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Lörrach Vom Minister zum Stadtoberhaupt

Hubert Bernnat

Lörracher Oberbürgermeister: Serie – Teil 5: 1983: Rainer Offergeld mit bundespolitischer Erfahrung

Große Überraschung löste der amtierende Oberbürgermeister Egon Hugenschmidt am 1. Februar 1983 mit der Nachricht aus, dass er nicht mehr für eine weitere Amtsperiode kandidieren werde.

Von Hubert Bernnat

Lörrach. Er erklärte, die Anstrengungen und Belastungen der vergangenen 23 Jahre hätten deutlich spürbar an seiner Gesundheit gezehrt. Die sei trotz der schwierigen Finanzlage der Stadt ausschlaggebend gewesen, sich nicht mehr für eine vierte Amtsperiode zu bewerben. Damit hatte Hugenschmidt frühzeitig den Kampf um seine Nachfolge eröffnet, da seine Amtszeit noch bis Ende des Jahres dauerte.

Tatsächlich waren die Haushaltsberatungen schwierig, erst im Juni konnte der städtische Etat vom Gemeinderat für das laufende Jahr verabschiedet werden. Doch zuvor wurde am 15. April 1983 die Landesgartenschau im Grütt eröffnet.

Zwei starke Kandidaten stehen zur Wahl

Das waren die Vorzeichen für die auf den 16. November 1983 terminierte Neuwahl. Schon Anfang Mai präsentierte die CDU mit dem 44-jährigen Schliengener Bürgermeister Alois Rübsamen ihren Kandidaten. Während seiner bis dahin erfolgreichen zwölfjährigen Amtszeit hatte er die Gemeindereform, Hochwasserschutz– maßnahmen, den Bau der Hebelschule mit Turnhalle und die Renovierung des Wasserschlosses Entenstein als Rathaus gemeistert. Ihn unterstützten auch die Freien Wähler. Seit der Kommunalwahl stellten CDU und Freie Wähler 24 der 42 Stadträte. Die Bundestagswahl im März 1983 hatte die CDU mit 47,3 Prozent der Zweitstimmen klar vor der SPD mit 35,9 Prozent dominiert. Rübsamen konnte seine kommunalpolitische Erfahrung, seine Bindung an den Landkreis und den Rückhalt einer auch bundespolitisch erstarkten CDU in die Waagschale werfen.

Doch nur wenige Tage nach der Kandidatur von Rübsamen konnte die SPD einen Coup landen: mit dem 46-jährigen Juristen und Ex-Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Rainer Offergeld. Es galt schon als eine kleine Sensation, dass er sich in der Lörracher „Provinz“ zur Wahl stellte. Dabei konnte sich die Lörracher SPD ein bundespolitisches Geschehen zunutze machen. Durch ein konstruktives Misstrauensvotum war am 1. Oktober 1982 die Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt gestürzt worden, Helmut Kohl, CDU, wurde mit den Stimmen der FDP neuer Kanzler. Damit verloren auch die bisherigen Minister und Staatssekretäre der alten Regierung ihre Posten. Zwar war Rainer Offergeld bei der Bundestagswahl im März wieder in den Bundestag gewählt worden, doch er stand einem politischen Engagement in der Nähe seiner Waldshuter Heimat nach den vielen Jahren in Bonn offen gegenüber.

Die baden-württembergische SPD suchte Erfolg über die Rathäuser. Die damals noch „jungen Talente“ aus der Regierungsmannschaft von Helmut Schmidt sollten dabei helfen. Vorgemacht hatte es schon im November 1982 der ehemalige Finanzstaatssekretär Rolf Böhme, mit Offergeld gut bekannt, der in Freiburg gegen einen CDU-Konkurrenten Oberbürgermeister wurde. Für Offergeld sprachen seine bundespolitische Erfahrung, seine finanzpolitische Kompetenz, er war ja vier Jahre auch Staatssekretär im Finanzministerium gewesen, und seine Führungskraft als Leiter eines Ministeriums.

FDP und Grüne als Zünglein an der Waage

Den Wahlkampf spannend machte die Kandidatur von FDP-Stadtrat und Rechtsanwalt Peter Jensch. Nimmt man die letzten Wahlen, dann verfügte die FDP über ein Potenzial von rund acht Prozent. Rübsamen, Offergeld und Jensch gaben ihre offizielle Kandidatur gleich am ersten Tag der Bewerbungsfrist im Rathaus ab. Unter den weiteren drei Kandidaten stach der „Remstal-Rebell“ Helmut Palmer hervor, Dauerkandidat bei vielen OB-Wahlen und Vater des heutigen Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer.

Anders als Arend Braye hatte sich Offergeld betont als überparteilichen Kandidaten gesehen. Der Wahlkampf verlief trotz des spannenden Ausgangs „erfreulich sachlich“. Drei Wochen vor der Wahl fand in der „überfüllten Stadthalle“, damals noch auf dem Niederfeldplatz, eine offizielle Kandidatenvorstellung statt, eine weitere wenige Tage später in der Schlossberghalle mit gut 1000 Besuchern. Beide Male moderierte Amtsinhaber Hugenschmidt.

Das Interesse war also groß, und so gingen immerhin 66 Prozent der Wahlberechtigten am 16. November 1983 zur Wahl. Der erste Wahlgang brachte aber noch keine Entscheidung. Alois Rübsamen lag zwar mit 43,5 Prozent knapp vor Offergeld mit 40,1 Prozent, er verfehlte damit aber die absolute Mehrheit. Jensch hatte immerhin 14,3 Prozent der Stimmen geholt. Die übrigen drei Kandidaten spielten mit nur 2,1 Prozent keine Rolle. Nur zwei Tage nach dem ersten Wahlgang zog Peter Jensch seine weitere Kandidatur zurück und empfahl in einer persönlichen Erklärung die Wahl von Rainer Offergeld. Dem schloss sich der FDP-Ortsverband an. Das war nicht selbstverständlich, hatte doch die FDP auf Bundesebene im Jahr zuvor die Koalition mit der SPD verlassen und somit Helmut Kohl zur Kanzlerschaft verholfen. Allerdings wurde dieser Kurs auch in Lörrach von der eher linksliberalen Partei nicht von allen Mitgliedern mitgetragen. So war Stadtrat Christian Martin Vortisch deswegen aus der Partei ausgetreten.

Auch die Grünen, seit 1980 mit zwei Sitzen im Gemeinderat vertreten und bei der Bundestagswahl mit 8,4 Prozent der Stimmen bedacht, sprachen sich für Offergeld aus. Die SPD und die Wählerinitiative für Offergeld intensivierten ihre Bemühungen, unter anderem mit der legendären Brötchenverteilaktion am Wochenende der Wahl. Zudem unterstützte ein Flugblatt Helmut Schmidts Rainer Offergeld, in dem es hieß: „Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen zu meinem Freund Rainer Offergeld raten, der als jüngster Staatssekretär und als Minister in meiner Regierung gezeigt hat, was in ihm steckt.“ Eine gestiegene Wahlbeteiligung sorgte in Lörrach im zweiten Wahlgang am 11. Dezember für eine bis heute gültige Rekordbeteiligung bei Kommunalwahlen von 70,4 Prozent und einen Sieg von Rainer Offergeld mit 52,4 Prozent. Rübsamen erreichte 47,1 Prozent. Offergeld war damit nach Arend Braye der zweite Sozialdemokrat an der Spitze des Lörracher Rathauses.

Bilanz von Offergelds Amtszeit

Nach acht Jahren gelang ihm 1991, eigentlich durch Unterstützung aller Fraktionen im Rathaus, mit 73,8 Prozent klar die Wiederwahl. Die CDU unterstützte nämlich ihr Mitglied Hans-Peter Roth nicht offiziell. Noch heute schwärmen ehemalige CDU-Stadträte wie der Fraktionsvorsitzende Hermann Harrer, Dionys Guggemoos und Horst Moos sowie der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler Werner Lacher von der guten Zusammenarbeit mit Offergeld. Mit Teilen der SPD klappte die Zusammenarbeit dabei nicht immer reibungslos. Doch Offergeld trat Ende November 1994 mit 57 Jahren völlig überraschend zurück, um sich noch einmal neuen beruflichen Zielen widmen zu können.

Kernstück der Kommunalpolitik von Offergeld war mit Sicherheit die Sanierung der städtischen Finanzen, auch durch Abgabe des Krankenhauses an den Kreis. Dennoch wurde in Lörrachs Zukunft investiert. Die damals revolutionäre Neugestaltung der Innenstadt zur Fußgängerzone vom Senser Platz bis zur Herrenstraße gilt heute als der Beginn von Lörrachs Ruf als Einkaufs- und Wohlfühlstadt. Mit dem Konzept „Straße-Platz-Zeichen“ wurden mit der Einrichtung von Plätzen und der Aufstellung von Kunst im öffentlichen Raum der Innenstadt städtebauliche Akzente gesetzt. Damit einher ging die Sanierung des Rumpel mit dem damaligen Investor Migros als Magneten. Dies und die Wiederherstellung des Alten Marktplatzes in seiner ursprünglichen Funktion sind die sichtbarsten Zeichen seines großen Erfolgs. Der schienengleiche Übergang Wallbrunnstraße wurde geschlossen und eine Unterführung für den Langsamverkehr gebaut. Am Reittereck siedelte sich C&A an.

Der Umzug der sanierungsbedürftigen und kleinen Stadtbibliothek ins Gebäude des ehemaligen Kaufhauses Knopf und die Projektierung des Burghofs gehören dazu. Zwei, allerdings erfolglose, Bürgerentscheide schienen das Projekt Burghof zu gefährden. Mit den Grünen etablierte sich zudem eine neue politische Kraft im Lörracher Gemeinderat, die wie schon gegen die Landesgartenschau auch gegen das Großprojekt Burghof opponierte. Mit dem Vorengele wurde der Salzert erweitert und mit Stetten-Süd ein neues Baugebiet realisiert. Offergeld musste den fortschreitenden Strukturwandel von der Textilindustrie zum Dienstleistungsstandort bewältigen. Mit Senigallia und dem sächsischen Meerane entstanden Partnerschaften.

Offergeld hat mit seiner konsequenten und manchmal harten Art ministeriellen Glanz nach Lörrach gebracht und sichtbare Spuren hinterlassen. 2018 verlieh ihm die Stadt nach seinem 80. Geburtstag die Ehrenbürgerwürde.

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