Lörrach „Mögen Sie die Menschen noch?“

Bernhard Konrad
Dietmar Ernst: „Als Pressesprecher der Polizei steht man zwischen vielen Stühlen und muss mit Kritik von allen Seiten rechnen. Um damit umzugehen, braucht man Erfahrung, Gelassenheit, aber auch Durchsetzungsvermögen, Selbstdisziplin, Standhaftigkeit – und, wenn ich das bei dieser Gelegenheit so sagen darf: Integrität. Man darf sich nicht instrumentalisieren lassen.“ Foto: mek

Interview: Polizei-Pressesprecher Dietmar Ernst geht in Ruhestand. Rückblick auf 45 Jahre Polizeiarbeit.

Lörrach - Dietmar Ernst war über viele Jahre hinweg erster Ansprechpartner der hiesigen Medien für die Arbeit der Polizei. Nun geht er als stellvertretender Stabsstellenleiter der Öffentlichkeitsarbeit im Polizeipräsidium Freiburg in den Ruhestand. Ein guter Zeitpunkt für ein weiteres Gespräch – diesmal mit Bernhard Konrad.

Herr Ernst, was werden Sie im Ruhestand bei der morgendlichen Zeitungslektüre zuerst lesen: Polizeimeldungen?

Nein! (lacht) So, wie bisher: zuerst die Weltpolitik, dann Baden-Württemberg, schließlich das Lokale und Regionale samt Sportteil – aber hierfür lasse ich mir gerne mehr Zeit.

Sie scheiden nach fast 45 Jahren, hiervon 26 als Pressesprecher, aus dem Polizeidienst aus. Was hat Ihnen an dem Job gefallen? Was war belastend? Sie mussten meist schlechte Nachrichten kommunizieren.

Das muss ich ein wenig relativieren. Ich bin insofern ein bisschen aus dem Raster gefallen, indem ich auch außergewöhnliche oder amüsante Meldungen verfasst habe – nicht nur die Brände, Unfälle, Schlägereien, Drogendelikte, Gewaltverbrechen oder ähnlich Schlimmes. Die Polizei ist in viele Geschichten involviert, die das Leben schreibt – nicht nur in die negativen. Was mir bei meiner Aufgabe auch stets am Herzen lag, war die Aufklärung der Bevölkerung – Präventionsarbeit, damit Bürger sich besser vor Kriminellen schützen können, seien es Einbrüche, Trickdiebstähle oder Betrug: Vorfälle, mit denen die Menschen täglich konfrontiert werden können.

Besonders wichtig war mir jedoch, den Medien, aber auch der Bevölkerung, die Arbeit der Polizei näher zu bringen – zu zeigen, dass sie sich rund um die Uhr für deren Sicherheit einsetzt und eingreift, wenn die öffentliche Ordnung bedroht ist oder gestört wird. Auch bei der Polizei arbeiten nur Menschen, und es gibt kein Berufsfeld, in dem keine Fehler passieren. Auch die Polizei sollte bereit sein, Fehler einzugestehen. Aber ich habe mich trotzdem immer dafür eingesetzt, dass die Polizei als seriöser, verlässlicher und glaubwürdiger Partner der Bürger wahrgenommen wird. Dass sie für die Bürger da ist, wenn sie gebraucht wird, dass sie sich in der Mitte der Gesellschaft befindet und keine abstrakte Behörde ist.

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahrzehnte hinweg verändert, etwa durch das Internet und die so genannten „Sozialen Medien“ im Netz?

Es ist zu einer regelrechten Informationsflut gekommen – gleichzeitig und auf vielen Kanälen. Über Facebook, WhatsApp, Twitter, Instagram etc. verbreiten sich heutzutage Informationen rasend schnell. Das gewinnt rasch eine Eigendynamik, die nur schwer wieder einzufangen und geradezurücken ist. Oftmals sind die Informationen überzogen oder nicht selten falsch – ohne tatsächlichen Informations- oder Wahrheitsgehalt. Das sorgt verständlicher Weise für Beunruhigung in der Bevölkerung. Das bereitet sowohl uns als auch den Medien Probleme.

Haben Sie den Eindruck, dass die Polizei in der Bevölkerung Vertrauen verloren hat?

Diesen Eindruck habe ich unterm Strich nicht, das belegen übrigens auch Umfragen. Gleichwohl gibt es immer wieder Tendenzen, denen wir entgegensteuern müssen. Wie den klassischen Medien auch, wird der Polizei vor allem von Stimmen aus dem Internet vorgeworfen, sie verdrehe Tatsachen und verschweige Verbrechen: Stichwort „Fake news“. Das ist ein sehr problematisches Feld. Heutzutage wollen und können viele Akteure Einfluss auf Berichterstattungen nehmen, nicht nur die eigentlich Beteiligten und im nächsten Schritt Polizei und Medien. Das macht sowohl unsere Arbeit schwieriger, als auch die Situation von Bürgern, auf die von vielen Seiten Informationen einströmen.

Wie stellt sich Ihre Rolle als Polizeisprecher innerhalb der Polizei dar? Sitzen Sie zwischen den Stühlen?

Unser interner Stand ist tatsächlich nicht ganz einfach. Die Öffentlichkeitsbeauftragten haben mit anderen Kreisen Kontakt, als die meisten Polizisten. Sie sehen die Dinge nicht ausschließlich aus polizeilicher Sicht, sondern auch aus der Perspektive der Medien und der Bürgerinnen und Bürger. Wir platzen auch mal irgendwo rein, unterbrechen damit womöglich Abläufe und Ermittlungen, weil wir dringend Informationen benötigen.

Hinzu kommt, dass von Fall zu Fall auch die Kollegen und Kolleginnen bei der Polizei etwas unsicher sein können: Wie viel kann ich sagen? Wie werden meine Informationen an die Presse weitergegeben, Was wird weitergegeben? Was kann ich im Vertrauen kommunizieren?

Als Pressesprecher steht man zwischen vielen Stühlen und muss mit Kritik von allen Seiten rechnen. Um damit umzugehen, braucht man Erfahrung, Gelassenheit, aber auch Durchsetzungsvermögen, Selbstdisziplin, Standhaftigkeit – und, wenn ich das bei dieser Gelegenheit so sagen darf: Integrität. Man darf sich nicht instrumentalisieren lassen.

Was war in den vergangenen 25 Jahren Ihr schwerster Job?

Ich habe wohl so ziemlich alles erlebt – bis hin zum Amoklauf, mehrfachem Familienmord, Kindesmissbrauch und vielen anderen schrecklichen Ereignissen. Den einen, härtesten Fall gab es deshalb nicht. Es kommt bei der Beantwortung und Beurteilung dieser Frage grundsätzlich darauf an, welche Einstellung man zu bestimmten Dingen hat und wie man damit umgeht.

Ich würde aber gern noch etwas sagen über eines der tief greifendsten Erlebnisse in meinem Berufsleben, das mich bis heute bewegt. Es hat nicht einmal etwa mit meinem Arbeitsalltag zu tun gehabt – aber hat es etwas mit dem Leben und dem Tod zu tun. Und damit, dass wir das Leben wertschätzen sollten.

Bitte.

Die Geschichte handelt von einem damals achtjährigen Jungen aus einer Umlandgemeinde. Dessen großer Traum war es, Polizist zu werden. Sein ganzes Zimmer hat er dem Thema gewidmet, und er hat beeindruckend viel über unseren Beruf gewusst. Der Bub hatte Krebs, er war dem Tod geweiht, beide Beine waren bereits abgenommen. Nach einem Hinweis haben wir uns damals im Zusammenhang mit einer karitativen Aktion gefragt, was wir tun können. Die Polizei hatte seinerzeit die Möglichkeit, einmal im Jahr einen Presserundflug im Landkreis Lörrach anzubieten. Damit haben wir den Jungen überrascht. Mir ist es damals gelungen, dem Jungen diesen Traum zu erfüllen und ihm den Mitflug zu ermöglichen. Dass ich dabei meine Kompetenzen überschritt, nahm ich in Kauf.

Wir haben den Jungen mit dem Streifenwagen abgeholt und auf den Tüllinger gefahren. Ich trug das Kind zum Polizeihubschrauber. Dort haben ihn die Kollegen in Empfang genommen. Der Junge wusste nicht, wie ihm geschieht, er hat vor Freude geweint. Die Eltern des Jungen waren eingeweiht und mit dabei.

Einige Zeit danach teilten mir die Eltern mit, dass ihr Sohn gestorben sei. Sein letzter Satz war, dass der Rundflug mit dem Polizeihubschrauber sein schönstes Geschenk war. Ich fuhr zur Beerdigung. Das Ganze berührt mich heute noch zutiefst.

(Stille) Wie schaffen Sie es, mit solchen Erlebnissen umzugehen? Vor allem, wenn es um Verbrechen geht, selbst keinen Schaden zu nehmen an der Beschäftigung mit den grauenhaften Dingen, die Menschen tun können?

Zum einen haben wir heute intern die Möglichkeit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das gab es früher nicht. Da waren die Kollegen mit sich und ihren Erlebnissen meistens allein. Für mich war Bewegung und Sport immer sehr wichtig und ein Schlüssel zu meiner inneren und körperlichen Regeneration. Ich konnte dabei über diese Dinge nachdenken und sie letztlich auch verarbeiten.

Sie sind in Steinen Kommunalpolitiker, das heißt: Sie möchten nach wie vor die Gesellschaft mitgestalten. Mögen Sie die Menschen noch? Nach allem, was Sie wissen? Ist es Ihnen in all den Jahren schwer gefallen, eine positive Haltung zu bewahren?

(Pause) Mitunter ja. Es ist ein ständiger Prozess, sich damit auseinander zu setzen. Natürlich gibt es Momente, in denen man sich fragt, ob denn nicht alles umsonst und vergebens ist. Aber man sollte nicht aufhören, daran zu arbeiten. Man darf nicht aufgeben. Aber natürlich hat jeder Mensch seine persönlichen Grenzen.

Ein kontrovers diskutiertes Thema ist die Polizeireform. Die Politik hat sich unter anderem schlagkräftigere Strukturen und eine Bündelung der Kompetenzen erhofft. Unterdessen müssen viele Polizisten an sich halten, wenn sie sich zu dieser Strukturreform äußern sollen. Wie stehen Sie dazu?

Da geht es mir ähnlich. Der Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen. Gleichzeitig bereitet der Polizei Probleme, dass jetzt und in den kommenden Jahren viele Kollegen in den Ruhestand gehen werden. Bei der Nachwuchsgewinnung stehen wir in Konkurrenz mit vielen anderen Behörden und der freien Wirtschaft. Auch das belastet unsere Struktur.

Es gibt demnach im Prozess der Polizeireform qualitativ Luft nach oben?

Ja.

Wie sehen Sie die Polizei generell ausgestattet?

Wir müssen als attraktiver, glaubwürdiger Arbeitgeber auftreten. Bewerber müssen unter anderem wissen, dass unsere tägliche Arbeit nichts mit den Krimis im Fernsehen zu tun hat. Es wird sicher nicht einfach, die angestrebten Neueinstellungen mit geeigneten Kandidaten zu erreichen.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die Polizei in Zukunft in der Gesellschaft, insbesondere auch in unserer Raumschaft?

Die Polizei sollte möglichst breit aufgestellt und möglichst auch in der Breite präsent sein. Sie sollte sich nach meiner Überzeugung nicht aus der Fläche zurückziehen, auch wenn bestimmte Gebiete langsam bevölkerungsärmer werden. Natürlich gibt es finanzielle und personelle Argumente gegen meine Haltung.

Wenn die Polizei aber auch in Zukunft als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden soll – und das halte ich für sehr wichtig – ist die Präsenz in der Fläche unabdingbar.

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