Lörrach Mit harten Bandagen im Wahlkampf

Hubert Bernnat

Lörracher Oberbürgermeister: Serie – Teil 4: 1975: Knappe Entscheidung nach den Eingemeindungen

In „Unser Lörrach“ heißt es zum 1. Januar 1975: „Lörrach ist größer geworden. Von heute an ist die Stadt mit den Stadtteilen Brombach und Hauingen gebildet worden. Sie zählt jetzt fast 45 000 Einwohner.“ Schon ein Jahr zuvor hatte sich Haagen freiwillig der Stadt angeschlossen, Hauingen und Brombach hatten sich bis zum Schluss dagegen gewehrt.

Von Hubert Bernnat

Lörrach. Die Große Verwaltungsreform, die eine deutliche Verminderung der Zahl der Kreise und Gemeinden beinhaltete, war in der Zeit der Großen Koalition von SPD und CDU zwischen 1966 und 1972 beschlossen worden und auch während der Alleinregierung der CDU von 1972 bis 1978 unter Ministerpräsident Hans Filbinger nicht mehr verhandelbar. Die Reform zur Schaffung leistungsfähiger Einheiten war vor allem von der SPD durchgesetzt worden.

Die Eingemeindung

Gemeinderat und Oberbürgermeister mussten somit neu gewählt werden. Die Gemeinderatswahlen waren von 1974 auf 1975 verschoben worden, die Oberbürgermeisterwahl fand fünf Jahre vor Ablauf der regulär zwölf von Egon Hugenschmidt statt. Diese lange Amtszeit hatte bis 1975 bei einer Wiederwahl gegolten, die Egon Hugenschmidt ja 1968 gelungen war. In seiner konstituierenden Sitzung am 7. Januar bestimmte der Übergangsgemeinderat nun mit Vertretern aus den Ortsteilen den amtierenden Oberbürgermeister fast einstimmig bis zur Neuwahl zum Amtsverweser. Nur einen Tag später stattete OB Egon Hugenschmidt den Bediensteten der Rathäuser in Hauingen und Brombach einen Besuch ab. In der Chronik heißt es: „Der Empfang in den Rathäusern verläuft überall sehr freundlich.“ Dies entsprach allerdings nicht der Stimmung vieler Menschen. Nicht nur war Egon Hugenschmidt ein klarer Befürworter der Eingemeindungen, auch der fast vollendete Bau eines 17-stöckigen Rathauses, dessen Größe ein Vorgriff auf die Eingemeindungen zu sein schien, hatte für Unwillen gesorgt.

Die Gemeinderatswahl im April 1975 brachte einen deutlichen Zugewinn der CDU, die sich mit 40,5 Prozent der Stimmen erstmals seit Kriegsende bei einer Kommunalwahl vor der SPD behaupten konnte, die mit 33,8 Prozent nur noch zweitstärkste Kraft war. In den Ortsteilen dominierten CDU und SPD. Klar gegen die Eingemeindung hatten sich nur die Brombacher SPD und Freien Wähler ausgesprochen. Den Ortsteilen waren durch die unechte Teilortswahl Sitze im Gemeinderat garantiert: fünf für Brombach und je drei für Haagen und Hauingen. Die CDU konnte jeweils zwei Mandate gewinnen, die SPD zwei in Brombach und je eines in Haagen und Hauingen, die Freien Wähler eines in Brombach. Nichts schien also auf einen Politikwechsel hinzudeuten, zumal der neue Gemeinderat den bisherigen Bürgermeister Edmund Henkel mit der Zustimmung aller Fraktionen im Amt bestätigte.

Im Vorfeld der OB-Wahlen

Dass der parteilose Egon Hugenschmidt sich wieder zur Wahl als Oberbürgermeister stellen würde, war keine Überraschung. Er war gerade 50 Jahre alt geworden und sah sich nach 15 durchaus erfolgreichen Jahren noch nicht am Ende seiner Arbeit. So konnte im März Richtfest für die neue Kinderklinik gefeiert werden und es wurde der Beschluss zum Umbau des alten Hebel-Gymnasiums in ein Städtisches Museum gefasst. Schon zuvor waren die Vorarbeiten für den westlichen Einbahnring geschaffen worden, die Verkehrsführung über die Weinbrennerstraße durch das Burghof-Areal zum Aichele-Park. Das Areal an der Westseite des neuen Marktplatzes hatte mit dem Bau des Hochhauses ein völlig neues Gesicht bekommen. Hugenschmidts Kandidatur wurde von CDU, FDP und den Freien Wählern aus Lörrach und Hauingen unterstützt. Er stellte sich als „Mann unseres Vertrauens“ dar und wies auf seine Erfolge hin. Am 21. Oktober gründete sich eine überparteiliche „Bürgerinitiative für Oberbürgermeister Egon Hugenschmidt“. Dieser gehörten auch einige prominente SPD-Mitglieder an, was noch zu Diskussionen führen sollte.

Denn anders als 1968 stellte die SPD diesmal einen Gegenkandidaten auf. Hugenschmidt reagierte allerdings mit Unverständnis darauf, als ihm SPD-Vertreter Anfang Oktober dies eröffneten. Und er reagierte ablehnend auf das Angebot zur Zusammenarbeit im Falle seiner Wahl. Die SPD hatte den 34-jährigen Juristen Dr. Josef Brandel und persönlichen Referenten des Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel gewinnen können. Brandels Vater war bis 1962 als CDU-Mitglied Oberbürgermeister in Freiburg gewesen. Sein Sohn war 1969 in die SPD eingetreten und gehörte zur „Willy-Brandt-Generation“. Eine Wählerinitiative bildete sich, in der vor allem SPD-Mitglieder aktiv waren.

Brandel hatte vor seiner Kandidatur viele Gespräche geführt und den Eindruck für „einen Wechsel im Lörracher Rathaus“ gewonnen. Er versprach Bürgernähe, sparsame Haushaltsführung, rasche Lösung der anstehenden Verkehrsprobleme und eine organische Integrierung der neuen Ortsteile. Der junge SPD-Stadtrat Zubeil warf Hugenschmidt in einem Leserbrief vor, dass er wenig sorgfältig mit Steuergeldern umgehe. Dem wurde vom ehemaligen SPD-Stadtrat Dr. Weil heftig widersprochen: „In den vergangenen Jahrzehnten hat die SPD das Gesicht unserer Stadt entscheidend mitgeprägt, sei es auf sozialpolitischem, wohnungsbaupolitischem oder kulturellem Gebiet. Und dies nicht gegen den Oberbürgermeister, sondern mit ihm“.

Weil traf damit durchaus ins Schwarze. Somit war es eher das Gefühl, eine Chance zu haben, wieder das Stadtoberhaupt zu stellen. Zum anderen kam dieser Wunsch auch von den jungen Sozialdemokraten der Brandt-Generation, die sich vom konservativen Umfeld Hugenschmidts und dessen Unterstützern bei CDU und Freien Wählern absetzen wollten. Der Wahlkampf wurde vor allem von den Wählerinitiativen mit harten Bandagen und unschönen verbalen Angriffen geführt.

Der Wahlausgang

Nur Amtsinhaber Egon Hugenschmidt und Herausforderer Dr. Josef Brandel waren zur Wahl angetreten, die Zahl der ungültigen Stimmen war vernachlässigbar. Immerhin 68,9 Prozent der Berechtigten gingen am 12. November 1975 zur Wahl. Die Entscheidung fiel im ersten Wahlgang mit 51,6 Prozent für Hugenschmidt gegen 48,3 für Brandel denkbar knapp aus. 657 Stimmen hatten Brandel gefehlt. Dabei war folgende Tendenz festzustellen: Hugenschmidt gewann in der Kernstadt Lörrach mit 54,9 Prozent, Brandel in den drei Ortsteilen mit 61,6 Prozent. In Haagen und Hauingen unterlag Hugenschmidt Brandel nur knapp. In Brombach landete Brandel dagegen mit 67,4 Prozent einen deutlichen Sieg. In der Kernstadt konnte Hugenschmidt 20 von 29 Wahlbezirken für sich entscheiden. Brandel gewann vor allem in den damaligen SPD-Hochburgen Neumatt, Nordstadt und Salzert. Insgesamt hatte Brandel deutlich mehr Stimmen für die SPD geholt, als diese bei den Gemeinderats- und Ortschaftsratswahlen im April erreicht hatte.

Der SPD-Kandidat, der sicher eine ausgezeichnete Alternative darstellte, profitierte aber vor allem in Brombach von einer Anti-Hugenschmidt-Stimmung, die mit der Eingemeindung zu tun hatte. Hugenschmidt schien an der Gegenkandidatur schwer zu tragen, so dass er noch in der Lörracher Stadtgeschichte von 1982 nur vom „Kandidat der SPD“ spricht, ohne ihn beim Namen zu nennen. Nachdenken musste die SPD aber über das Verhalten einiger ihrer Mitglieder. Ortsvereinsvorsitzender Horst Stech nannte die Unterstützung für Hugenschmidt einen „ungeheuerlichen Vorgang“. Nach seiner Ansicht wäre die Wahl sonst zu gewinnen gewesen. So war der Eindruck entstanden, dass die SPD ihren Kandidaten nicht geschlossen unterstütze. Nun sollten Schiedsgerichtsverfahren gegen die Hugenschmidt-Unterstützer eingeleitet werden. Einige kamen dem durch Austritte zuvor, ein tiefer Riss ging durch die Partei.

Hugenschmidt hat in seiner Amtszeit viel dazu getan, das Verhältnis zu den Ortsteilen zu verbessern. Geholfen hat ihm, dass mit Adolf Heizmann (SPD), Hermann Harrer (CDU) und Werner Lacher (Freie Wähler), alle später Fraktionsvorsitzende, das alte Lagerdenken zugunsten einer lösungsorientierten Zusammenarbeit aufgaben. Allerdings hatten Rathausneubau, Folgen der Eingemeindungsverträge und die Landesgartenschau 1983 den Haushalt erheblich belastet. Hugenschmidt kandierte 1983 nach 23 Jahren als OB nicht mehr. Der Erfolg der Landesgartenschau zum Abschluss dürfte ihn über die harten Kämpfe während der Eingemeindungszeit getröstet haben. Die Stadt dankte ihm mit der Ehrenbürgerwürde, die ihm auch die Stadt Sens verlieh. Sein eher poppiges Porträt ließ er sich von dem zeitweise in Schallstadt bei Freiburg lebenden Künstler Werner Berges anfertigen. Hugenschmidt ist 2010 gestorben. Jetzt, 2022, hat die Stadt den Platz vor dem Rathaus in „Egon-Hugenschmidt-Platz“ umbenannt.

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