^ Lörrach: Zerberstender Zuckerhut aus Stahl - Lörrach - Verlagshaus Jaumann

Lörrach Zerberstender Zuckerhut aus Stahl

Walter Bronner
Siegert Kittler bei seinem beklemmend-aufschlussreichen literarischen Abend zum regionalen Geschehen um die Zeitenwende 1918/19. Foto: Walter Bronner

Siegert Kittels Literaturstreifzug mit regionalem Bezug zur „Zeitenwende 1918/19“.

Lörrach - Das Kriegsende am Oberrhein in der Literatur thematisierte Siegert Kittel in seiner Lesung am Dienstag im Dreiländermuseum. Eingeladen hatte der Museumsverein Lörrach.

Im Roman „Der Zauberberg“ formuliert Autor Thomas Mann am Schluss die Metapher vom „Zuckerhut aus Stahl, der zerbirst“, als sein „unheldischer“ Held Hans Castorp auf dem Schlachtfeld in Flandern über die Leichen vieler Gefallener taumelt. Dieser literarische Versuch einer Antwort auf die Frage, wie sich das Grauen des Krieges schildern lässt, stellte Siegert Kittel seiner dritten Themenlesung im Rahmen der Sonderausstellung „Zeitenwende 1918/19“ voran.

Dabei präsentierte er unter dem Leitwort „Straßburg ich muss dich lassen“ eine Reihe literarischer und anderer schriftlicher Zeugnisse, die weitab von Flandern das Kriegs- und unmittelbare Nachkriegsgeschehen in der Elsass-Hauptstadt und deren weiträumigen Umfeld bis zum Rheinknie abspielten.

Etwa Ernst Toller, Autor und Protagonist der kurzlebigen Münchner Räterepublik, der als Soldat nahe Straßburg stationiert war und das weitgehende Einvernehmen der Elsässer mit ihren alemannischen Nachbarn auf der anderen Rheinseite sowie ihr distanziert ambivalentes Verhältnis zu Franzosen und Preußen beschrieb.

Sodann Adrienne Thomas‘ beklemmende Beschreibungen ihrer Einsätze als Krankenschwester am Bahnhof von Metz, wo Schwerverwundete beider Kriegsparteien als so genannte „Schüblinge“ notdürftig versorgt und dann „ausgetauscht“ wurden.

Oder die nach 1918 vertriebene Elsässerin mit deutschen Wurzeln, Marie Hart, deren Dialektschilderungen „Üs dr Franzoseziit“ mit viel Mutterwitz die ganze Empfindungsskala ihrer zwischen den Fronten gebeutelten Landsleute auslotet. Das Buch wurde jüngst neu aufgelegt.

Vier Kategorien von deutschstämmigen Elsässern und „Altdeutschen“

Dass es damals vier Kategorien von deutschstämmigen Elsässern und dortigen „Altdeutschen“ gab (letztere meist zugezogene Beamte) und sie von den Franzosen je nach zugehöriger Kaste auch mit unterschiedlichen Pässen versehen wurden, war für die meisten Besucher des literarischen Abends neu.

Zum grauenhaften Gemetzel am Hartmannsweilerkopf zitierte Kittel Aufzeichnungen des dort als Kriegsberichterstatter eingesetzten Münchner Literatur-Dozenten Arthur Kutscher, zu dessen Studenten später auch Bertold Brecht gehörte.

Verlogenen Verlautbarungen der Reichswehr kurz vor Kriegsende, als die Kämpfe noch einmal heftig aufflammten, stellte er die Schilderungen Alfred Döblins zu den anarchischen Straßburger Zuständen gegenüber, nachzulesen in den dokumentarischen Aufzeichnungen „November 1918“.

Dem 22. jenes Monats widmete auch René Schickele einen erschütternden Text, der ebenfalls zitiert wurde. Desgleichen eine Anzeige in den „Basler Nachrichten“ von 1922 mit der Offerte einer bequemen Bahnfahrt zu den Schlachtfeldern im Elsass für wohlfeile 117 Schweizer Franken. „Reklamefahrten zur Hölle“ charakterisierte Karl Kraus etwa gleichzeitig diese Art Vergnügungs-reisen.

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