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Lörrach „Man kann es hier schaffen“

Veronika Zettler

Geflüchtet nach Lörrach: Serie - Teil 4: In der Anschlussunterbringung Neumatt-Brunnwasser.

Lörrach - Wie leben Menschen heute in Lörrach, die vor vier oder fünf Jahren nach Deutschland geflüchtet sind? Für den vierten Teil unserer Serie haben wir uns in der Anschlussunterbringung Neumatt-Brunnwasser umgesehen.

Im Mai 2018 zogen die ersten Bewohner in die für 5,27 Millionen Euro neu errichtete Anschlussunterbringung Neumatt-Brunnwasser am Ortsrand von Haagen. Nach bis zu zwei Jahren in Gemeinschaftsunterkünften begann mit dem Umzug in die zweistöckigen Holzmodulbauten für viele ein neues Kapitel in Deutschland. 135 Personen, die zuvor in Zelten, Containern oder umfunktionierten Sporthallen Feldbett an Feldbett gelebt hatten, konnten in die 36 neuen Wohnungen umsiedeln. Ein neuer Abschnitt war das auch für die Sozialbetreuer, in diesem Fall von der Caritas, die sich fortan als sogenannte Integrationsmanager um die Menschen in dem kleinen Quartier an der Hornbergstraße kümmern sollten.

„Zuerst mussten wir Struktur in die neue Aufgabe bringen“, erinnert sich Sabrina Grether an die Anfänge vor Ort. Bis heute ist die Sozialbetreuerin für die Bewohner der Anlage eine der wichtigsten Ansprech- und Vertrauenspersonen. 104 Bewohner sind es derzeit, davon 24 Kinder, das jüngste ist wenige Tage alt.

Matthias Bächle hat sein Büro ebenfalls in der Unterbringung. Noch vor Kurzem arbeitete er im Welcome-Center im Rathaus, doch Corona erforderte Umstrukturierungen. Schwerpunktmäßig kümmert sich Bächle um Menschen, die in Anschlussunterbringungen in den Ortsteilen wohnen, also größtenteils in gemieteten Wohnungen in Brombach, Haagen und Hauingen. Bürokratisches Dickicht „Mittlerweile funktioniert alles gut“, sind sich Grether und Bächle einig, „Integration braucht Zeit und Begleitung, viele sind auf einem guten Weg“. Das Café vor Ort, der anfangs gegründete Anwohnerbeirat und Ehrenamtliche - zum Beispiel ein pensionierter Lehrer, der Deutsch unterrichtet - helfen beim Einfinden in die neue Umgebung und Kultur. Derweil sehen sich die Integrationsmanager als Schnittstelle zwischen Bewohnern und dem Netzwerk diverser Akteure rund um den Integrationsprozess. Dazu gehört die Begleitung in Arbeit und Ausbildung. „Immer mehr unserer Leute kommen nach und nach in Beschäftigung, ob Praktikum, Minijob, Teilzeit oder Festanstellung“, so Grether.

Derzeit haben die Betreuer allerdings gut damit zu tun, ihren Schützlingen Wege durch das bürokratische Dickicht zu schlagen. Denn diese wenden sich ratsuchend mit einer Flut von Aufforderungen, Bescheiden und Schreiben an die Sozialarbeiter. Seien es Anträge auf Grundsicherung, Kindergeld oder BAföG, seien es Mitteilungen vom Jobcenter, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder schlicht GEZ-Briefe. Aus den Sozialbetreuern sind längst Allrounder geworden: „Wir müssen in jedem Bereich ein bisschen Bescheid wissen“, erklärt Bächle. Das Bewältigen der Bürokratie sei zwar nicht die Kernaufgabe der Sozialbetreuung, aber es solle eben auch der Rahmen für eine gelingende Integration geschaffen, Finanzielles geklärt, kurzum: „Licht ins Dunkel gebracht werden“, wie Bächle sagt. Beschäftigungsduldung „Manchmal geht es auch einfach nur ums Zuhören“, meint Sabrina Grether, „dafür hätte man gerne etwas mehr Zeit“. Vom Analphabeten bis zum Arzt und von der alleinerziehenden Mutter bis zur großen Familie haben die Bewohner viele unterschiedliche Anliegen und Geschichten. Manche bringen traumatische Fluchterfahrungen mit, andere, überwiegend aus westafrikanischen Ländern, beschäftigt ein unsicherer Aufenthaltsstatus.

Umso größer ist die Freude bei Betreuten wie Betreuern, wenn sich Erfolge einstellen und neue Perspektiven auftun. Wenn zum Beispiel jemand durch eigene Initiative oder über das Raumteilerprogramm Privatraum findet. Oder wenn es jemandem gelingt, sich von staatlichen Leistungen zu lösen. Wenn Eltern die Tochter in Ausbildung schicken, obwohl derlei im Herkunftsland absolut nicht üblich war. Oder wenn jemand nach langem Bangen eine bessere Bleibeaussicht bekommt. So wie jüngst der 25-jährige Lamin. Er arbeitet in einem Lörracher Unternehmen und ist in der Anschlussunterbringung Neumatt-Brunnwasser der Erste, der die neu geschaffene Beschäftigungsduldung erhalten hat. Damit ist sein Aufenthalt für weitere 2,5 Jahre gesichert. Vor drei Wochen habe er das Dokument abgeholt, berichtet der junge Gambier, und schildert chronologisch exakt die zahllosen Schritte und Etappen, die bis dahin nötig waren. „Jetzt kann ich wieder schlafen“, fasst er seine Erleichterung zusammen.

Während sich Lamin derzeit noch eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit drei weiteren alleinstehenden jungen Männern teilt, ist Bashar, Anfang 20, mittlerweile in eine eigene Wohnung in Brombach gezogen. „Ich wusste nicht, dass mich hier so viele Menschen unterstützen würden“, sagt Bashar. Seit knapp zwei Jahren in Deutschland, spricht der irakische Kurde schon beinahe perfekt Deutsch. Wie das Lernen der neuen Sprache hat er auch alles andere voller Elan und Tatendrang angepackt. „Für mich war es nicht so schwierig hier“, erklärt er, „Sabrina und Matthias mussten mich manchmal eher bremsen, weil ich alles auf einmal machen wollte“. Im Januar hat er ein freiwilliges soziales Jahr bei der Lebenshilfe angefangen, 2021 will er dort seine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger starten. Bashar, der schon als Kind von Deutschland geschwärmt hat, ist überzeugt: „Wenn man ein Ziel hat, kann man es hier schaffen“.

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