Lörrach Schubladen in den Köpfen öffnen

Jürgen Scharf
„Daumen hoch“ hieß es für den Gewinner Kai Bosch (links, mit dem Zweitplatzierten Benjamin Poliak) beim Poetry Slam im vollbesetzten Lörracher Burghof. Foto: Jürgen Scharf

Poesie: „Frohe Reimnachten“ im vollbesetzten Burghof / Kai Bosch aus Fürth gewinnt Dichterwettstreit

Sechs Minuten Redezeit, nur eigene Texte, keine Requisiten: „Ganz so viele Regeln wie im Schach haben wir nicht“, schickte Moderator Nik Salsflausen beim Poetry Slam „Frohe Reimnachten“ im Burghof Lörrach voraus. Fünf Autoren aus Deutschland und der Schweiz traten bei diesem modernen Dichterwettstreit am Tag vor Heiligabend an. Den Sieg holte sich Kai Bosch aus Fürth, der mit seinem Sprachwitz voll überzeugte.

Von Jürgen Scharf

Lörrach. Gereimt, gerappt, witzig, nachdenklich, politisch – alles ist möglich bei diesem Format, bei dem das Publikum als Jury per Applausstärke sein Votum abgibt. „Wir freuen uns, dass es wieder mal ratzevoll ist“, meinte Co-Moderator Johannes Elster mit Blick auf die 800 Leute im Saal. Elster und Salsflausen warfen sich geschickt die rhetorischen Bälle zu, kommunizierten ironisch und spontan-schlagfertig mit den Zuschauern und punkteten zudem mit ihrem „Moderatoren-Bingo“. Sie hatten sich in den sozialen Medien Stichworte gewünscht, die sie am Abend locker immer wieder einstreuten.

Vom Vegetarier-Dasein bis zum Flötenkonzert

Als Erster ans Mikrofon trat Benjamin Poliak aus Düsseldorf mit seinem Text „Leben und Leben lassen“. Voller Selbstironie und lakonischem Humor schildert er seine erste Zeit als Veganer zwischen Haferbrei, Nudeln mit Tomatensoße, Chiasamen und veganem Hühnchen. Seine erste Party zwischen Fleischessern, sein erster Geburtstag mit Outdoor-Catering „frisches Gras“, Karneval als Rosenkohl verkleidet: „Sein eigenes Konsumverhalten zu hinterfragen, kann nicht schaden“, lautet Poliaks Botschaft.

Aus dem Emmental kommt Pesche Heiniger, der in dem Weihnachtsgedicht „Flötentortur“ wort- und klangspielerisch ein kakofonisches Flötenkonzert imitierte. Sein eigentlicher Wettbewerbstext auf Berndeutsch handelte davon, wieder mal raus zu gehen in einen „Schuppen“, wo eine Jazzcombo auftritt. Der Schweizer Slam Poet performte dabei sämtliche Musiker und Instrumente wie den Bass witzig und klangvoll.

Vom Thema Reisen erzählte Marina Sigl aus Tübingen in ihrem Text „Signorina“. Darin erinnert sie sich, dass sie als Kind mit ihren Eltern auf dem Campingplatz am Mittelmeer war, aber ansonsten „noch nicht viel herumgekommen ist“. Die Sehnsucht nach anderen Kulturen treibt sie um, aber wenn schon Reisen, dann mit Toleranz und Respekt vor Mensch und Natur.

Lois Stettler aus Basel beschäftigte sich in ihrer Text-Performance mit dem Thema Tanz auf verschiedenen Bedeutungsebenen: als Coming Out als Transgender, als Befreiung von mentalen und physischen Fesseln und dem Körper im Beat-Rhythmus.

Poetry-Slammer brillieren als Sprachakrobaten

Als Letzter der ersten Runde trat Kai Bosch aus Fürth mit einem Text auf, der als Vokal nur das „e“ beinhaltet, was sich als sprachspielerisches Kabinettstück entpuppte. Das Drei-Personen-Liebesdrama um Herbert, Esther und Helene gerät zum blutigen Psychothriller mit der Moral von der Geschichte: „Fremdgehen endet schlecht“.

Das Publikum klatschte Kai Bosch, Benjamin Poliak und Marina Sigl in die Finalrunde. Bevor die Finalisten dann schlussendlich um die Gunst der Zuhörer wetteiferten, trat außer Konkurrenz Daniel Wagner, bestens bekannt bei den Lörracher Burghof-Slams, mit einem vehementen und bissigen politisch-kritischen Beitrag über „Kleine Schurkenstaaten am Rande der Welt“ auf und erhielt regen Beifall.

Kai Bosch begeistert mit seinem Erfahrungsbericht

Die Finalrunde eröffnete Benjamin Poliak mit dem Text „Lebkuchen“ über sonderbares Essverhalten, den Kindheits-(Alp)traum „Nachts im Supermarkt“, Übergewicht und Fremdwahrnehmung. Marina Sigl verknüpfte historische Ereignisse über den Kampf für Frauenrechte und die flammende Rede von Martin Luther King in ihrem Text über Gleichberechtigung: „Feminismus ist nicht Männerhass“. Sigl drehte in Sachen Rollenmuster und Mann-Frau-Klischees den Spieß um mit der Männerzeitschrift „Friedhelm“.

Kai Bosch ging in seinem Text offen mit seiner Situation als Mensch mit Behinderung um und schilderte mit erfrischendem Humor eine Begegnung auf einer Party. „So viele Schubladen in den Köpfen müssen noch geöffnet werden“, gab der junge Slam Poet als Devise aus, wie Inklusion funktionieren kann.

Die Entscheidung zum Schluss fiel denkbar knapp aus, das Publikum votierte zuerst per Beifallsorkan, schlussendlich mit Daumen hoch für Kai Bosch als Gewinner. Die maximale Applausstärke wurde auf der Siegerkarte gespeichert, die zwei Zuschauer während der Show im Burghof gestalteten.

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