Lörrach Spürsinn für skurrile Situationen

Dorothee Philipp
Paul Bokowski bei seiner Lesung im Lörracher Burghof Foto: Dorothee Philipp

Ein Tisch, ein kleiner Stapel Bücher, Wasserglas, Flasche – das reicht den Schriftsteller und Satiriker Paul Bokowski, um einen vergnüglichen Abend abzuhalten, bei dem das Publikum quasi in ein Dauerstrahlen verfällt.

Aus Berlin sei er gekommen, eine harte Anreise mit der Bahn, das sei schon ein Liebesbeweis für Lörrach. Er freue sich auch, dass sage und schreibe 140 Personen für ihn den Weg ins Burghof-Foyer gefunden haben. Das klingt ehrlich und auch ein bisschen nach Nachwirkung des Corona-Schocks, der Künstlern wie ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hat.

Im digitalen Dschungel

Und dann darf man ihm amüsiert folgen durch die Abenteuer im digitalen Dschungel, die sich entwickeln, wenn man ganz normal den Impfstatus der Eltern abfragen und dokumentieren will – herzerfrischend!

Auch die Liebe, mit der sich der Ich-Erzähler um die digitalen Probleme seiner polnischen Eltern kümmert, die ihn 1981 als Fötus in die BRD geschmuggelt haben, wo er dann geboren wurde.

Geschliffen formuliert

Im immer absurder werdenden Kampf mit Behörden, Screenshots, Faxnachrichten und dem stereotyp wiederkehrenden Hindernis „Datenschutz“ entwickelt sich sozusagen eine Nebenhandlung, in der plötzlich der Mann im Gesundheitsamt zu einem fühlenden Menschen wird und man sich sogar duzt. „Steffen folgt auf Instagram, ich folge zurück“. Das alles kommt in unaufgeregten, geschliffenen und wohlerzogenen Formulierungen, die als Kontrast zu den geschilderten Skurrilitäten deren Komik noch stärker unterstreichen.

Kafkaeske Urängste

Mit seiner geplanten Flugreise unter dem Titel „Warten auf Merlot“ widmet sich Bokowski kafkaesken Urängsten, irgendwohin zu wollen und immer wieder damit zu scheitern. In seinem Fall ist es erst ein technisches Problem mit dem linken Fahrwerk des Fliegers, dann der Insolvenzantrag der Fluggesellschaft, die das Abheben verhindert, wie Flugkapitän Müller am Bordmikro erklärt. Die Passagiere starten eine Solidaritätssammlung, irgendwann fragt Müller, ob ein Jurist an Bord sei, der sich mit Arbeitsrecht auskennt. Dann tut der Merlot seine Wirkung, und Müller übergibt lallend das Kommando an den Vizekapitän. Flug 4711 mit Captain Morgan bleibt am Boden. Eine herrliche Geschichte, die vorgelesen natürlich noch viel besser kommt als im Buch, aus dem sie stammt.

Herzerfrischend

Herzerfrischend auch Bokowskis Schilderungen von Reisen mit seinen Eltern, bei denen er und seine Schwester sich als Reiseführer abwechseln und sich in Briefen über die jeweiligen Erlebnisse mit „Mutter Blamage und ihren Kindern“ berichten. Viel Freude hat das Publikum auch an den Wirren einer Bahnfahrt von Magdeburg nach Berlin, die einfach nicht vom Fleck kommen will mit Umleitungen, „entfallenden“ Zügen, Schienenersatzverkehren, reisenden nigerianischen Geschäftsleuten und einer Fahrgästin, die möglicherweise ein Bolzenschussgerät mit sich führt.

KI und doofe Menschen

Was ein Staubsauger-Roboter namens „Staubi“ anrichten kann, füllt die letzte größere Passage des Abends. Der „kleine Racker“ rastet nicht, bis er alle anderen digitalen Haushaltsgeräte „aus- oder gleichgeschaltet“ hat, ein köstlicher Ausblick auf die Übernahme der Herrschaft der Künstlichen Intelligenz über die doofen Menschen.

Bokowskis Rezept sind ein scharfer Blick, eine gute Portion Selbstironie und ein Spürsinn für skurrile Situationen, deren Strickmuster sich aus banalen Alltagserfahrungen entwickeln. Wie die Diagnose „Berliner Erkrankung“, an der die Nachbarin in seiner Wahlheimat Berlin-Wedding leidet: Ihre Unterarme sind am Fensterbrett festgewachsen, sodass sie Tag und Nacht ihren Nachbarn gegenüber beobachten muss. Schnell sind die zwei Stunden vorbei, die Zugabe massiert noch einmal die Lachmuskeln mit einer Geschichte, wie die Geschwister Paul und Hanna Bokowski ihren Eltern eine Englandreise mit Hauptziel Windsor Castle spendieren. „Ocean’s Eleven – das polnische Remake“. Bravo, große Klasse. Und die Bücher gehen weg wie warme Semmeln.

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