Lörrach Im Taifun der Klänge

Tonio Paßlick
Die Mundart-Rocklegende Stiller Has gastierte in Lörrach. Foto: Tonio Paßlick

Musik: Stiller Has im Burghof

Von Tonio Paßlick

Lörrach. „Fast wie ein Familientreffen“ sagen nicht wenige, als sie das Publikum im halb vollen, aber damit fast ausverkauften Burghof sehen. „Stiller Has“, die Berner Mundart-Rocklegende macht auf seiner Abschiedstournee auch Station in Lörrach. Viele Schweizer sind im Publikum, aber vor allem viele Fans des Kult-Hasen Endo Anaconda, mit Hut und neuem grauen Bart. Für seine letzte CD „Pfadfinder“ hat er sich als alter Hase ein Trio angesagter Schweizer Musiker zusammengestellt. „Stiller Has“ – das ist auch am Freitagabend im Burghof wuchtiger Rocksound mit nostalgischen Melodien, bissigen ironischen Texten mit balkanesker Blues-Würze, nuancierte Poesie im Märchenkleid und anarchischer Witz mit ungebremster Lust zum Fabulieren.

Unter dem Bandnamen „Stiller Has“ gab es seit 1989 mit wechselnden Besetzungen gegen zweitausend Konzerte. Sechzehn Alben heizten den Verkauf von über einer Viertelmillion Tonträger an. Die Abschiedstournee wurde wegen Corona über ein Jahr lang verschoben. Zeit genug, um nicht nur Texte über das Engagement der jungen Generation gegen die Ressourcen-Vernichtung, sondern auch über die Pandemie in bluesrockige Klänge zu verwandeln. Aber warum aufhören, wenn das Publikum die Band mit begeisterter Herzlichkeit empfängt und mit Standing Ovations verabschiedet?

„Rock ’n’ Roll pfeift aus den letzten Löchern“ sagte Endo Anaconda in einem Interview kürzlich. „Rap ist tot. Alles ist nur noch Mainstream.“ Und „jetz chöimer äntli afa ufhöre….“ Aber bevor er sich mit seinen nächsten Projekten mehr der kleinen Bühne und noch fokussierter mit Texten beschäftigt, entfaltet er mit „Pfadfinder“ und einer feinen Auswahl typischer Titel aus früheren CDs den Charme und das Charisma, das ihn weit über die Grenzen der Schweiz hinaus so viele Fans verschaffte. Mit seinen eher hochdeutsch gehaltenen Moderationen und dem scheinbar so gemütlichem Berner Dialekt zwischen „Moudi“ und „Mürggu“ trifft er ins Herz der Befindlichkeit nicht nur einer Generation.

„Die Welt wird komplexer und unverständlicher. Absurder und bedrohlicher,“ wird die CD angekündigt. Also nimmt uns Stiller Has gleich am Anfang mit ins Universum. Roman Wyss setzt sich ans E-Piano und beschwört Stürme und Wellen. Gitarrist und Banjo-Spieler Boris Klecic lässt den Wind aufheulen. Und Bruno Dietrich spielt zugleich Gitarre und Schlagzeug, später Ukulele und „Handörgeli“ und singt wie ein Stimme gewordenes Blasinstrument. In diesen Taifun der Klänge kommt Endo Anaconda und beschwört das Lebensgefühl dieser Generation: „Pirat sy isch e Zueschtand vo der Seel…“

Damit ist das sprachliche Idyll auch schon zerblättert. „Wallisellen“ beschreibt nicht nur einen Ort, sondern in surrealen Wortspielen mit allen möglichen anderen Städten und Dörfern der Schweiz die Trostlosigkeit, die nach dem Verlust der Authentizität bleibt. Und der Sänger und Texter nimmt mit seiner pfeilspitzen Selbstironie auch sich selber auf die Schippe, wenn er am Ende bildhaft „füdliblutt“ auf dem Dach Trompete spielt und dazu lapidar meint: „Es chönnti Kunscht si u nid nume Krach.“

Da ist einer nach über drei Jahrzehnten noch lange nicht müde, allen eigenen Unkenrufen zum Trotz. Mit Wucht, Worttiraden und zugleich melodiöser Nachdenklichkeit zetert und röhrt er seine schrill-schillernde Zeit-Kritik ins Mikrofon Da wird nicht nur der Nerv der Zeit gekitzelt, sondern auch das Herz umschmeichelt.

Bis er nach wehmütigen italienischen Liebes-Canzoni dann doch in der Zugabe lästert, was die letzten beiden Jahre auch verstärkt haben: „Für die eine goht’s bärgab, für die andere goht’s ufe!“ Und fast ein wenig zweifelnd: „Er hört nümm uf…!“ Der „Ändu“ begeistert und berührt. Wie angekündigt: ein Abschied mit Blick nach vorn.

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