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Lörrach Walsers weißer Winter

Die Oberbadische
Christian Zehnder (v.l.), Matthias Loibner und Vincent Leittersdorf bei „Stimmen im Advent“ Foto: Willi Vogl Foto: Die Oberbadische

Stimmen im Advent: Zwischen klanglichem Dekor und expressiver Klangrede

Von Willi Vogl

Lörrach. Mit getragenen Klängen einer surrenden Drehleier und einer damit verschmolzenen pulsierenden Gesangsstimme eröffnen Christian Zehnder und Matthias Loibner den zweiten Abend von „Stimmen im Advent“ in der Stadtkirche. Rezitator Vincent Leittersdorf sorgte mit Prosatexten von Robert Walser für den literarischen Part in dem durch Kerzen beleuchteten stimmungsvollen Gotteshaus.

Robert Walser liebt den Winter und den Schnee. Seine Prosatexte suchen durch Melodie, Bildlichkeit, Rhythmus und Wortwahl die Nähe zur Poesie. Sie handeln von glitzernder Kälte, Flockentanz und stillen weißen Träumen. Das Schneien ist bei ihm mächtig wie die Liebe, denn es verwandelt die Welt. Darin mischen sich kindliches Staunen und Todessehnsucht, malerischer Blick und bürgerliche Welt. Landschaftsstimmungen kommen ebenso zum Zug wie einzelne Naturphänomene.

Im ersten Text stellt er Fragen wie „Weiß das Blatt, dass es schön ist?“ oder „Empfindet sich der Wind als windig?“ Walsers literarische Wanderung durch die Natur macht er nicht allein, sondern verknüpft sie autobiografisch, indem er sie zusammen und im Dialog über Kunstfragen mit seinem bewunderten Bruder schildert.

In einer Meditation über vom Schnee zugedeckte Dinge stellt Walser fest, dass es schwer fallen dürfte, sich im Schnee schmutzig zu machen. Darin verwoben ist auch eine Betrachtung über die Sehnsucht. Sie sei überflüssig, begreiflich und gleichzeitig unbegreiflich, da sie zwar zumeist schmerzlich sei und dennoch viele Menschen darauf nicht verzichten wollen.

In einer Geschichte schildert Walser ein lyrisches Ich als Vater von mehreren Kindern, das in weihnachtlicher Stimmung selbst wieder zum Kind wird. Während der Vater Mandeln und Feigen isst und die tanzenden Schneeflocken betrachtet, sieht er sich in ein glückliches Bürgertum versetzt, bei dem auch der fatalistisch gläubige Blick auf Gott nicht fehlt: „Gott, mach mit uns Menschen, was du willst. Alles ist gut, was du beschließt.“

Vincent Leittersdorfs Vortrag war fein und vielfarbig. Er bot dem Zuhörer vor allem durch eine differenzierte Tempoführung die Möglichkeit, sich in die verschiedenen Stimmungen der Texte einzudenken. Bisweilen gewann man gar den Eindruck, dass seine Vortragskunst den Texten eine größere Bedeutung zukommen ließ, als sie durch das eigene Lesen erhalten hätten.

Dazwischen und parallel dazu gab es improvisierte Musik von Christian Zehnder und Matthias Loibner, die allein durch die technischen Gegebenheiten der Drehleier wie fantasievoll verfremdeter mittelalterlicher Minnegesang wirkte. Zehnders Gesang bewegte sich dabei zwischen der Expressivität eines Jodlers und gestischer dadaistischer Überhöhung, die auch irre Zuckungen mit einschlossen und der man beinahe einen sprachlichen Sinn vermeinte entnehmen zu können. Oft waren Zehnders repetitive Muster so zurückgenommen, dass sie als vibrierende Abspaltung des intensiven Leierklangs wahrgenommen wurden. Vielfarbig sonore Kombinationstöne standen im Wechsel mit schillernden verhauchten Pfeiftönen und ekstatisch schluchzenden Jodelfiguren. Wenngleich die Muster und ihre Entwicklungen etwas vorhersehbar waren, erzeugten sie mitunter wohlig gespenstische Stimmungen, wie man sie auch in Fantasiefilmen mit Elfen und Gnomen findet. Die meditativen Borduntöne Loibners sorgten für den Zusammenhalt zwischen klanglichem Dekor und expressiver Klangrede.

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