Stettens Bürgermeister Rupp schrieb 1890: „Der größere Teil der hiesigen Einwohner besteht aus Fabrikarbeitern, welche infolge der Erbauung die bürgerlichen Einwohner, meist Landwirte, überflügelt haben. Es ist unter denselben eine große Neigung, sich mit der Stadt Lörrach zu vereinigen.“ Von Stettener Seite gab es schon früh die Bereitschaft, die Arbeiterkolonie Neustetten an Lörrach abzugeben, zumal ein Großteil der Arbeiter evangelisch war und ihr Steueranteil nur gerade 25 Prozent vom Gesamtort ausmachte. Versuche in den Jahren 1864 und 1869 scheiterten am mangelnden Interesse Lörrachs, das an der Übernehme mehr Kosten als Nutzen auf sich zukommen sah.
Schulsituation drängte
Die Schulsituation war in Stetten das drängendste Problem. Man hatte nur ein altes Schulhaus hinter dem Rathaus mit nur einem Klassenraum und desolater Lehrerwohnung. 1872 entschloss sich die Gemeinde zum Neubau, der fünf Jahre später bezogen wurde. Es ist das alte Schulhaus an der Hauptstraße, das vier Schulräume für die achtklassige Volksschule hatte. Erleichtert wurde die Planung, da in Baden 1876 die verpflichtende überkonfessionelle Schule eingeführt wurde. Bis dahin gingen die katholischen Kinder aus Lörrach und Umgebung in die Stettener Schule, die evangelischen Kinder aus Neustetten aber nach Lörrach. Doch der Neubau war für die wachsende Schülerzahl bald zu klein.
Da nun ab 1870 zusehends die Basler Straße als auch die Dorfstraße bis zum Bahnhof bebaut wurden, musste in die Wasserversorgung durch neue Brunnen enorm investiert werden. Mathilde Baumgartner, die Frau von Leon Baumgartner von KBC, erwies sich als große Stifterin. Sie gründete das erste Kinderheim für „arme Kinder und Waisen“ an der Basler Straße, heute ist hier der Kindergarten „Zum Guten Hirten“ untergebracht. Um das Heim an die Wasserleitung anzuschließen, übernahm sie die Kosten für die Weiterführung der Lörracher Wasserleitung bis zum Gasthaus „Rössle“. So konnte die Basler Straße mit Hausanschlüssen ausgestattet werden. 1888 einigten sich beide Gemeinden vertraglich über die laufenden Kosten. Dennoch blieb bis 1890 die Frage der Angliederung Neustettens in der Schwebe. Dann verbot die badische Regierung gesetzlich die Ausgliederung von einzelnen Teilen bestehender Gemeinden. Doch im Stettener Bürgerausschuss häuften sich die Konflikte zwischen Neu- und Altstettenern, zwischen „Fabriklern und Dörflern“.
Die Vereinigung von Lörrach und Stetten
Unter dem Lörracher Bürgermeister Johann Josef Grether bestand lange wenig Interesse an einer Vereinigung. Er war der letzte Honoratiorenbürgermeister, der sein Amt seit 1872 noch nebenberuflich ausübte. Trotz der großen Bevölkerungszunahme durch die Industrialisierung dachte man auf dem Lörracher Rathaus noch kleinstädtisch und war auf Sparsamkeit bedacht. Es fehlte der Weitblick, welchen Vorteil eine Vereinigung mit Stetten für die Stadtentwicklung hatte. Doch Stetten entwickelte sich weiter. 1882 war die Wiesekorrektur abgeschlossen, 1890 die Bahnlinie nach Weil durch den Tüllinger Tunnel fertig. Und 1897 beschloss Stetten, die Wasserversorgung mit Hausanschlüssen selbst zu übernehmen. Das überforderte die Gemeinde bald, denn ab 1903 begann die Bebauung der Damm-, Weiler und Riehenstraße.
Die geschilderten Probleme führten 1904 zum eingangs erwähnten Antrag an die Stadt Lörrach. Zwei Jahre wurde ergebnislos verhandelt. Dies änderte sich erst 1906, als eine Mehrheit aus Nationalliberalen, Zentrum und SPD im Lörracher Bürgerausschuss nach dem krankheitsbedingten Rücktritt Grethers den erst 27-jährigen Juristen Dr. Erwin Gugelmeier zum nun hauptamtlichen Bürgermeister wählte. Dieser sah die Entwicklungspotenziale für Lörrach, ebenso wie der Stettener Bürgermeister Fridolin Engel die eigene Misere realistisch einschätzte. So wurde eine Verhandlungskommission gebildet. Größtes Problem war die Abgeltung des so genannten Bürgernutzens auf Waldholz und der Matten auf dem Salzert, worauf einige alteingesessene Stettener ein Anrecht hatten.
Letztlich konnten alle diese Fragen einvernehmlich in einem Vertrag geklärt werden, dem die kommunalen Gremien in beiden Orten mit sehr großer Mehrheit zustimmten. Nachdem auch beide Kammern des badischen Landtags im März 1908 zustimmten, wurde die Vereinigung Stettens mit Lörrach zum 1. April 1908 gültig. Da auch Lörrach Schulraumprobleme hatte, ist der Bau der damaligen Städtischen Realschule mit Volksschule 1911, heute HTG, praktisch auf der alten gemeinsamen Gemarkungsgrenze, so etwas wie das Vereinigungsgeschenk, das beiden nützte. Jedenfalls ist die Vereinigung Stettens mit Lörrach die einzige, die auf freiwilliger Basis geschah. Bewahrt hat sich der Stadtteil seine eigene Identität.