und Ängste der Menschen in Deutschland. Ich bin zuversichtlich, dass jede Mühe sich lohnt. Für mich ist jede Minute hier wertvoll, jeder Tag eine Bereicherung.
Gibt es ein Schicksal, das Sie besonders berührt hat?
Ja. Ein traumatisierter Jugendlicher, der mit dem Boot und über insgesamt sieben Länder hierher flüchtete. Seine Familie blieb zurück, und er stand unter enormem psychischem Druck. Das war einfach zuviel für ihn, so dass er in eine Klinik musste. Jetzt geht es ihm sehr viel besser, und er hat direkt nach der Klinik einen Platz in einer Anschlussunterkunft bekommen. Das freut mich ungeheuer. Bei solchen Schicksalen muss man einfach zweimal durchatmen.
Zur Person:
Britta Lanzendorf war lange im Management in internationalen Großfirmen tätig. Sie ist ausgebildete Mediatorin und Coach mit seelsorgerischer Zusatzausbildung und führte Jahre lang eine eigene Praxis. Dann verwirklichte sie sich einen Lebenstraum und kaufte ein Hotel in Bayern, das sie auch leitete. Seit November 2015 leitet sie die Gemeinschaftsunterkunft Brombach, zuvor arbeitete sie ehrenamtlich als Deutschlehrerin in der Unterkunft Efringen-Kirchen.