Lörrach Wucht und Unerbittlichkeit

Dorothee Philipp
 Foto: Dorothee Philipp

Literatur: Stefan Zweigs „Erinnerungen eines Europäers“ im Burghof.

Lörrach - Was ist da verloren gegangen! Die „Erinnerungen eines Europäers“, die Stefen Zweig im brasilianischen Exil in wehmütiger Rückschau schrieb, zeigen die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts in einem fernen, goldenen Licht, das aber bereits von kleinen hässlichen Flecken getrübt wird. Was ist wo schief gelaufen, wo lässt sich Versagen ausmachen, wenn man die Ära vom jenem Ende her betrachtet, das für Stefan Zweig der Freitod 1942 war?

Im Lörracher Burghof spürten vier Künstler der Schilderung jener Epoche nach, die uns heute dringend zu einem sorgfältigeren Umgang mit den kulturellen Schätzen Europas und zu einem wacheren Wahrnehmen von barbarischen Strömungen animieren müsste.

Im Zentrum stehen Textpassagen aus dem 1944 postum in Stockholm erschienenen Werk, die der Schauspieler und Regisseur Gerd Heinz zusammengestellt hat und die exemplarisch die Stationen von Zweigs Leben vor Augen führen. Er sitzt im Halbdunkel, lässt den Mann fast authentisch zu Wort kommen, der einst der meist übersetzte deutsche Schriftsteller war. Und dessen Bücher dann auf den Scheiterhaufen der Nazis verkohlten.

Klarer, schnörkelloser und empfindsamer Stil

Zweig schreibt einen klaren, schnörkellosen und doch empfindsamen Stil, man möchte mehr erfahren von jenem Menschen, der am Ende seines Lebens feststellen muss: „Jener Septembertag 1939 zieht den endgültigen Schlussstrich unter die Epoche, die uns Sechzigjährige geformt und erzogen hat“.

Heinz lässt Zweig mit dem gesamten Vorwort zu seinem Buch zu Wort kommen, nur so versteht man das folgende Drama in seiner Wucht und Unerbittlichkeit.

Und dann ist da noch die Musik, die das sagt, was sonst ungesagt bleibt, durch die subtile Interaktion von Klavier (Axel Gremmelspacher) und Cello (Lucas Fels). Die beiden renommierten Professoren begleiten als feinfühlige Interpreten den Fortgang des Textes mit kurzen, genial zusammengestellten Stücken, die den künstlerischen Reichtum jener Epoche mit seinen Vor- und Rückbezügen ausbreiten.

Da ist der Werdegang Antons Weberns vom letzten Aufleuchten der Spätromantik bis zur luziden Askese der neuen Musik zu erleben, da ist der jüdische Kantorssohn Erich Itor Kahn, der in der KZ-Haft sein anrührendes „Andante molto sostenuto“ schrieb. Da kommt die Wiener Salonmusik in Zemlinksys „Tarantella“ mit Tastendonner und David Poppers „Mazurka“ mit Walzer-Leichtigkeit und exotischem Balkan-Feuer zu Wort.

Mit Henriette Bosmans und Nadia Boulanger sind auch zwei Komponistinnen vertreten. Die Schilderungen von Zweigs Aufenthalt 1904 in Paris wehen nach in der Musik von Fauré, Milhaud und Ravel. Wobei die „Soracaba“ Milhauds mit ihrer Reminiszenz an Brasilien die Verbindung zu Zweigs letztem Domizil herstellt. Die Abendröte der Zeit, die noch auf Europas Einigung hoffte, glüht nach mit Richard Strauss, Jacques Offenbach und Mendelssohn.

Wie kann man das Wandern in die Unbehaustheit darstellen? Der Bühnenbildnerin Lilot Hegi gelingt das, mit wie zufällig an die Längswand des Saals gelehnten schwarzen Brettern, auf denen mit Kreidestrichen die Vision einer Landschaft angedeutet wird, in der die klangvollen Namen europäischer Metropolen in winziger Schrift eine Spur legen. Drei altmodische Koffer stehen verteilt im Raum. Die beiden Musiker entfernen sich nach dem Verklingen des letzten Tons leise mit ihrem Gepäckstück ins Dunkel hinter der Bühne, Gerd Heinz nimmt seinen Koffer als Letzter – ein Moment, in dem man weinen könnte. Aus dem Off dann Mendelssohns tröstliche Musik aus „Lieder ohne Worte“, so wie vor Beginn Friedrich Gernsheims hebräischer Gesang „Elohenu“ auf die besondere Tonlage des Abends eingestimmt hatte.

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