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Lörrach Jede Stimme ist unverwechselbar

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Jung, sympathisch, motiviert: Joss Reinicke Foto: Gabriele Hauger

Interview: Der neue Leiter des Motettenchors Joss Reinicke über Chorproben, Corona und Händel

Joss Reinicke wurde im November 2021 zum neuen Leiter des traditionsreichen Motettenchors gewählt. Der 29-Jährige wuchs in Dänemark auf, studierte Schulmusik, Musiktheorie, Chorleitung, Dirigieren, Neue Musik und Philosophie. Er arbeitet als Musik-Dozent in Freiburg, wo er auch lebt, leitet mehrere Chöre und singt auch selbst. Gabriele Hauger unterhielt sich mit ihm.

Frage: Was hat Sie an der Aufgabe der Leitung des Traditionschors gereizt?

Beworben habe ich mich, weil ich mit einem Klangkörper arbeiten wollte, der so groß aufgestellt ist und ein solch umfassendes Repertoire hat wie der Motettenchor. Ich möchte Musik mit einer langfristigen Perspektive gestalten und tolle symphonische Chorwerke aufführen.

Frage: Ein junger und neuer Chorleiter. Klar, dass da Neues erwartet wird. Welche Impulse wollen Sie geben?

Mir ist sehr wichtig, an Klang und Stimmfarbe des Chores weiterzuarbeiten, da steckt großes Potenzial drin. Das haben wir bei den bisherigen Probenwochenenden auch schon intensiviert. Die Größe des Chores bringt einerseits Volumen mit, gleichzeitig hat er aber trotzdem Wendigkeit und Flexibilität. Das ist sehr reizvoll für mich als Chorleiter und macht viel Spaß. Was das Repertoire angeht, möchte ich die Schiene der klassischen großen chorsymphonischen Werke weiterverfolgen, was ja auch der Kern des Chores ist und ihn auszeichnet. Zum anderen möchte ich das kontrastieren und verflechten mit jüngeren Stücken, zum Beispiel mit zeitgenössischen Komponisten, damit das Spektrum etwas aufgefächert wird und so die Vielfalt des Chors gesteigert wird. Ich denke, das kann sehr bereichernd sein.

Frage: Welche Qualitäten hat der Chor, welche Defizite sind zu justieren?

Die große Erfahrung, das umfassende Repertoire mit anspruchsvoller Chorliteratur sind hervorzuheben. Die Sänger sind gut im Lernen neuer Stücke. Da herrschen Souveränität und ein gutes Niveau.

Frage: Worauf legen Sie den Fokus?

Mir ist sehr wichtig, dass gerade bei den Proben alle Sänger die Stücke mit einer gemeinsamen Intention musizieren: zum Beispiel bei der Gestaltung einer Phrase, eines Auftakts, beim Gestus eines Satzes.

Frage: Wie klappt es mit dem Chor?

Sehr gut. Es ist schön zu sehen, wie aufmerksam die Sänger sind, ihre Freude zu spüren, an der Gestaltung einer Partitur zu arbeiten. Das habe ich gleich gespürt, vor allem an den intensiven Probenwochenenden. Und es besteht eine große Offenheit gegenüber mir, was ich sehr zu schätzen weiß.

Frage: Fehlen Ihnen Männerstimmen?

Es wäre schön, wenn die Männerstimmen noch etwas stärker würden – gerade im Tenor. Durch die fast zweijährige Corona-Pause war es nicht leicht, zu wissen, wie es weitergeht. Und auch bei uns gab es einige Absprünge. Einige singen ungern mit Maske – wir proben immer noch „mit“ –, oder ihnen war das gemeinsame Proben zu heikel. Coronabedingt können wir ja erst seit knapp vier Wochen proben. Ich habe den Chor phasenweise aufgeteilt – eine ziemliche Herausforderung. Wir mussten Verschiedenes ausprobieren. Doch der Chor hat sich sehr kooperativ verhalten.

Frage: Wie schwierig ist es, mit Maske zu singen?

Es ist sehr ungewohnt. Man hört sich ganz anders und die anderen schlechter. Vieles geht unter, zum Beispiel Konsonanten. Die Aufführung ist dann natürlich ohne Masken.

Frage: Fehlt Ihnen Sängernachwuchs?

Altersmäßig ist der Motettenchor ziemlich gut durchmischt, gerade, wenn ich das mit anderen Chören vergleiche. Der Durchschnitt liegt so zwischen 40 und 70. Natürlich freuen wir uns über Nachwuchs. Ich würde auch gerne Kontakt zu den hiesigen Schulen knüpfen. Gerade, weil ich selbst viel mit Jugendlichen arbeite, auch als Dozent in Freiburg. Vielleicht können wir da Kooperationen schließen.

Frage: Muss ein Chorleiter eigentlich selbst sehr gut singen können?

Das ist schon sehr von Vorteil! Sie erkennen dann, was und wo die Schwierigkeiten sind. Und Sie wissen, was und wann innerhalb einer Probe sinnvoll ist, was vielleicht zu fordernd ist. Man kann sich in das Probentempo viel besser hineinversetzen. Denn es ist ein großer Unterschied, ob man vorne steht und ganz viel vermitteln will, oder ob man das als Sänger dann alles möglichst schnell umsetzen soll. Es ist wichtig, für die sängerische Seite Empathie zu entwickeln.

Frage: Sie haben auch Philosophie studiert. Ziehen Sie etwas daraus als Dirigent?

Es ist in jedem Fall bereichernd, sich immer wieder zu hinterfragen, zu reflektieren, was einen an bestimmter Musik fasziniert, dass es nie darum geht, sie aufzulösen, sondern vielmehr, sie weiter zu differenzieren. In der Philosophie wie in der Musik geht es nicht um einfache, klare Antworten, sondern man kann sich immer wieder fragen: Was beschäftigt mich, was fasziniert mich daran.

Frage: Was für ein Typ Dirigent sind Sie: Kumpel oder Lehrer?

Ich würde am liebsten mit meinen Inhalten überzeugen, möchte vermitteln, dass wir aus einem Stück gute Musik machen. Wenn ich bei den bisherigen Proben fordernder wurde, wurden die Sänger noch wacher, haben sich gefreut, etwas zu verbessern – sehr professionell. Ich hoffe, ich vermittle meine Ansprüche und meine Liebe zur Musik, die überzeugt. Zudem habe ich eine grundsätzliche Wertschätzung und Verständnis dafür, wie vielseitig und anspruchsvoll Chorsingen sein kann, egal, auf welcher Stufe. Das ist wichtig, auszustrahlen. Man sollte niemals gegen die Leute arbeiten. Alles, was nicht klappt, muss ich so justieren, dass es funktioniert. Fordern sollte immer positiv besetzt sein.

Frage: Kann jeder im Motettenchor mitsingen?

Chorerfahrung wäre gut. Zudem ein gutes Gehör, dass man Töne schnell nachsingen kann und Flexibilität in der Stimme. Und: Sensibilität für den Gesamtklang. Manche singen einzeln sehr souverän, können sich aber schlecht in einen Chor einfügen. Man muss die Fähigkeit haben, aufeinander zu hören.

Frage: Was begeistert Sie an Händels Alexander’s Feast? Zu hören am 8. Mai im Burghof?

Händel ist eine unglaublich theatral angelegte Musik, die von der Textur der Stücke her sehr viele Kontraste hat: von sehr eingängig bis hin zu hoch komplexen Fugen. Ein faszinierend großes Spektrum an Ausdrücken! Mit dem „Alexander“ werden die verschiedensten Affekte durchgespielt: von der Wut bis zur Trauer. Mit diesem Stück zeichnen wir eigentlich nach, wie Musik all diese Bandbreite an Gefühlen hervorrufen kann. Das versinnbildlicht der Chor. Und das macht großen Spaß zu singen – und zu hören. Händel verstand es, zwischen Eingängigkeit und Raffinesse zu begeistern.

Frage: Was steht als nächstes Projekt an?

Wir sind in der Reihe „Goldener Herbst“ zu Gast. Der Titel hat mich inspiriert. Da steckt das Licht mit seinen klaren Farben Herbst drin, aber auch die kommende Dunkelheit. Dem gehen wir nach. Mit einem sehr dunklen Puccini-Requiem, der Schumann Messe und dazwischen ein Stück des lettischen zeitgenössischen Komponisten ĒEriks Ešenvalds. Er hat eine ganz andere, aufhellende Farbigkeit, die einen tollen Kontrast bietet, aber trotzdem im Begriff des Herbstes steckt. Die klanglichen Nuancen der Farben mit dem Chor herauszuarbeiten: Darauf freue ich mich sehr. Das macht Chorarbeit aus! Eigentlich haben wir alle dasselbe Instrument: die Stimme. Aber die Palette an Farben ist so vielfältig. Wenn diese feinfühlig von jedem Sänger eingesetzt wird, ergibt das eine so große Bandbreite, die eigentlich nur Chormusik bietet. Jede Stimme ist unverwechselbar. Und trotz aller angestrebten Homogenität der Sänger: Ein strahlendes D-Dur klingt bei jedem Chor anders.

Motettenchor Lörrach und L’Arpa Festante: Händel: „Alexander’s Feast; or The Power of Music“: Sonntag, 8. Mai, 18 Uhr, Burghof Lörrach

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