^ Lörrach: „Niemand hat die Tür zu gemacht!“ - Lörrach - Verlagshaus Jaumann

Lörrach „Niemand hat die Tür zu gemacht!“

Bernhard Konrad

Interview: Der Lörracher Hartmut Schäfer hat die Region zu Fuß und in Gesprächen mit Menschen erkundet.

Welche Rolle spielen in unserer Raumschaft die Dörfer für die Städte – und umgekehrt? Dieser Frage spürte Hartmut Schäfer während einer zweiwöchigen Wanderung durch den Landkreis, insbesondere durch das Wiesental, nach. In vielen Gesprächen berichteten ihm Menschen, was sie mit Blick auf ihre Heimatregion bewegt, ermutigt, besorgt. Bernhard Konrad sprach mit Schäfer – von Beruf Ingenieur und unter anderem bei „Fairnetzt“ sowie im „Zukunftsforum“ aktiv – über sein Projekt.

Herr Schäfer, Sie sind bereits in lokalen Initiativen engagiert. Was war der Impuls für diese ungewöhnliche Aktion?

Zwei Workshops zum Thema „Regionalwährung“ Anfang des Jahres. Einige Bürger hatten die Idee, im Wiesental eine Regionalwährung einzuführen – die es übrigens schon mal gab. In diesem Zusammenhang wurde die Frage erörtert: Was braucht eigentlich die Region? Und dabei ist mir klar geworden: Ich weiß es selbst nicht. Ich wohne seit 20 Jahren in Lörrach, bin gern in meiner Freizeit in der Region unterwegs, spreche dort aber eher selten mit Einheimischen. Deshalb habe ich zwei Wochen Ferien genutzt, um nicht einfach irgendwo hin zu fahren, sondern auf Wanderung in unser schönes Lörracher Hinterland zu gehen, um mit Menschen aus der Region über das Verhältnis von Stadt und Land zu sprechen.

 

Waren ausschließlich spontane Begegnungen vorgesehen, oder hatten Sie im Vorfeld einige Gespräche organisiert?

Ich hatte vorab ein kleines Exposé geschrieben, im Kreise regionaler Initiativen verteilt und etliche Rückmeldungen bekommen, die letztlich Einfluss auf die Erarbeitung der Route hatten. Das heißt: Ein bis zwei Gespräche waren jeweils im Voraus geplant und mit diesen in etwa auch die Etappen und Unterkünfte. Darüber hinaus haben sich viele weitere Begegnungen ergeben: Ich habe bei Unternehmen angeklopft, mich mit Friseuren ausgetauscht – Friseure wissen fast alles! – und einfach Menschen auf der Straße angesprochen. Am Ende habe ich 72 Gespräche mit einer Dauer zwischen 20 Minuten und eineinhalb Stunden dokumentiert. Immer vor dem Hintergrund von Fragestellungen wie: Was passiert in unserer Gegend regionalwirtschaftlich, nachhaltig, ökologisch und sozial? Wo befinden sich ’Schätze’ der Region? Wo gibt es spannende Initiativen und Unternehmen? Und immer wieder die Leitfrage: Wie gestaltet sich in unserer Region das Miteinander von Stadt und Land?

 

Gab es denn ein Bewusstsein für die Relevanz dieses Verhältnisses, für das Miteinanders von Stadt und Land? Und für die Notwendigkeit, diese Beziehung womöglich zu überdenken und zu verändern?

Diese Frage blieb offen gestanden meist unbeantwortet, oder sie hat sich erst im Verlauf des Gesprächs entwickelt. Am ehesten gab es dieses Bewusstsein noch bei produzierenden Unternehmen, deren Produkte auch in der Region verkauft werden. Aber tatsächlich spielte meine Leitfrage bei vielen Menschen eine untergeordnete Rolle. In vielen Gesprächen haben mir Bürger gesagt: „Was soll 2050 anders sein als heute? Es wird mehr oder weniger so bleiben.“

 

Sofern Sie die Frage im Dialog entwickeln konnten: Inwieweit haben sich die Antworten von Bürgern in Stadt und Land unterschieden?

Neben dem Tour-Auftakt in Rheinfelden waren Zell und Schönau die beiden vergleichsweise größeren Orte auf meiner Route. Das Hauptthema in Schönau war die Aufrechterhaltung der Industrie. In kleineren Ortschaften dominierten die Themen Landwirtschaft, Wirtschaft allgemein, Tourismus und Kultur. Interessant war, wie facettenreich in der Summe das kulturelle Angebot und die Bevölkerung auf den Dörfern ist. Ich habe dort etliche junge Leute gesprochen, die zum Beispiel aus Südamerika, aus Holland oder aus England zugezogen sind.

 

Gab es Unterschiede in der Gesprächsbereitschaft zwischen Männern und Frauen, Jungen und Alten, Städtern und Leuten vom Dorf?

Tatsächlich hat keiner die Tür zugemacht. Niemand hat mein Gesprächsangebot abgelehnt. Tendenziell habe ich mehr Frauen als Männer gesprochen. Beim Alter waren keine Unterschiede in der Gesprächsbereitschaft auszumachen. Eine ältere Dame fragte mich, ob ich Hartz IV bekomme: Sie konnte nicht glauben, dass ich aus eigenem Antrieb von Lörrach nach Rheinfelden gewandert bin.

 

Kamen auf Ihrer Tour bestimmte Themen mehrfach zur Sprache, mit denen Sie ursprünglich nicht gerechnet hatten?

Auffällig war, wie oft die Themen „Schule“ und ärztliche Versorgung genannt wurden – beides gibt es in vielen Dörfern nicht mehr. Viele Schüler gehen bereits in der Grundschule in andere Orte. Als weitere große Sorge habe ich die Abwanderungstendenzen wahrgenommen. Die Bevölkerung hat offenbar die Befürchtung, dass die Jugend nicht mehr in die Dörfer zurück kommt.

 

Haben Sie selbst solche Tendenzen in den Dörfern wahrgenommen?

Einerseits ja, andererseits scheint es immerhin auch eine gegenläufige Bewegung zu geben. Ich habe einige junge Leute getroffen, die gerne auf dem Land leben, oder später bewusst zurückkommen möchten. In Kürnberg gibt es beispielsweise das Start up-Unternehmen Sotop, das aus gebrauchtem, geschreddertem Plastik Handy-Hüllen herstellt. Die Leute sagen mir: Wir wollen bleiben.

Andere wiederum möchten auf dem Land leben, müssen aber im Tal oder in der Schweiz arbeiten. Manche arbeiten unter der Woche in der Schweiz und kommen am Wochenende zurück – es gibt etliche Varianten.

 

Wurde der Klimawandel thematisiert?

Absolut, vor allem von Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten. Ich habe mit Landwirten gesprochen, denen die Trockenheit sehr große Sorgen bereitet. Sie haben mir versichert: drei solche Sommer wie im Jahr 2018 hintereinander – und die Landwirtschaft ist weg. Dieses Jahr sei zwar besser als das vergangene, aber die Wasserspeicher seien nach dem Jahr 2018 noch immer nicht richtig gefüllt.

 

Welches Fazit würden Sie nach Ihrer Tour ziehen? Wie blicken Sie auf die Begegnungen zurück?

Ich kann sagen: Das macht Lust auf mehr. Diese Reise hat sich auch zur Vernetzungs-Tour entwickelt. Mir wurde in etlichen Orten Flyer und Info-Material in die Hand gedrückt mit der Bitte: „Gib das doch einfach mal in anderen Ortschaften weiter.“ Ich bin allein auf drei Mobilitätsprojekte gestoßen, die bislang nichts voneinander wussten: Die konnte ich zusammenbringen. Mit diesem Vernetzungsimpuls hatte ich zu Beginn meiner Reise nicht gerechnet. In Fragen der Mobilität, aber auch der wirtschaftlichen und kulturellen Vernetzung sehe ich Potenzial.

Das wäre sicher auch ein Thema, bei dem das Landratsamt unterstützend tätig werden könnte.

 

https://loe-quadrat.jimdofree.com/blog/

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