Lörrach Keine leisen Töne

Die Oberbadische
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Kabarett: Jochen Malmsheimer im Burghof Lörrach: Von bissigem Humor bis Ingrimm

Von Beatrice Ehrlich

Lörrach. Eines ist sicher: Jochen Malmsheimer wirft so schnell nichts um. Der Kabarettist aus Bochum ist ein Baum von einem Mann, der angesichts eingegitterter Granitblöcke in deutschen Vorgärten nicht nur verzweifelt den Kopf schütteln, sondern in Raserei verfallen kann. Ja, man macht sich schon Sorgen um den Blutdruck des korpulenten, kräftigen Mannes, der Abend für Abend auf kleineren oder größeren Bühnen der Republik für Stimmung sorgt, aber er scheint einfach nicht anders zu können: Alltagsbeobachtungen und Zusammentreffen mit Zeitgenossen versetzen ihn zuverlässig in Rage und seine unverwechselbar kreative Wortsalvenproduktion erst so richtig in Gang.

Nix hier mit MINT! Malmsheimer kultiviert mannigfaltige Spielarten des Sprachlichen: Ob in Form pompöser Alexandriner, die ihm beim abendlichen Blick in den Spiegel in das Gesicht seines gealterten Ichs in atemloser Geschwindigkeit über die Lippen quellen; ob als explodierendes Brüllfeuerwerk in der Art eines sich um Kopf und Kragen redenden ausgewachsenen Rumpelstilzchens. Mit virtuosem Mienenspiel in Szene gesetzter Groll, die unübertroffene sprachliche Rasanz, auch im gelesenen Vortrag sowie das unberechenbare Schwanken zwischen echtem Zorn und ausgelassener Freude über den eigenen Witz bestimmen den Abend.

Der Mann kann keine leisen Töne: Zum durchdringenden Fortissimo steigern sich seine Ausbrüche, wenn er zum Seitenblick auf die bundesdeutsche Wohlstandsgesellschaft ansetzt. Beispiel Zoo: Wo hinter den Gittern längst nichts mehr kreucht und fleucht hat er eine neue Spezies leider nicht vom Aussterben bedrohter Arten gemacht. Mütter mit schussfesten Transportpanzern, Kinder mit unmöglichen Namen – es kann nicht jeder Jochen heißen – Tattoos, Trinkflaschen und kreischende Gören wohin man schaut: Ob das nun die Affen oder die Menschen sind, fragt sich der unbedarfte Besucher?

Früher war nicht alles besser – aber manches

Doch die Malmsheimersche Empfindsamkeit bei der Begegnung mit seinen Mitmenschen verkehrt sich in ihr Gegenteil, wenn es um seine eigenen Plaisirchen geht. Früher war nicht alles besser, in diesen Chor will er nicht einstimmen, manches aber: Vom guten alten Butterbrot bis zur staatlich verordneten Sendepause nach Mitternacht war manches einfach gut, ist der Bochumer Kabarettist überzeugt.

Jochen Malmsheimer ist nostalgischer als er selbst zugeben mag, und darin tut es ihm sein Publikum nach: Kindheitserinnerungen wie an das Radio, das seinerzeit noch ein Möbel war, sowie die dazugehörigen Plopp und Knistergeräusche rufen beim Publikum zuverlässig Erinnerungen an das analoge Zeitalter wach, ebenso wie das bereits genannte Butterbrot mit Cervelatwurst, das auf den Schulhöfen längst durch andere Genüsse ersetzt worden ist, manch einen an die eigene Kindheit erinnern mag.

Seine Feindbilder liegen dagegen eher im Hier und Heute: Die parodistische Nachstellung einer Expertensendung mit Hörerbeteiligung zum Thema Hebelkippfenster und Schiebedrehtür ist nur einer der Seitenhiebe auf heutige Medienschaffende und ihre sich nur vermeintlich durch besondere Kenntnisse auszeichnenden Gesprächspartner, sei es aus dem audiovisuellen oder dem gedruckten Bereich.

Sein Gedicht über den Stachelrochen schließt den Bogen zum Titel des Abends, „Flieg’ Fisch, lies und gesunde! Oder Glück, wo ist dein Stachel?“, mit dem Malmsheimer einmal mehr in sprachlicher Opulenz und literarisch inszeniertem Furor schwelgt, eine aussterbende Kunst in einer Bildungsrepublik, in der inhaltsleere Kompetenzen an die Stelle der bewährten Klassiker getreten sind. Dem Kabarettisten kann es recht sein. Genau hier hat Malmsheimer seine Nische gefunden.

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