Benjamin Rudiger kommt zu einem Vortrag der VHS nach Lörrach – und will damit anderen Menschen Mut machen.
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Was passiert, wenn man mit 21 eine Krebsdiagnose erhält? Und wenn dann erbarmungslos ein weiteres lebensveränderndes Unglück geschieht? Verzweifeln? Ja, auch das. Aber der Schwarzwälder Benjamin Rudiger geht einen anderen Weg.
Benjamin Rudiger kommt zu einem Vortrag der VHS nach Lörrach – und will damit anderen Menschen Mut machen.
Ich stand am Anfang meiner sportlichen Radkarriere. Dann kam die Diagnose. Das war wie eine Vollbremsung von 150 auf Null. Mental war das extrem herausfordernd. Ich war allerdings in dieser Zeit gerade gedanklich extrem im Wettkampfmodus. Und ich habe den Kampf gegen den Krebs auch als einen solchen Wettkampf aufgenommen. Das halbe Jahr Chemotherapie habe ich durchgezogen. Ich wusste, was auf mich zukommt. Zum Glück hatte ich eine körperlich gute Konstitution, mit der ich in diese Therapie rein bin. Das half sicher.
Zunächst war es besonders die sportliche Community. Da habe und hatte ich echt tolle Leute um mich herum. Das war Wahnsinn, wie die mich unterstützt haben. Es war auch überhaupt kein Thema, dass ich, sobald es gesundheitlich möglich war, wieder in die sportlichen Abläufe eingebunden wurde. Auch die Sponsoren haben mir ganz ohne Druck alle Türen offen gehalten. Und natürlich spielte auch das familiäre Umfeld eine Riesenrolle.
Zu Anfang war es natürlich weniger richtiger Sport. Aber die Bewegung an der frischen Luft, in der Natur, das hat mir enorm geholfen. Heute weiß man, wie hilfreich gerade auch Sport für Krebspatienten ist. Damals waren die Mediziner noch zurückhaltender. Ich bin öfter auf Vorbehalte gestoßen und habe dann entgegen manchen Ratschlägen mein Ding gemacht. Ich wusste einfach, was mir gut tut. Was sich wiederum sicher gut auf meine Psyche ausgewirkt hat. Man muss versuchen, sich ein Stück Lebensqualität zurückzuholen.
Ich durfte so tolle Unterstützung in meinem privaten Umfeld erfahren, da wollte ich gerne etwas zurückgeben. Mit einer Freundin mit einem ähnlichen Schicksal wie ich habe ich dann den Verein RIDE2LIVE gegründet, um im regionalen Raum anderen Betroffenen praktische und emotionale Unterstützung zu bieten.
Wir haben rund 200 Mitglieder. Betroffene oder Angehörige wollen wir zur Bewegung in der Natur motivieren. Wir haben beispielsweise Rad-Trikots und Laufshirts designed und vertrieben. Von dem Erlös unterstützen wie Therapieangebote mit E-Bikes. Oder wir helfen ganz konkret im Einzelfall: Wenn eine Mama an Krebs erkrankt ist, schicken wir die Kinder zum Beispiel in den Europapark, damit sie mal alles hinter sich lassen können. Oder wir helfen ganz konkret bei Anträgen auf Unterstützung. Und wir tauschen uns auch mit ähnlichen Vereinen aus.
Ja, das war mir sofort klar. Die Schmerzen waren das krasseste, was ich je erlebt hatte. Als ich dann sah, dass meine Beine nicht an der Stelle waren, wo ich sie vermutet hatte, sondern 90 Grad im anderen Winkel, war mir sofort klar, dass das dramatisch ist.
Diese Frage stellt sich sicher jeder in so einer Situation. Auch ich. Das nützt aber nichts. Es ist müßig und bringt einen nicht weiter. Unfassbar viele Leute erleiden ja täglich die ungerechtesten, schrecklichsten Schicksalsschläge. Das wichtigste ist, sich eine Perspektive zu erarbeiten: Wie kann es weiter gehen? Und dann mit möglichst viel Unterstützung weitermachen.
Manchmal ja. Aber natürlich rege auch ich mich über Dinge wie schlechtes Wetter auf. Nur weil man mit großen Problemen zu kämpfen hat, kann man sich dennoch auch über Peanuts aufregen. Die Antwort lautet also jein. Ich bin ziemlich sensibel, wenn sich manche Leute extrem lange und empört über eine vermeintliche Ungerechtigkeit auslassen. Da denke ich dann schon: Ey Leute, geht mal einen Schritt zurück und guckt mal, ob das wirklich eine solche Dimension hat.
Mein Telefonbuch habe ich neu sortiert. Ich dachte, ich habe Freunde, denen ich ganz nah bin, die dann aber auf einmal ganz fern waren, weil sie mit der Situation nicht umgehen konnten. Dafür gibt es dann aber Menschen, die man gar nicht auf dem Schirm hatte, die aber plötzlich für einen da sind.
Mir geht es gut. Ich habe viel Unterstützung, habe eine Familie mit einer kleinen Tochter, die dreieinhalb Monate ist. Ich arbeite in der Sparkasse und bin weiter im Ehrenamt engagiert. Also mitten im Leben. Und ich versuche, möglichst viel Sport zu machen: vom sportlichen Handbike bis zum Skisport mit Langlaufschlitten. Ich gehe raus – und das tut mir gut. Aber natürlich lebe ich mit allen körperlichen Einschränkungen, die eine Behinderung mit sich bringt.
Ich bin kein Profi-Motivationsredner. Ich erzähle einfach meine Geschichte. Jeder Zuhörer kann davon etwas mitnehmen – oder auch nicht. Ich mache so etwas nicht oft. Ich plane auch nicht, ein Buch zu schreiben oder das Ganze zu professionalisieren. Ich finde, es gibt schon genügend Spezialisten und Bücher, da braucht es mich nicht auch noch. Durch mein Engagement und im direkten Kontakt kann ich mehr erreichen und bin auf dem richtigen Platz.
Wir sind hier in Deutschland recht gut aufgestellt. Dennoch gibt es viel zu verbessern. Vor allem muss das Verständnis dafür geschaffen werden, dass Inklusion nicht bedeutet, eine Randgruppe mitmachen zu lassen, sondern dass alle vom gemeinsamen Miteinander einen Benefit haben.
Nein. Akzeptieren werde ich das wohl nie. Ich habe ein hohes Maß an Glück und Lebensqualität zurückerobert. Aber ich würde nie sagen, dass es wieder die 100 Prozent sind. Man hat eben dauerhaft mit Schmerzen zu tun und viele Handicaps. Ich bin aber auch mit 85 Prozent ein glücklicher Mensch.
Vortrag der VHS Lörrach: 3. Mai, 19.30 Uhr, Altes Rathaus