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Lörrach Mit „Güte und Strenge“

Die Oberbadische
Christof Schwald (l.) und Autor Hubert Bernnat präsentieren die Dokumentation zur Einrichtung für Kinder- und Jugendhilfe auf der Tüllinger Höhe Foto: Willi Vogel

Literatur: Tüllinger Höhe: vom Rettungshaus zum Heilpädagogischen Zentrum

Anlässlich des 160jährigen Gründungsjubiläums der Einrichtung für Kinder- und Jugendhilfe auf der Tüllinger Höhe und pünktlich zur Fertigstellung des Neubaus erscheint Hubert Bernnats Dokumentation „Vom Rettungshaus 1860 zum Heilpädagogischen Zentrum 2021“.

Von Willi Vogl

Lörrach. Der Historiker und ehemalige Schulleiter des Hans-Thoma-Gymnasiums nutzte hierfür die Möglichkeit die teils in Sütterlinschrift verfassten Protokollbücher einzusehen und mit Zeitzeugen zu sprechen. Auf der Basis der mitunter ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Quellentexte entstand eine spannend zu lesende Dokumentation zur örtlichen sozialpädagogischen Zeitgeschichte.

Die pädagogische Konzeption der Einrichtung basierte auf den Ideen der pietistischen Reformbewegung, die im 19. Jahrhundert in Baden eine Reihe von ähnlichen Einrichtungsgründungen zur Folge hatte. Ein Handlungsgrundsatz war die Verbindung von „Güte und Strenge“. Der Grundsatz wurde von den verantwortlichen Pädagogen immer wieder neu den jeweils wechselnden gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst.

Die große Konstante war und ist die Idee der Großfamilie, bei der Heimleitung, Lehrer, Erzieher und Pfleglinge unter einem Dach wohnen. Es bestimmt das mitunter abgeschiedene Leben auf der Tüllinger Höhe. Zunächst kamen die Kinder aus der Region und vor der Grenzfestigung nach dem 1. Weltkrieg auch aus Basel und Riehen. Von Anfang an und bis zum 2. Weltkrieg wurde die pädagogische Arbeit durch den Einsatz der Jungen in der Landwirtschaft entscheidend mitfinanziert. Sogenannte „Liebesgaben“ von Basler Bürgern und Landwirten der Umgebung stellten ein weiteres wirtschaftliches Standbein dar. „Frühzeitig wurden 1863 auch bereits Mädchen aufgenommen, die man in der Hauswirtschaft einsetzen konnte“, erläutert Bernnat die Motivation. 60 Kinder stellten eine hinreichende Basis für die wirtschaftliche Existenz der Einrichtung dar.

Als in der NS-Zeit die Jungen in ein anderes, grenzferneres Heim verlegt wurden, war die Einrichtung existenziell bedroht. Wenngleich es in diesem Zusammenhang nicht zur Euthanasie kam, wurden einige der weiterhin auf der Tüllinger Höhe lebenden Mädchen zwangssterilisiert. „Das Heim hatte sich jedoch mit dem Nationalsozialismus nicht gemein gemacht“, konnte Bernnat nach akribischen Recherchen in den Protokollbüchern feststellen.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Finanzierung durch den Staat übernommen und die Einrichtung konnte sich perspektivisch stabilisieren. Die pädagogischen Herausforderungen im Umgang mit oft traumatisierten Kindern oder aggressiven Jugendlichen sind jedoch nach wie vor immens. Gerade hierfür sind charismatische Pädagogen wie etwa Walter Haebler, der trotz seiner Erblindung 1942 zum Heimleiter berufen wurde, unverzichtbar.

In den Kapiteln etwa zu den Gründungsjahren, dem Ausbau der Rettungsanstalt, dem Weg zum Kinderheim, zur Bedrohung der Mädchen in der NS-Zeit und dem Umbau zum Fachdienst für Kind und Familie wird lokale Zeitgeschichte lebendig. „Es ist kein pädagogisches Fachbuch, sondern die bislang erste umfassende Dokumentation zur Einrichtung“, beschreibt Christof Schwald, der Mitherausgeber und Einrichtungsleiter das 33. Lörracher Heft. Sie könne den Respekt vor der Lebensleistung früherer Mitarbeiter befördern, die sich damals neben den pädagogischen Herausforderungen fern garantierter Urlaubsansprüche und lediglich für Gottes Lohn auch kreativ um die wirtschaftliche Absicherung der Einrichtung kümmern mussten.   Das 33. Lörracher Heft ist für 14,80 Euro im Dreiländermuseum und im Buchhandel erhältlich.

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