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Lörrach Zivilcourage ist gefragt

Gabriele Hauger

Interview mit Redakteur Ronen Steinke über das jüdische Leben in Deutschland / Online-Lesung heute

Lörrach -  Jüdische Schulen müssen bewacht werden, jüdischer Gottesdienst findet unter Polizeischutz statt, Bedrohungen sind alltäglich.   Der jüdische Autor Ronen Steinke  ist durch Deutschland gereist und erzählt von jüdischem Leben im Belagerungszustand.   Viel muss sich ändern in Deutschland, lautet die These seines neuen Buches. Gabriele Hauger unterhielt sich mit dem Autor, der  heute  im Livestream im Rahmen der Wochen gegen Rassismus spricht.

In Lörrach wurde  2008 eine Synagoge erbaut,  zentrumsnah, als  offenes Haus konzipiert. Nun wurde entschieden, die Synagoge  unter anderem mit einem Schutzzaun zu versehen. Ist das künftig der einzig mögliche Weg in Deutschland?

Es ist natürlich traurig, dass so ein Schutz notwendig ist. Noch viel schlimmer wäre es indes, den Schutzzaun trotz Gefahr  nicht zu bauen.  Das Ganze spiegelt das  Dilemma wider:   Man löst kurzfristig die ärgste Not der Bedrohtheit. Aber das langfristige Problem wird dadurch eher noch vertieft: nämlich eine innere Distanz zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Deutschen.

Die jüdische Gemeinde würde sich  nichts mehr wünschen   als eine Synagoge als offenes Haus, in dem man sich begegnet, sich kennenlernt, feiert. Jüdische Gemeinden  würden so gerne  das fröhliche Chanukka-Fest    gemeinsam mit ihrer Nachbarschaft feiern, Krapfen essen. Aber sie werden  dazu verdammt, hinter hohen Mauern und Zäunen  zu darben, und manchmal zwingt sie die Polizei sogar dazu, die Fensterscheiben von außen zu verspiegeln.

Das führt dann dazu, dass die Nachbarn sich denken: Was haben die denn zu verbergen? Es ist tragisch, dass so etwas notwendig ist – und das ist auch keine dauerhafte Lösung.

Sie sind durchs Land  gereist und sprechen von einer Art Belagerungszustand.  Erläutern Sie uns das.

Das, was Sie jetzt in Lörrach erleben, herrscht in vielen anderen deutschen Städten schon lange.  Jüdische  Gebetshäuser, Schulen, Kitas  werden zu einer Art Hochsicherheitszone. Das ist natürlich beklemmend, besonders schrecklich  für die Kinder.    Polizeischutz   hat nämlich rein gar nichts mit Luxus  zu tun, wie uns manchmal unterstellt wird.

Auf meinen Reisen durch Deutschland habe ich allerdings  Unterschiede im Umgang mit dieser Bedrohung gesehen: Manche  jüdischen Gemeinden  werden von ihrer jeweiligen Kommune  unterstützt, manche müssen  alle Sicherheitsmaßnahmen  selbst finanzieren. Letzteres erlebt man häufig in kleineren Städten in nicht so wohlhabenden Gegenden. Das sehe ich als ein politisches Problem.  Schwierig wird es, wenn der Staat vermittelt: Das ist euer Problem, schaut, wie ihr damit klar kommt.

In Ihrem neuen Buch machen Sie  den Staat dafür verantwortlich, zu lange weggeschaut zu haben. Welche Maßnahmen wurden versäumt?

Wenn Juden  antisemitische Beleidigungen anzeigen,  wird ihnen  oft bei Polizei oder Staatsanwaltschaft vermittelt, dass sie selbst Teil des Problems seien: Sie sollen    sich doch nicht so anstellen, nicht so auffällig  herumlaufen. Das ist so ähnlich, wie wenn einem Vergewaltigungsopfer nahegelegt wird, nicht so kurze  Röcke  anzuziehen.  So eine Erfahrung zu machen, ist re-traumatisierend. Wenn man zur Beleidigung vermittelt bekommt, dass der Staat nicht hinter einem steht, brennt sich das ein, spricht sich herum und  schmälert das Vertrauen. Es führt dazu, dass  Betroffene vermehrt schweigen.    80 Prozent antisemitischer Vorfälle werden gar nicht mehr angezeigt.  Viele fürchten, dass sie hinterher vielleicht sogar noch ein größeres Problem haben.   Das schafft einen Raum der Straflosigkeit. Die Täter können sich darüber   freuen.

Woran liegt das? Und was muss nun getan werden?

Das ist offenbar eine Frage der Mentalität der Sicherheitsbehörden. Dort heißt es zu oft,  sie seien in erster Linie  für die Mehrheitsgesellschaft da.  Minderheiten sollen sich erst mal  hinten anstellen, keine Extrawürste einfordern. Das wird zwar nicht offen gesagt, ist aber unausgesprochen oft  die Geschäftsgrundlage. Es müsste aber genau umgekehrt sein: Sie müssten verinnerlichen, dass es keine vornehmere Aufgabe gibt, als  gerade die Schwachen zu schützen.  

Handlungsbedarf besteht  wohl auch an den Schulen. Lörrach ist  keine Brennpunkt-Großstadt. Auf unsere Presseanfrage an die hiesige Gemeinde, ob wir mit jüdischen Schülern ein Interview führen  können, stießen wir dennoch auf große Zurückhaltung,   sich als jüdisch zu outen.  

Das muss einen sehr traurig machen.   Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Es wird schwieriger, komplizierter, wenn man als jüdisch wahrgenommen wird. In den Köpfen der Leute laufen sofort bestimmte Filme ab. Das macht  die Begegnung unentspannter und löst  düstere Assoziationen aus. Da entladen sich zuweilen ganz seltsame Reaktionen.

Ich kann  verstehen, dass man sich das nicht antun möchte und sich sagt: Mein Jüdischsein behalte ich lieber für mich, das ist meine Privatangelegenheit. Wenn  dann aber Juden solche Angebote, in die Öffentlichkeit zu treten, ablehnen,  wird eine Chance verpasst, Stereotypen entgegenzutreten. Entweder: Juden sind immer nur Opfer, das löst dann die bekannten Schwarz-Weiß-Bilder in den Köpfen aus. Oder noch schlimmer:  antisemitische Klischees vom Juden, der geschäftstüchtig und  nur am Geld interessiert ist.

Müssten Lehrer und Polizisten besser geschult werden?

Jude  als Schimpfwort auf den Schulhöfen ist nicht hinnehmbar! Im Fußball gibt es  auch Beispiele, dass Jude als Schimpfwort und Beleidigung gebrüllt wird. Da ist viel aufzuholen, es müsste viel strenger reagiert werden.  Da ist auch die Fankurve gefragt, die müsste zeigen: So etwas finden wir nicht lustig. Du fliegst raus. 

Genau so eine Mentalität muss auch in der Schule  entstehen. Das ist aber nicht nur eine Aufgabe der Lehrer, die es oft gar nicht mitkriegen, sondern der Mitschüler. Da ist Zivilcourage  gefragt:  Auch wenn man selbst nicht betroffen ist, klarzustellen, hey, so einen Bullshit möchte ich hier nicht hören.   Du bist nicht cool, sondern bei mir unten durch, wenn du so etwas sagst. Das aber kostet Mut.  

Weiteres Beispiel: Wenn einer auf einer Party beim Zuprosten sagt: „Auf Ex oder Jude“ –  was leider oft zu hören ist. In so einer  Gruppensituation aufzustehen und zu sagen: „Was ist denn das für ein dummer Spruch!“ Diesen Mut braucht es. Auf diese Solidarität haben Juden – wie alle  anderen auch –  Anspruch.

Viele exkulpieren sich, indem sie behaupten:  Antisemitismus kommt vor allem in Milieus mit Migrationshintergrund vor. Ist da was dran?

Wer  die deutsche Geschichte kennt, der weiß, dass wir den Antisemitismus wahrlich nicht importieren mussten.

In Krisenzeiten  wurden schon immer Juden als Sündenböcke ausgemacht. Corona scheint ein Verstärker uralter  antijüdischer Klischees zu sein.  Das Schlagwort einer „jüdischen Weltverschwörung“ ist wieder im Umlauf.  Macht Sie das im Jahr 2021 nicht fassungslos?

Das zeigt, dass es  nicht damit getan ist, dass wir  über den Holocaust informieren. Sondern, dass wir im Hier und Heute gegen einen Antisemitismus kämpfen müssen, der leider quicklebendig ist. Im Kontext von  Corona kursieren  ja viele skurrile Thesen:  Dass in Wahrheit Geschäftemacher hinter dem Virus stecken oder irgendwelche düsteren Verschwörer.

Aus psychologischer Sicht ist es viel leichter, mit so einer Krise umzugehen, wenn man einen Schuldigen, einen Bösewicht ausgemacht hat, dem  man das alles anlasten kann.   Das trifft oft die Juden. Es funktioniert aber auch mit anderen Gruppen. So hatten es gerade anfangs der Pandemie asiatisch aussehende Menschen oft schwer.

Wenn Sie ihr Jüdischsein thematisieren: Wie reagiert Ihre Umwelt? Herrscht  Unsicherheit, wie mit Ihnen umzugehen ist?

Diskriminierung beginnt dann, wenn das,  was man tut oder sagt, aufgrund der  Herkunft anders bewertet wird. Wenn Leute aufgrund dessen, woher man kommt, zu wissen glauben, was und wie man denkt. Das erleben  Juden und auch ich persönlich häufig.  Auch, aber nicht nur, beim Stichwort Israel, wo einem schnell bestimmte Meinungen unterstellt werden. Als sei die persönliche Meinung, wie immer sie auch aussehen mag, nicht die Folge informierten Nachdenkens, sondern sicher nur Folge des Jüdischseins. Das beleidigt im Grunde die Intelligenz.

Sie sind im Livestream  bei den Wochen gegen Rassismus. Hoffen Sie, mit solchen  Auftritten etwas bewirken zu können?

Das treibt mich auf jeden Fall an. Deshalb habe ich auch das Buch geschrieben. Man sollte es nicht hinnehmen, dass Juden allein gelassen werden – das wurden sie über die Jahrhunderte schon viel zu lange. Man sollte den Mund  aufmachen, sonst ändert sich nie etwas. Gerade die ältere jüdische Generation ist froh über alles, was sie an Unterstützung vom Staat bekommt. Dass man sehr bescheiden Bitte und Danke sagt.

Ich glaube, das ändert sich jetzt bei der jüngeren Generation, zu der ich auch gehöre. Da wächst doch die Einstellung, dass man durchaus auch etwas fordern kann. Wir sind in Deutschland keine Gäste, die froh über Almosen sind, sondern Bürger. Selbstbewusst sollten  wir unsere Ansprüche stellen. Da   bringen solche  Diskussionen und auch Bücher schon etwas. Ich glaube  an die Macht des Wortes  und der politischen Diskussion. Solidarität einfordern und Bündnisse schließen  ist wichtig.

Wird die jüngere jüdische Generation  selbstbewusster?

Die Situation von Juden ist in diesem Land immer prekär. Wir sind eine so kleine Minderheit, die immer wieder von vielen Seiten attackiert wird. In den 70er, 80er Jahren   war das noch viel extremer, die Minderheit noch kleiner, der Völkermord noch näher. Juden hatten wenig Berührung mit der übrigen Gesellschaft.

Die Jüngeren heute sehen sich stärker als  Teil der Gesellschaft, die  auch viel weniger homogen als früher ist. Da gibt es  auch durchaus Konflikte zwischen den Generationen. Wenn ältere  Juden  zu mehr Vorsicht und Zurückhaltung mahnen, trete ich dagegen an. Sich stumm machen lassen, ist   der falsche Weg.

Lesung: Heute  30. März,  19  Uhr:  Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage. Die Lesung wird über den YouTube-Kanal des Werkraums Schöpflin  gestreamt.   Veranstalter sind die  Stadt Lörrach und der  Werkraum Schöpflin

Ronen Steinke ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Seine juristische Doktorarbeit über Kriegsverbrechertribunale von 1945 bis heute wurde   als „Meisterstück“ gelobt. Im Piper Verlag erschien seine Biografie über Fritz Bauer, den mutigen Ermittler und Ankläger der Frankfurter Auschwitz-Prozesse, die mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ 2015 preisgekrönt verfilmt und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Im Berlin Verlag erschien 2017 „Der Muslim und die Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin.“

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