Lörrach „Ohne Einzelhandel keine Innenstadt“

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Interview: Donato Acocella über die Perspektiven von Innenstädten und Einzelhandel sowie die Konkurrenz des Online-Handels

Donato Acocella erläutert zum 25-jährigen Jubiläum seines Büros für Stadt- und Regionalentwicklung Situation und Perspektiven des Lörracher Einzelhandels und der Stadtentwicklung. Im Interview mit unserer Zeitung äußert er sich über Stärken und Verbesserungspotenziale des hiesigen Handels, die aus dem Online-Handel resultierenden Risiken und Chancen, Endlosschleifen in der Verkehrsdebatte, die Innenstadt der Zukunft und warum die Kommune das KBC-Gelände womöglich doch hätte kaufen sollen.
 

Herr Acocella, weshalb haben Sie vor 25 Jahren Ihr eigenes Unternehmen für Stadt- und Regionalentwicklung gegründet?
Seinerzeit war ich Mitarbeiter des Büros „Auctor“ und wollte mich ohnehin selbstständig machen. Als Raumplaner habe ich mich damals in Zusammenhang mit dem „Rheincenter“ mit Einzelhandelsthemen beschäftigt. Nachdem „Auctor“ in Konkurs ging, kam zur inneren Bereitschaft die Notwendigkeit hinzu.

Welche Leistungen bietet Ihr Büro an?
Die Anfänge sind mit einem Forschungsprojekt des Bundes verbunden: der Entwicklung des Freiburger Märkte- und Zentrenkonzepts. Das war unser Gründungsthema. Dieses Konzept galt lange als die „Ur-Form“ der Märkte- und Zentrenkonzepte, auf dieser Basis haben sich die Themen des Büros entwickelt. Es kamen Forschungsprojekte zum Thema Stadtmarketing und der wirtschaftlichen Entwicklung von Innenstädten hinzu. Mit unserer Orientierung auf öffentliche Auftraggeber haben wir von Beginn an eine Nische besetzt.

Auch Passanten-Befragungen, Image- und Gewerbeflächenuntersuchungen sowie die Betreuung bei der Investorenauswahl gehören zu unseren Offerten. Über die Forschungstätigkeit waren wir nach kurzer Zeit bundesweit aktiv. Aber wir behandeln noch heute jeden Auftraggeber gleich. Ob es das Dorf im Kleinen Wiesental ist, oder die Senatsverwaltung von Berlin – das ist mir wichtig. Dass wir in der „Gutachter-Bundesliga“ oben mitspielen, ist auch ein Verdienst meiner Mitarbeiter, das Büro ist geprägt durch langjährige personelle Kontinuität. An den Standorten Lörrach, Dortmund und Nürnberg sind insgesamt zwölf Mitarbeiter tätig.

Was besagt das Märkte- und Zentrenkonzept eigentlich?
Es besagt im Grunde, dass wir uns in der Stadt- und Regionalentwicklung zunächst für ein bestimmtes Stadtbild entscheiden müssen. Wir sind der klassischen europäischen Stadt verpflichtet, das heißt: in der Mitte der Markt, außen das Arbeiten und das Wohnen dazwischen; mittlerweile bemühen wir uns in der Stadtplanung um eine stärkere Mischung, aber das Zentrum bleibt der Marktplatz. Damit dieses Stadtbild gelingen kann, sind rechtliche Rahmenbedingungen notwendig, die eine Aussage darüber treffen, welcher Einzelhandel mit welchen Sortimenten wohin darf – und wohin nicht. Zunächst zieht es den Einzelhandel dorthin, wo die Kosten am niedrigsten sind – und das ist oft nicht in der Innenstadt. Einzelhandel war, ist und bleibt aber die Leitfunktion der Innenstädte. Ohne Einzelhandel keine Innenstadt. Diesen Rahmen setzt das Märkte- und Zentrenkonzept.

Das Einzelhandelskonzept ist in den Anfängen Ihres Büros noch ein Nischenthema gewesen. Wie hat sich die Sichtweise von Städten und Gemeinden in den vergangenen 25 Jahren auf dieses Thema gewandelt?
Das Bewusstsein für die ökonomische, soziale und kulturelle Bedeutung der Innenstädte ist in den vergangenen 30 Jahren extrem gewachsen. Spätestens seit Mitte der 90er Jahre, als zunehmend Leerstände auftraten. Heute ist es nahezu selbstverständlich, dass Städte ein solches Konzept haben.

Warum braucht die Innenstadt überhaupt Einzelhandel, weshalb muss er noch heute diese Leitfunktion einnehmen? Könnten dies nicht andere Facetten des urbanen Lebens übernehmen?
Es ist der Handel, der mit Abstand die meisten Menschen zusammenbringt. Das ist in der europäischen Kultur schon in der griechischen Antike so gewesen. Die Agora, der Marktplatz, war der Mittelpunkt. Dort haben sich die Menschen getroffen, dort fanden Handel statt, Kultur und Politik. Das gehört zur europäischen DNA. Kulturelle Einrichtungen könnten die Funktion des Handels nicht übernehmen. Sie ziehen fast immer nur einen kleinen Ausschnitt des Bürgertums an, und dies nur für eine sehr begrenzte Zeit. Unabhängig von Herkunft und Bildung: Versorgen müssen wir uns alle. Wir sehen das übrigens auch im dörflichen Maßstab: Wenn ein Dorf keinen Laden mehr hat, wirkt sich dies negativ auf das dörfliche Leben aus. Deshalb versuchen kleine Gemeinden in der Regel, ihre Dorfläden zu erhalten.

Wie ist der Einzelhandel in Lörrach aufgestellt – auch im Landesvergleich?
Wir können direkt in den Bundesvergleich gehen. Für eine Stadt dieser Größenordnung, mit dieser quantitativen und qualitativen Ausstattung, sucht Lörrach seinesgleichen. In Baden-Württemberg ist Lörrach zwar nicht ganz so herausgehoben, aber doch vergleichbar mit sehr starken Handelsstädten wie Ravensburg oder Offenburg. Die Lörracher Innenstadt profitiert natürlich von ihrer Lage, aber auch von ihrer städtebaulichen Kompaktheit.

Gelegentlich wird mit Blick auf den Branchenmix ein Überangebot an Bekleidung moniert.
Diese „Textilisierung“ der Handelslandschaft ist überall festzustellen. Das hat etwas damit zu tun, dass der Bekleidungseinzelhandel kein reiner Versorgungshandel mehr ist, sondern eher eine Variante der Freizeitgestaltung. Hinzu kommt, dass der Bekleidungseinzelhandel offenbar nach wie vor mehr Miete zahlen kann als andere. Und er ist extrem differenziert in seinen Flächenansprüchen: von der kleinsten Boutique bis zum großflächigen Kaufhaus kann er jede Nische besetzen. Das gibt es so in keiner anderen Branche – außer vielleicht im Lebensmitteleinzelhandel.

Neuerdings scheint sich die Stimmung im Lörracher Handel hier und da ein wenig einzutrüben.
Man hört immer wieder, die Umsätze durch Schweizer Kunden gingen zurück. Das war aber zu erwarten. Was ist passiert? Der Frankenkurs hat sich auf einem Niveau vom knapp 1,20 Euro normalisiert. Natürlich misst der Handel die wirtschaftliche Situation am Vergangenen. Der Lörracher Einzelhandel muss sich aber – wie übrigens auch die Gastronomie – darauf besinnen, was eigentlich der Normalzustand ist. Wenn die Umsätze im Vergleich zu den beiden Vorjahren zurückgehen, dürften sich diese in vielen Fällen nun auf einem Niveau bewegen, das als Normalzustand bezeichnet werden kann. Die Geschäftsstrategie sollte am „Normalen“, nicht an der „Ausnahme“ orientiert werden. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass Lörrach ohne den Zufluss aus der Schweiz viele Angebotsqualitäten nicht hätte. Ich möchte die Kundschaft aus der Schweiz keineswegs negativ belegen.

Was muss sich beim Lörracher Einzelhandel verbessern?
Die Leitfrage sollte nicht sein, wie man sein Geschäftsmodell möglichst attraktiv für Schweizer Kunden gestalten kann, sondern: Wie kann der Alltagsprozess im Laden für alle Kunden, woher auch immer, optimiert werden? Daran muss sich die Servicequalität orientieren. Zweitens: Es wird allenthalben über das Internet geschimpft. Dabei bietet es eigentlich auch eine Chance. Händler können sich mit ihrer Beratungsqualität ganz gezielt vom Internet abheben. Dies erfordert aber ein hohes Maß an Beratungs- und Kommunikationskompetenz, Flexibilität im Umgang mit Kundenwünschen und zum Beispiel  ein Rückgaberecht, das den Möglichkeiten des Internets entspricht. Den reinen Preiskampf gegen das Internet kann der Einzelhandel nicht gewinnen. Es gibt aber nach wie vor sehr viele Konsumenten, bei denen der Preis eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle spielt. Der stationäre Einzelhandel kann mit Blick auf die Kunden noch mehr leisten, das Entwicklungspotenzial von Service-Themen ist nach oben offen. Hier sind alle aufgefordert, sich immer wieder zu hinterfragen.

Wie gestaltet sich die Kaufkraftentwicklung aus dem Landkreis?
Die Gemeinde Steinen versucht, ihre eigene Nahversorgung zu entwickeln, und das ist auch richtig so. Die Stadt Schopfheim hat städtebaulich ein hohes Potenzial und kann von daher in einem gewissen Maß in den Wettbewerb mit Lörrach treten. Wenn sich Schopfheim attraktiv weiterentwickelt, wird die Stadt Kaufkraft vom Hochschwarzwald abfangen können. Hinzu kommt, dass wir in Lörrach zum Teil schon „Überlaufprobleme“ feststellen. Manch einer sagt: Mir ist das zu voll, ich gehe lieber nach Schopfheim. Darauf muss Lörrach achten.

In Lörrach wird das Wohn- und Geschäftsgebäude „Lö.“ errichtet. Manche Händler sehen die zusätzliche Konkurrenz mit Sorge. Wie bewerten Sie das Wachstum der Einzelhandelsfläche um weitere gut 8000 Quadratmeter?
Bei dieser Debatte muss ich immer an Werner Lacher denken. Bei der Diskussion um die Ansiedelung von C&A war er als damaliger Geschäftsführer des Modehauses Kilian derjenige, der gesagt hat: Lasst sie doch kommen! Das ist die richtige Einstellung. Das Lö. ist der sinnvolle Abschluss einer städtebaulichen Entwicklung nach Norden. Die Post-Immobilie war dem öffentlichen Raum städtebaulich nicht angemessen. Die großen Flächen im Lö. bieten die Chance, bestimmte Formate nach Lörrach zu holen und insbesondere die Jüngeren, die eher ins Internet abwandern, an einen Ort in der Stadt zu binden.

Falls der Meeraner Markt an die Fußgängerzone angebunden wird: Wäre die Lörracher Innenstadt von dort bis zum Lö. oder zum Senigalliaplatz zu groß?
Nein, wenn die Strecke durchgängig innenstadtangemessen bespielt wird: Das sind 500 Meter. Dies entspricht knapp der theoretischen optimalen Kernstadtgröße von 600 auf 600 Metern.

Im Zusammenhang mit der Entwicklung des südlichen Stadteingangs wurde auch über die Sinnhaftigkeit einer Umgestaltung des öffentlichen Raums beim Aicheleknoten diskutiert. Wie sehen Sie die Maßnahme?
Ich war im Grunde ein Kritiker des Meeraner Marktes, weil die gefühlte Entfernung zur Innenstadt zu groß war. Die Anbindung ist bis heute nicht wirklich gelungen. Durch die Platzgestaltung wurde der Raum zwar städtebaulich aufgewertet, der Qualitätsunterschied zur benachbarten Kreuzung ist aber schlicht zu groß. Eine Angleichung der städtebaulichen Qualität ist dort notwendig. Deshalb ist die Umgestaltung des Knotens aus diesen Überlegungen heraus zwingend geboten. Und wenn man für Kanalarbeiten schon mal Löcher buddelt, wäre es doch fahrlässig, diese wieder zuzuschütten, um sie später für die Umgestaltung wieder aufzubuddeln.   

Manche sehen die Umgestaltung des Aicheleknotens in erster Linie im Zusammenhang mit Verkehrsfragen.
Was ich sehr unglücklich finde, ist die nicht enden wollende Verkehrsdiskussion in Lörrach. Aus meiner Sicht wird unendlich viel Energie in dieses Thema gesteckt. Wer in die Stadt möchte, kann nach wie vor auf der Achse Basler Straße fahren. Wer Lörrach umfahren möchte, kann die Wiesentalstraße nutzen.
Wir können den ÖPNV ausbauen  wie wir wollen, aber wir haben nun mal ein sehr ländlich geprägtes Hinterland, das nur bedingt ÖPNV-affin ist. Wenn ich von Tegernau bis Lörrach über eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, dann werde ich mich sehr wahrscheinlich eher ins Auto setzen, um in 20 Minuten nach Lörrach zu fahren. Für mich stellt sich eher die Frage, was wir rund um die Innenstadt weiterentwickeln müssen, damit das alles endlich kein Thema mehr ist. Denn Verkehr hat nur eine dienende Funktion, er ist eher eine Folge, aber nicht die alleinige Voraussetzung für Stadtentwicklung.

Was bedeutet das konkret für die Verkehrslenkung?
Wenn beispielsweise die Überbauung des bisherigen Klinikstandortes ansteht, stellt sich für mich die Frage, ob Lörrach das Hochgestade dazu nutzen kann, um  von der Wiesentalstraße her  eine Tiefgarage zu bauen, die einen mehr oder weniger direkten Zugang zur Fußgängerzone bietet. In Böblingen oder Winnenden und anderen vergleichbaren Städten wird die Topografie so genutzt.

Ein weiteres, kontrovers diskutiertes Thema ist die Umgestaltung der Grabenstraße zur Fußgängerzone. Sowohl die Umsetzung als auch das Verfahren wurden gelegentlich  kritisiert. Wäre es sinnvoll gewesen, erst die Ergebnisse eines Verkehrsmasterplans abzuwarten?
Ich habe schon immer zu den Kritikern der „Shared Space“-Entscheidung gehört, weil die Grabenstraße in ihrer Lage ein natürlicher Teil der Innenstadt und damit potenziell Fußgängerzone ist. Die einzige verkehrliche Funktion der Straße ist die einer Abkürzung für diejenigen, die mit dem Auto noch schneller durch die Innenstadt fahren möchten. Sie ist für den Pkw-Verkehr überflüssig, außer für den Anliegerverkehr. Hätte man die Straße von Beginn an als Teil der Fußgängerzone verstanden, wären sicher etliche Fragen, von den Tiefgaragen bis zum Busverkehr, anders beantwortet und geplant worden. Nun haben wir die Folgeprobleme, die uns bei der Lösung des städtebaulich Sinnvollen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Ich verstehe die Anlieger: Aber diese Debatte haben wir in ähnlicher Form bei der Einrichtung der Fußgängerzone gehabt. Wenn ich die Entwicklung, übrigens auch die der Gebäudewerte, sehe, muss ich sagen: Der wirtschaftliche Erfolg ist gewaltig. Wobei die Grabenstraße – zugegeben – eine Nebenlage in der Fußgängerzone bleiben wird.

Welche Haltung haben Sie zur Gestaltung der Straße?
Ich halte es für absurd, jetzt eine Gestaltung umzusetzen  und wenn das Lö. fertig ist, nochmal von vorn zu beginnen. Die Stadt hat die Chance, Graben- und Palmstraße in einem Guss zu behandeln. Alle müssen nun die Geduld haben, bis nach Fertigstellung des Lö. beides angegangen werden kann. Nichtsdestotrotz halte ich die Ausweisung als Fußgängerzone für richtig.

Von der Lörracher Innenstadt in den virtuellen Raum. Stichwort „Online-Handel“: Stirbt der klassische Einzelhandel aus? Was sagen die Zahlen?
Die Umsatzentwicklung ist das Eine. Der Umsatzanteil ist das Andere. Die Umsatzentwicklung ist rasant – aber: Der Zuwachs der Umsatzentwicklung nimmt  rasant ab.
 Es gibt Prognosen, die behaupten, dass nicht nur dieser Zuwachs weiter abnehmen wird, sondern ab Mitte des nächsten Jahrzehnts auch der Umsatzanteil.
 Den Lebensmittelhandel ausgeklammert, beträgt der Anteil des Online-Handels am gesamten Einzelhandel rund 15 Prozent. Hiervon sind fünf, sechs Prozent schon immer Versandhandel gewesen. Es bleiben also neun, oder zehn Prozent, die hinzugekommen sind.
Von diesen neun oder zehn Prozent sind etwa ein Drittel Online-Umsätze, die durch den stationären Einzelhandel generiert werden. Der reine Internet-Umsatz beträgt nicht mehr als rund sechs Prozent. Wenn wir dem entgegenhalten, dass bei Raumordnungsverfahren Umsatzumverteilungen in Höhe von zehn Prozent häufig noch als verträglich bewertet werden, dann ist der Hype um, oder die Angst vor dem Online-Handel unverständlich.

Unterdessen ist er aber in aller Munde.
Der Internet-Handel macht scheinbar unendlich viel Werbung. Wenn man aber genau hinschaut, sind es letztlich viele Dienstleistungen, die beworben werden. Mittlerweile machen zudem Zalando und E-Bay stationäre Shops auf. Jako-o ist längst auch stationär vertreten. Die Hauptumsatzträger im Online-Handel sind wie zu den großen Zeiten des Versandhandels Bekleidung, Unterhaltungselektronik, Großgeräte wie Waschmaschinen, Bücher und Tonträger. Gleichwohl wird es zu Geschäftsbereinigungen und –aufgaben kommen. Aber die gab es schon immer, auch vor dem Internet-Handel. Denn richtig ist auch, dass die Investitionserfordernisse im Einzelhandel immer höher werden: Ladeneinrichtung, Technik, Kundenbindungsmaßnahmen, Kassen- und Warenwirtschaftungssysteme – das überfordert manche „Grenzbetriebe“. Für manch einen Betrieb, der vielleicht gerade so eben wirtschaftlich wäre, kann die Konkurrenz des Online-Handels das Aus bedeuten.

Wie ist der Lörracher Einzelhandel online aufgestellt?
Online-Präsenz ist elementar. Wer online nicht präsent ist, existiert für viele Kunden nicht. Online-Handel dagegen kann nicht jeder bieten, viele kleinere Betriebe überfordert das.

Wie sehen Sie die Pläne von Pro Lörrach, einen lokalen E-Commerce-Marktplatz zu schaffen?
Für solche Marktplätze gibt es bundesweit verschiedene Versuche. Aber selbst bei einer groß angelegten Struktur wie etwa in Mönchengladbach, haben nur 70 von weit über 1000 Läden teilgenommen. Ich denke, man kann das versuchen, weil es ein Weg ist, mit Kunden zu kommunizieren und sich weiterzuentwickeln. Die Erarbeitung solch einer Plattform kann auch den Zusammenhalt der Händler fördern.

Wir sprechen über erfolgreiche Innenstädte. Unterdessen bereiten die so genannten „sterbenden Innenstädte“ vielerorts Sorgen. Manche Städte kommen nicht mehr auf die Beine, sie sind schlicht nicht mehr zu revitalisieren.
Wenn man sich genau anschaut, welche Städte welche Probleme haben, kommt man meist schnell auf die Idee, dass sie ihre jetzigen Probleme vor 25, 30 Jahren selbst geschaffen haben, indem sie einem Lockruf gefolgt sind, der nur vordergründig erfolgreich war. Städte sollten sich auf ihre Größe, ihren Maßstab, ihre eigenen Rahmenbedingungen und Qualitäten besinnen. Manche haben über ihren Maßstab hinaus gelebt und sind dabei gescheitert. Gelegentlich muss man auch fragen: Ist das schon eine Innenstadt, oder eher ein Dorfkern? Etliche Städte können oder müssen tatsächlich Versorgungsleistungen über das Internet kompensieren.

Wie könnte eine funktionierende Innenstadt der Zukunft aussehen?
Die Innenstadt der Zukunft wird weiterhin durch Handel geprägt sein. 85 Prozent des Einzelhandels wird nach wie vor stationär gemacht. Selbst wenn der Einzelhandel weitere Prozentpunkte verliert, wird er auch künftig dominieren und der Online-Handel an Grenzen stoßen, auch an logistische. Die erfolgreiche Innenstadt der Zukunft muss hohe Qualitäten haben: städtebaulich, kulturell, gastronomisch und mit Blick auf die Themen Arbeiten und Wohnen. Die Entwicklung der Innenstadt der Zukunft wird  auch davon abhängen, wie die Städte das Thema Wohnen bewältigen werden.

Wer bitte kann sich denn künftig noch das Wohnen in der Innenstadt leisten?
Das hängt auch mit der Frage zusammen, welchen Wert die Städte auf die Steuerung der Bodenpreise legen. Die Stadt Ulm beispielsweise ist für ihre stadtentwicklungsplanerisch orientierte Bodenvorratspolitik bekannt. Immer mehr Städte haben erkannt, dass dieses ein zentrales Instrument der Stadtentwicklung ist. Damit können letztlich auch Wohnbaupreise spürbar beeinflusst werden. Wenn eine Stadt Boden- und Immobilienwirtschaft als Gut erkennt, das einen stadtentwicklungsplanerischen, einen volkswirtschaftlichen Wert hat, aus dem wiederum betriebswirtschaftliche Werte generiert werden können, dann werden Bodenpreise völlig anders bewertet.

Dann stellt sich die Frage, ob ein Bodenpreis zu hoch ist, so erst mal nicht. Weil bestimmte Lagen per se wertvoll sind: Und die sollte eine Stadt kaufen. Alles, was zur Innenstadt oder deren Umfeld gehört, sollte eine Stadt erwerben, wenn sie die Gelegenheit dazu hat. Nicht, um die Immobilien zu behalten, sondern, um damit Stadtentwicklung zu gestalten, ansonsten ist die Stadt immer auch auf das Wohlwollen der Privaten angewiesen. Wir beraten mehr als eine   Stadt, in der Privateigentümer dringende Stadtentwicklungsmaßnahmen blockieren –warum auch immer,  es ist auch ihr gutes Recht, aber für die Stadtentwicklung fatal, weil im besten Fall auf zweitbeste Standorte ausgewichen werden kann oder muss.

Hätte die Stadt Lörrach das teure KBC-Gelände kaufen sollen?
Das KBC-Gelände ist stadtentwicklungsplanerisch so wertvoll, dass meiner Ansicht nach der absolut zu entrichtende Preis nicht allein maßgebend für die Entscheidung sein kann, ob die Fläche gekauft wird, oder nicht. Das Areal hat eine so hohe Bedeutung, dass die Frage des absoluten Preises stadtentwicklungsplanerisch sekundär ist. Wobei ich zugegebenermaßen nicht bewerten kann, wie die Kommune das haushaltsrechtlich bewältigen kann, aber genau dafür gilt es, Wege zu finden. Entscheidend sollten aber die entwicklungsperspektivischen Chancen sein, die mit der Fläche verbunden sind. Diese sind nach meiner persönlichen Auffassung enorm – im gewerblichen Bereich, für Dienstleistungen und vielleicht auch für das Thema Wohnen. Ein vielleicht extrem unkonventioneller Gedanke in dem Kontext zum Schluss: Ist der Standort der DHBW im Wohnumfeld eigentlich dauerhaft richtig?

Zur Person: Donato Acocella

Studium der Raumplanung und Promotion an der TU Dortmund

Mitgliedschaften (Auswahl):
- Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg der Deutschen Akademie für Städtebau und Landeskunde
- Präsidiumsmitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landeskunde   
- Außerordentliches Mitglied im Bund deutscher Architekten (BDA)
- Mitglied im Werkbund Baden-Württemberg

Lehre/Fortbildung (Auswahl):
- Seit Mitte der 1990er Jahre Dozent beim Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU)
- 2009 bis 2016: Lehrbeauftrager an der Hochschule für Technik Stuttgart

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