Lörrach JFK: von der Welt ins Schlafzimmer

Die Oberbadische
Faszinierend wandelbare Erzählerin Bea von Malchus Foto: Dorothee Philipp Foto: Die Oberbadische

Festival: Bea von Malchus knöpfte sich im Nellie Nashorn die Kennedys vor 

Von Dorothee Philipp

Lörrach. Ein Splatter-Movie ist sie, die Geschichte des Kennedy-Clans, die, umwabert von Verschwörungstheorien, Sex und Crime bis heute in den Köpfen herumspukt und Generationen von Filmemachern, Schriftstellern und Bühnenkünstlern beschäftigt.

Bea von Malchus, Regisseurin, und Schauspielerin nimmt sich das Epos auf ihre Weise vor. Im Nellie Nashorn, das diesen Winter mit einem exzellent besetzten „Kabarett-Comedy-Wort-Festival“ Laune macht, braucht sie nur einen Sessel, aus dem heraus sie die Geschichte entwickelt. Im Hintergrund hängt das Sternenbanner ohne Sterne.

Von romantisch bis bitterböse

In einer One-Woman-Show zwei Stunden lang im Sitzen (!) entfesselt sie einen erzählerischen Orkan, bei dem die schönsten Szenen „live“ gespielt oder in Balladen von romantisch bis bitterböse musikalisch verpackt werden. Sie schlüpft blitzschnell in die verschiedensten Rollen, ob Tussi oder Kerl, unterstreicht dabei ihr raffiniertes Beinkleid, dessen Hülle sie zu einem neckischen Röckchen oder zur Ehrfurcht gebietenden Abendrobe drapieren kann. Wohlgemerkt, ohne aufzustehen.

Wer sich mit Beas Biografie beschäftigt, trifft sehr bald auf die Großmutter, die in dem Kind die Lust an Geschichten weckte: „Sie hatte zwar nur ihren Küchenstuhl, aber sie konnte eine Welt erschaffen“, sagte die Künstlerin einmal an anderer Stelle. Und das funktioniert optimal, schlägt manches mit großem Personal besetzte Theaterstück.

„JFK“ als Notbesetzung für den Präsidentenjob, nachdem der ältere, als Kronprinz vom Vater verhätschelte Bruder in seinem mit Bomben vollgestopften Flugzeug über dem Ärmelkanal explodiert ist. Er ist eigentlich ein Loser, der mit der dilettantisch eingefädelten Invasion der Schweinebucht bei Fidel Castro die Lachtränen laufen lässt. Einer, der Gegenkandidat Nixon mit der Wahlkraft des von Mafia-Boss Giancana mobilisierten Chicago nur hauchdünn abgehängt hat. Einer, der den Bau der Berliner Mauer nicht verhindern konnte. Doch der dramatische Abgang im offenen Wagen in Dallas adelt alles. „Das war ein tolles Finale“, wispert ihm die Ur-Omi von Wolke sieben aus zu.

Es kommen weiter vor: die Kennedy-Frauen, ehrgeizig, zickig und intrigant, Jackie, das „Bambi“, das der Womanizer JFK zielsicher als Trophäe abräumt, die dann im East Wing des Weißen Hauses Möbel umarrangieren darf, während der Gatte die Weltgeschichte lenkt und die Damenwelt nach Belieben flachlegt. War Marlene Dietrich die prominenteste Gespielin seines Vaters, ist es bei JFK die Monroe. Es kommen weiter vor: Mafia-Boss Sam Giancana und sein Freund Frank Sinatra, der Papst („…in nomine Spiritu Franco“), ein Haiku dichtender Tenno, ein leider nicht mehr entwirrbarer „Bandsalat“, auf dem Martin Luther King beim Fremdgehen aufgenommen sein soll; sowie ein von seiner Kinderschar und einer Fischreste spuckenden Robbe gepiesackter Bobby Kennedy, der auf dem Boden des heimischen Wohnzimmers liegend an seiner verhängnisvollen Rede feilt.

Selten hat jemand Weltgeschichte und Schlafzimmergeschichten so attraktiv kombiniert – das eine bedingt das andere und umgekehrt – wie Bea von Malchus. Kurzweilig die Vorgriffe, bei denen auch von Trumps „erdbeerfarbener“ Frisur die Rede ist, und Rückblenden zum Beispiel auf das Transatlantikschiff, das die wegen der Kartoffelpest halb verhungerten Iren ins gelobte Land bringt und auf dem sich Urahne Bridget und Urahn Patrick kennengelernt haben.

Weltgeschichtlich Bedeutendes lässt Bea von Malchus mit der „Russland-Fanfare“ untermalen, einem von den Nazis zweckentfremdetem Zitat aus Liszts „Les Préludes“, das 87 Jahre nach seiner Entstehung ab 1941 die Siegesmeldungen der Wochenschau pompös inszenierte. Es ist, als blättere man in einem verbotenen Fotoalbum, aus dem die Figuren plötzlich herausspringen und erzählen, wie es wirklich war. Das Publikum ist fasziniert und begeistert. Der Kennedy-Mythos lebt!

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