Lörrach Ungestrafe Provokation

Die Oberbadische
Foto: Dorothee Philipp Foto: Die Oberbadische

Kabarett: Matthias Deutschmann im Burghof – fast altersmilde

Von Dorothee Philipp

Lörrach. Lustig sieht es aus, das „Totenhemd der deutschen Nationalmannschaft“, wenn Matthias Deutschmann damit auf die Bühne spaziert, oder besser tänzelt. Im Lörracher Burghof zeigte sich der Kingsize-Kabarettist von einer ungewohnt verspielten Seite, das Ätzende, Scharfe, das einem manchmal Angst machen konnte – wie weggeblasen. Kommt jetzt die Altersmilde?

Mit dabei wie immer das Cello, das in einem großen roten Kasten wohnen darf, der als leuchtender Farbklecks die Kulisse ziert. Launig serviert der Meister erst mal kabarettistisches Fingerfood, lobt den Leuchtturm-Burghof, spielt ein paar lokale Befindlichkeiten und linst dann nach Bayern, wo ja bald gewählt wird. Müssen wir am Montag schon die Geschichte neu schreiben? Kommt dem Kabarett demnächst Angela Merkel abhanden?

Dann lässt er das Cello warmlaufen, bringt es zum Singen und Raunen. Wie sich da auf einmal ein „Heil dir im Siegerkranz“ zwischen die schönen Melodien schmuggelt! Und dann ein kleiner Schlenker über Trump (gut fürs Kabarett, schlecht für die Menschheit) zur OB-Wahl in seiner Heimatstadt Freiburg, wo der „Laienprediger aus Sindelfingen“ noch Welpenschutz genießt. Während er darüber sinniert, wie er reagieren wird, wenn die AfD im Publikum sitzt, stimmt das Cello seinem Meister mit leisem Grummeln zu.

„Wahnsinn! Einfach der Wahnsinn!“

Dann kommt zum ersten Mal das Wort, das sein neues Programm zwei Stunden lang wie ein Refrain begleitet: „Wahnsinn! Einfach der Wahnsinn!“ Die Welt steht kopf, die guten alten Feindbilder verschwimmen im globalen und digitalen Strudel, die Politik setzt statt auf Debatte auf Polarisierung und Provokation. Wo soll man denn da als Kabarettist einhaken?

Und so wird der Abend auch ein bisschen mit Nostalgie getränkt, das darf einer wie Deutschmann, der seit bald 40 Jahren der Gesellschaft den Puls gemessen und immer Wegweisendes dazu zu sagen hatte. Heute beißt er sich in kein Thema so rein, dass die Fetzen fliegen, die alte Schärfe ist aber da, blitzt in Bonmots auf, die man gerne klauen möchte, weil sie so gut sind. Der Söder hat es getan, als er verkündete, die SPD in Bayern stehe unter Artenschutz. „Das war ein Zitat von mir!“, stellt Deutschmann fest und schüttelt den Kopf. Auch geistiges Eigentum ist Eigentum.

An der SPD arbeitet er sich länger ab, sie ist ihm ans Herz gewachsen und hat ihn enttäuscht. Der Auftritt von Schulz damals vor einer „sinnlos begeisterten“ Menschenmenge, und der Scharping, der „Versuch der SPD, sich mit einer Schlaftablette umzubringen“. Sie tut ihm leid und ist ihm einen kleinen historischen Exkurs durch ihre mehr als 100-jährige Geschichte wert: SPD, USPD, KPD, SED – „jetzt haben Sie wieder was zum Googeln“. Eine soziale Demokratie, das wäre doch das Beste für Deutschland. Dem türkisfarbenen Trikot geschuldet ist auch ein Rückblick auf das Sommermärchen 2006, von dem nicht einmal mehr „Demenz-Libero“ Beckenbauer übrig geblieben ist, der Hohepriester des deutschen Fußballs. Deutschmann war dabei, als Beckenbauer den Kaiserstuhl besuchte und die indigene Bevölkerung ihre Kinder zum Segnen brachte.

Die Lachmuskeln lockert ein Exkurs darüber, wo die Provokation ungestraft lodern darf: Im Kabarett. Da darf man auch Alice Weidel „Nazischlampe“ nennen. „Das war ein Kabarettist, die dürfen das“, habe der Richter gesagt. Deutschmann freut sich: „Ist das nicht geil?“

Nach der Pause trägt er wieder sein übliches Schwarz: Er sei aus dem Spiel genommen worden. Dem Bundestrainer gibt er noch mit: „Mehr Niveau, weniger Nivea“. Dann geht es zügig weiter durch den Parcours der politischen Reizthemen, die Übergänge sind genial. Von „Hitler als Bruno Ganz“ über Houellebecq und eine Dschihad-Etüde, bei der das Cello die Europahymne in arabische Tonskalen kleidet, bis zum Brexit, bei dem es wie ein Dudelsack blökt. Moses auf dem Berg mit Gott diskutierend, während unten das Volk einen goldenen Kalbskopf mit goldener Tolle anbetet. Putin hat er sich für die Zugabe aufgehoben, kann darüber noch mal einen Schlenker zur Bundeswehr und ihren Werbefilmchen auf Youtube drehen.

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