Haben Sie sich für den Job freiwillig gemeldet?
BATRAM (lacht): Ja. Ich habe schon mein Referendariat hier absolviert und bin gerne an der Salzertschule.
VALACHOVIC: Die Bewältigung dieser Aufgabe fordert von beiden Lehrerinnen ein enorm hohes Engagement. Als Außenstehender kann man nicht wissen, wie viele Absprachen notwendig sind, um unter diesen Umständen zu unterrichten. Hinzu kommen ausführliche Elterngespräche. Diese Zusatzarbeiten werden bei der Berechnung des Deputats nicht berücksichtigt. Im Übrigen erfordert dieser Rahmen auch eine gute persönliche Beziehung zwischen den beiden Pädagoginnen. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit, aber in diesem Fall klappt es sehr gut.
Entwickeln sich die Kinder mit besonderem Förderbedarf in der Grundschulklasse besser? Oder wäre der Besuch einer spezialisierten Sonderschule, die ja womöglich auch den etwas geschützteren Rahmen bietet, die sinnvollere Alternative?
SCHUBERT: Die positiven Aspekte sind in diesem Fall zum Beispiel die wohnortnahe Beschulung. Die Kinder wohnen alle auf dem Salzert, aber das ist ein glücklicher Umstand. Die Wohnortnähe ist in inklusiven Klassen nicht selbstverständlich.
Andererseits kann ich gut den Vergleich ziehen zu Kindern in der zweiten Klasse der Pestalozzischule: Dort ist die Förderung doch intensiver, weil an einem SBBZ unter anderem kleinere Klassen gebildet werden. In den neun Stunden, die mir auf dem Salzert zur Verfügung stehen, kommen die Kinder im Vergleich nicht so gezielt voran. Die Klassenlehrerin muss ohnehin einen sehr vielfältigen Förderbedarf berücksichtigen. Unter diesen Umständen können sich die Kinder einfach nicht so entwickeln, wie bei einer täglichen Förderung.
Bleibt Inklusion unter diesen Rahmenbedingungen eine gesellschaftspolitische Utopie, die nicht umgesetzt werden kann?
SCHUBERT: So wie es aktuell läuft, ist es in mancherlei Hinsicht nicht gut. Verbesserungen sind notwendig. Ich kann sehr gut verstehen, dass sich Eltern eine wohnortnahe Beschulung wünschen. Zudem ist oftmals noch eine gewisse Angst vor der Förderschule bei den Eltern zu spüren. Deshalb müssten die Bedingungen an den allgemeinen Schulen noch deutlich verbessert werden, um wenigstens eine Annäherung an die Möglichkeiten eines SBBZ zu schaffen.
VALACHOVIC: Inklusion ist wünschenswert, und wir stehen auch alle dahinter. Aber wir benötigen bessere Bedingungen. Wir bräuchten an der Grundschule Salzert eine Sonderschullehrerin mit einer vollen Stelle, die Teil des Kollegiums ist. Auch in anderen Klassen befinden sich Kinder mit sonderpädagogischem Bildungsanspruch, aber die Eltern möchten nicht, dass ihr Kind an einer anderen Schule inklusiv beschult wird oder ein SBBZ besucht. Eine Sonderschullehrerin mit einer vollen Stelle könnte die meiste Zeit in der inklusiven Klasse arbeiten, aber auch in die anderen Klassen schauen. Und sie könnte ihre Kolleginnen und Kollegen beraten, die weder die Ausbildung, noch die Erfahrung haben, wie wir mit diesen Kindern am besten umgehen.
Was sagen die anderen, insbesondere die leistungsstärkeren Schüler in der inklusiven Klasse? Und wie entwickeln sie sich?
BATRAM: Unter sozialen Gesichtspunkten wirkt sich die Klasse positiv auf alle Kinder aus. Es ist eine tolle Klasse, in der alle gut aufgenommen wurden. Ich denke nicht, dass die stärkeren Kinder nennenswerte Einschränkungen durch diese Rahmenbedingungen hinnehmen müssen. Oder dass zu wenig auf sie geachtet wird. Die Kinder helfen sich auch viel gegenseitig, sie nehmen diese Unterschiede gar nicht so deutlich wahr. Auch die Elternschaft bildet übrigens eine sehr gute Gemeinschaft.
VALACHOVIC: Hinsichtlich der reinen Lernfortschritte wäre für die inklusiv beschulten Kinder unter den derzeitigen Bedingungen das SBBZ die bessere Adresse. Unter dem Aspekt der sozialen Entwicklung spricht aber vieles für solch eine gemischte Grundschulklasse. Was wir bräuchten, ist eine bessere Ausstattung, um gemeinsam zu lernen.
BATRAM: Und: Wenn Inklusion umgesetzt werden soll, müssten die Lehrkräfte künftig bereits im Studium darauf vorbereitet werden.
Wie wurden Sie inklusiv geschult?
BATRAM: Meine fachliche Vorbereitung beschränkt sich auf drei Hospitationstage an einem SBBZ. Mehr war im Rahmen meines Studiums und während des Referendariats nicht vorgesehen.
Kann Inklusion in weiterführenden Schulen funktionieren, etwa auch auf dem Gymnasium?
SCHUBERT: Es gibt ja die Gemeinschaftsschulen, wo Differenzierung und Vielfalt schon heute groß sind. Dort werden bereits inklusive Settings angeboten. Das wäre sicher eine Option. Aber das muss individuell entschieden werden.
VALACHOVIC: In ganz Baden-Württemberg werden 21 Schüler an Gymnasien inklusiv beschult. Die Aufgabe wird fast komplett an die Gemeinschaftsschulen abgegeben. Die Albert-Schweitzer-Schule hat einen hohen Anteil an Schülern, die einen Anspruch auf inklusive Beschulung haben. Wenn diese Herausforderung von einer einzigen Schulart bewältigt werden soll, kann weder das Problem gelöst, noch die Entwicklung der Gemeinschaftsschule angemessen funktionieren.
Ist das ein Argument dafür, ein Kind mit dem Anrecht auf inklusive Beschulung künftig in einer G8-Klasse am Hans-Thoma- oder am Hebel Gymnasium zu unterrichten?
VALACHOVIC: Das ist es nicht. Aber zunächst braucht es an allen Schularten wenigstens die Haltung, auch inklusiv unterrichten zu wollen. Welche Kinder letztlich sinnvoller Weise welche Schule besuchen, muss man genau anschauen und dann entscheiden. Es fehlt gewiss Personal für die Umsetzung, aber auch die Bereitschaft.
SCHUBERT: Die Verantwortung liegt bei allen Schulen. Aktuell findet die inklusive Beschulung fast nur an den Gemeinschafts- und Werkrealschulen statt.
Was müsste sich in Ihrem Alltag ganz konkret ändern, damit Inklusion besser gelingen kann?
BATRAM: Ganz klar: Frau Schubert müsste mehr Zeit in der Klasse verbringen. Und wir brauchen Kooperationszeiten – Zeit, die wir uns jetzt zusätzlich nehmen, am Freitagnachmittag oder am Wochenende. Und: eine bessere Vorbereitung auf diese Aufgabe schon im Studium sowie Fortbildungen im Beruf.
VALACHOVIC: Ich kann das nur bekräftigen: In einer inklusiven Klasse muss das Zwei-Pädagogen-Prinzip gelten – mit Grundschul- und sonderpädagogischer Ausbildung. Die Lehrer müssen auf diese neuen Aufgaben vorbereitet werden: auch für Kinder in den nicht inklusiven Klassen, die ebenfalls eine sonderpädagogische Betreuung benötigen.