Es gebe gewiss keine einfachen Antworten auf komplexe Problemlagen. Festzustellen sei aber, dass hierzulande vieles zwar „mit Sorge beobachtet“, aber schlicht zu wenig dagegen getan werde – gerade im Alltag, sagt Flomenmann. Auch aus dieser Passivität heraus resultierten etwa Vorfälle wie in Berlin, wo ein israelischer Bürger auf offener Straße mit einem Gürtel geschlagen wurde, oder dass etwa auf Schulhöfen immer wieder das als Schimpfwort gerufene „Du Jude!“ zu hören sei. Es gelte, nicht nur „Betroffenheit“ zu zeigen, sondern darüber nachzudenken, wie klare Signale aus der gesellschaftlichen Mitte ausgesandt werden könnten, dass so etwas nicht hingenommen werde.
Die Gedenk-Kultur
Flomenmann betont mit Blick auf den 9. November, dem Datum der gewalttätigen Novemberpogrome im Jahr 1938, die Bedeutung der Erinnerungskultur: „Erinnern ist die Voraussetzung für Versöhnen. Wir dürfen nicht gleichgültig werden.“ In diesem Jahr fallen Mahnwache und Gedenkfeier zum 9. November coronabedingt aus. Flomenmann und Oberbürgermeister Jörg Lutz werden deshalb Gedenkworte per Video aufnehmen, die am Montag, 9. November, um 17 Uhr über die Webseite der Stadt Lörrach veröffentlicht werden. Doch sei auch in diesem Zusammenhang entscheidend: „Erinnerungskultur darf sich nicht darauf beschränken, einfach nur ein Häkchen dranzumachen“, sagt der Rabbiner.
Die Stolpersteine
Unterdessen hat die Verlegung der Stolpersteine bei Flomenmann und der jüdischen Gemeinde „Irritationen“ ausgelöst. Wie berichtet, wurden die Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus kürzlich erstmals in Lörrach verlegt. Die kleinen Messingplatten wurden an den letzten selbst gewählten Lörracher Wohnsitzen der Menschen in den Gehweg eingelassen.
Im Prinzip habe die Gemeinde nach eingehender Debatte die Aktion mitgetragen. Mit Verwunderung habe sie aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass bei der Benennung der Opfer auf den Stolpersteinen unterschiedlich verfahren wurde, denn: In Lörrach werden auf den Stolpersteinen Opfer verschiedener Religionszugehörigkeit genannt. Deshalb wäre es aus Sicht der jüdischen Gemeinde wichtig gewesen, die Religionszugehörigkeit der einzelnen Opfer präzise zu benennen. Dies sei bei den jüdischen Bürgern nicht geschehen.
Nach Auskunft der Stadt liege diese Entscheidung allein beim Initiator der Stolpersteine, Gunter Demnig. Angesichts der Informationsfunktion der Stolpersteine im öffentlichen Raum könne die Kultusgemeinde mit dieser Ausgestaltung nicht zufrieden sein, so Flomenmann.
Die Aufarbeitung
Gleichzeitig würdigt er ausdrücklich das Engagement der Kommune für die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in Brombach, Haagen und Hauingen durch den Historiker Robert Neisen. Ebenso wichtig bleibe eine in die Zukunft gerichtete, lebendige gesellschaftliche Debatte, sagt Flomenmann. Im kommenden Jahr erwarte er am 9. März den Besuch von Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus. Gemeinsam mit Blume möchte Flomenmann die Begegnung mit Schülern organisieren – unter Berücksichtigung der Corona-Verordnung.
Das Gemeindeleben
Aktuell wurde das Gemeindeleben coronabedingt weitgehend zurückgefahren. Die Bibliothek ist geschlossen, Kurse, Tanzveranstaltungen, gemeinsamer Gesang, Jugendarbeit: All das findet derzeit nicht statt. Aber: Unter Einhaltung der Hygienevorschriften und deutlich eingeschränkter Besucherzahl wird – so lange es möglich ist – ein Gottesdienst angeboten. Allerdings würde schon bei kleinsten Anzeichen einer Coronainfektion auch dieses Angebot abgesagt, so der Rabbiner.
Bis auf Weiteres aber gehören die Gottesdienste noch zum Lörracher Gemeindeleben, denn, so Flomenmann: „Es ist den Menschen ein Bedürfnis.“