Lörrach Wenn Menschen Gott spielen

Die Oberbadische
Sachbuch-und Krimi-Autor: Roland Weis Foto: zVg Foto: Die Oberbadische

Literatur: „Das Erwachen der Gletscherleiche“: Roland Weis hat ein neues Buch geschrieben

Roland Weis’ neues Buch „Das Erwachen der Gletscherleiche“ kreist wieder um einen Toten – aber diesmal ist kein Mord im Spiel.

Von Natalia Kulyasova

Lörrach. Der für Sachbücher und Schwarzwald-Krimis bekannte Autor und Historiker hat schon häufiger in Lörrach und der Region aus seinen Publikationen gelesen.

Weis lädt die Leser mit diesem literarischen Mosaik aus Schelmenroman, Science-Fiction und Krimi auf eine turbulente Reise ein, die vor 5500 Jahren beginnt und im heutigen Freiburg ihre Fortsetzung findet. Ein vielschichtiges Werk – amüsant und charmant, ernst und melancholisch, sarkastisch und humorvoll.

Die Story: Bei einer lästigen Bergtour, auf die ihr Freund Armin sie mitschleppt, entdeckt Mona Hohner, Sekretärin im Freiburger BioGen Institut, eine aus dem Gletscher ragende Hand. Von Mona benachrichtigt, bergen noch in der selben Nacht Prof. Dr. Aschendorfer, wissenschaftlicher Leiter des Instituts, sein treuer türkischer Gehilfe Meslut Kaymal und sein Landsmann den Toten aus dem Morteratsch-Gletscher.

Aschendorfers Vorliebe für Leichen war kein Geheimnis im Institut – und eine tiefgefrorene könnte um so spannender sein: War der Fund ein verunglückter Wanderer oder gar ein zweiter Ötzi? Noch ahnt niemand, welche Büchse der Pandora mit der Bergung geöffnet wurde. Dass der nach Ansicht ihres Freundes „verrückte“ Professor versuchen wird, einen tiefgefrorenen Leichnam wiederzubeleben, konnte sich niemand im Institut vorstellen.

Doch das Undenkbare geschieht: „Bowolf öffnete die Lider. Grelles Lichtgewitter fiel über ihn herein. Schnell schloss er die Augen wieder. Dann unternahm er einen zweiten Versuch, blinzelte vorsichtig und ließ kleine Portionen Helligkeit durch enge Sehschlitze eindringen. Es war überwältigend. ... Jetzt riss er die Augen auf.“

„Darf die Wissenschaft alles?“, stellt Dr. Mirji Amresh, der Molekularbiologe aus Indien und einer der Stellvertreter des Professors, als erster die warnende Frage. Doch in seiner Auflehnung bleibt er zunächst allein. Für Aschendorfer ist dies keine Frage. In seinen Augen ist der im Eis gefundene Bowolf nichts anderes als eines seiner Versuchskaninchen: ein sensationelles Experiment. Dabei geht es dem Professor nicht um Geld und Kariere, sondern um das faszinierende Experiment selbst: das Unmögliche möglich zu machen, das ist der Motor, der ihn antreibt.

Einem Universalgelehrten gleich, zeichnen ihn nicht nur tiefe Kenntnisse von der Medizin bis zur Sprachwissenschaft aus, sondern auch ein weiteres Phänomen: Er schläft nur drei bis vier Stunden am Tag. Aber im Laufe des Romans wird das Genie Sympathien einbüßen.

Anders als sein indischer Kollege Dr. Mirji Amresh, für den das Experiment „Verspottung Gottes“ und „Erniedrigung der Menschenwürde“ ist, sieht die Biochemikerin Dr. Frederike Biesthal die Angelegenheit. Stets „kalt wie eine Grabplatte“, erwacht die kühle Wissenschaftlerin aus ihrem Eis, als sie eine Menschenseele in Bowolf erkennt, die genauso einsam war, wie ihre.

Auch Meslut Kaymal, der Hausmeister des Instituts, versteht Bowolf. Dem Professor bedingungslos ergeben, überrascht der türkische Hausmeister immer wieder mit trickreichen Fähigkeiten. Er ist es, der BioGen mit der Wirklichkeit verbindet: Er löst praktische Probleme, wo sich die hoch qualifizierten Wissenschaftler wie Kleinkinder anstellen. Meslut Kaymal beherrscht das reale Leben. Ausgerechnet er bringt dem Steinzeitmenschen manches bei, was man heute fürs Überleben so braucht. Bereits nach kurzer Zeit kann sich Bowolf per Handy einen Döner bestellen..., weiß, wie eine Fernbedienung funktioniert und spielt an der Playstation. Der türkische Hausmeister sieht keinen Unterschied zwischen Bowolf und dem Menschen heute: „isse wie ursprüngliche Mensche – Naturmensche!“

Der Erzähler gibt dem weisen Türken recht: „In der Hauptsache handelte es sich bei der Zivilisation und Kultivierung um Tarnung. In Wahrheit galten die gleichen archaischen Regeln, die gleichen Urinstinkte wie zu Bowolfs Zeiten. Es ging um Weibchen und um die größte Axt.“

Im Roman geht es einigen um die Axt. Etwa dem Geschäftsführer des Instituts Jens-Merten Völlstiegel, der von den Forschungen seiner Angestellten „so wenig verstand wie ein Ferkel von der Mondlandung“. Oder dem Journalisten Charly Katz, dem skrupellosen Storyjäger, der bereit war, alles Mögliche und Unmögliche zu unternehmen, um an Informationen zu kommen. Nicht nur einmal führt der hinterlistige Katz den gutmütigen, für den Fall mit der gestohlenen Leiche zuständigen Gendarmerie-Feldwebel Urs Rüthli von der Kantonspolizei Chur an der Nase herum.

Allerdings bestraft der Autor alle, die nach der Axt streben. Gnadenlos bringt er sie in peinliche Situationen, überschüttet sie mit Sarkasmus. Die Figuren von Roland Weis werden buchstäblich durchleuchtet – keiner ihrer Gedanken entgeht dem Leser. Weis skizziert die Charaktere überzeugend: Schon bald fiebert der Leser mit, hegt Sympathien, oder verflucht den einen oder den anderen.

Wird der besessene Professor, umgeben von Polizei, Journalisten und den von ihm abgewandten Kollegen alles aufs Spiel setzen – auf ein dämonisches Spiel mit ungewissem Ausgang?

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