^ Lörrach: Zu Gast in zwei Welten - Lörrach - Verlagshaus Jaumann

Lörrach Zu Gast in zwei Welten

Jörg Müller
Jörg Müller an der ägyptischen Grenze – im Hintergrund ein Wachturm Foto: Jörg Müller

Gastbeitrag, Teil 5: „Israel nach dem 7. Oktober 2023 – Negev: „Immer wieder genieße ich die Natur im Süden Israels. Negev ist der Oberbegriff für die Wüsten im Süden des Landes.

Südlich vom Toten Meer liegt Neot HaKikar direkt an der jordanischen Grenze. Ich melde mich bei Gili, dass ich auf einen Kaffee vorbeikomme und fahre zu Shkedi´s Camplodge. Es wundert mich nicht wirklich, dass alles voll ist und Partystimmung herrscht. In sein Paradies kommen schon immer Israelis, die in der Wüste abschalten und Ferienstimmung genießen wollen.

Im Trikot des SC Haagen

Gili stellt fest, seit Chanukka (Dezember 23) sei alles wie früher. Sie seien hier wie in einer anderen Welt. Wenn es den Fernseher nicht gebe, würden sie gar nicht mitbekommen, was um sie herum alles geschehe. Den Krieg spüre man hier gar nicht. Außerdem bringen solche Zeiten auch Gutes mit sich. Oft seien es die schweren Zeiten, in denen wieder eine positive Erneuerung in der Gesellschaft und im Zusammenleben entstehen würde.

Gili von Shkedi´s Camplodge in Neot HaKikar Foto: Jörg Müller

Abends werde ich in Be‘er Sheva bereits erwartet. Marianne und Yair freuen sich, mich kennenzulernen. Ihr Sohn Shai, der jetzt in Jerusalem studiert, habe immer gerne beim SC Haagen gespielt. Dass der Sportclub Haagen eine Eintrittskarte in Israel sein könnte, hatte für mich an sich bereits etwas Komisches, aber am nächsten Morgen sollten noch weitere Höhepunkte folgen. Zuerst erhalte ich nach dem Frühstück ein Familienalbum zur Ansicht. Auf einem Bild Shai mit Tobias und Raja im Trikot des SC Haagen. Nach ungläubigem Erstaunen folgt ein Kurzvideo, das Shai auf dem Anhänger bei der Christbaumsammlung in Lörrach zeigt. Welch kleine Welt.

Mit Marianne und Yair in Be’er Sheva Foto: Jörg Müller

An der Grenze

Kurz nach Mittag mache ich mich von Be‘er Sheva aus auf den Weg Richtung ägyptischer Grenze. Beim Grenzübergang Nitzana fahre ich über den Weg, der Armeefahrzeugen vorbehalten ist. Die kurze Strecke nach Kadesh Barnea ist allerdings offen und man fährt auf ihr direkt an der Grenze entlang. Das heißt: drei Meter neben dem ersten Grenzzaun.

Von Avishai, seiner holländischen Frau Jolanda und den Töchtern Natali und Mor‘El werde ich herzlich begrüßt. Wir lernten uns 2007 kennen, als sudanesische Flüchtlinge über die ägyptische Grenze nach Israel kamen. 48 von ihnen beherbergte die Familie wochenlang auf ihrem Grundstück. Ich brachte später sogar eine Reisegruppe mit 20 Personen vorbei und wir erlebten mit über 70 bunt gemischten Menschen aus mindestens sieben Nationen eine unvergessliche Zeit in der Wüste.

Ein Bild aus dem Familienalbum mit Tobias, Raja und Shai vom SC Haagen Foto: zVg

Die siebenköpfige Familie hat 2016 auch fünf Wochen in unserem Haus in Lörrach verbracht. Erinnerungen, an die damals noch jüngeren Kinder, wie sie bei Schaffhausen staunend das sprudelnde Wasser des Rheinfalls sahen, sind auch heute noch sehr lebendig.

Die Realität

Aber jetzt ist die Realität eine andere. Natali ist bei Eilat stationiert. Aviv wurde in den Süden verlegt, während Lior und Idan gerade aus ihrem Reservedienst nahe Gaza entlassen wurden.

Jörg Müller mit (von links nach rechts) Avishai, Jolanda, Mor’El und Natali in Kadesh Barnea Foto: zVg

Zav Shmone (Marschbefehl 8) ist eine Order, bei der die Armee im Kriegsfall Menschen verpflichten oder Autos beschlagnahmen kann. Dass aus der uns so nahe stehenden Familie der Vater und vier seiner Kinder an unterschiedlichen Fronten im Einsatz sind, lässt den Krieg für mich von Beginn an sehr persönlich werden. Meine Sorge darüber, dass alle wieder heil nach Hause kommen, lässt mich nur erahnen, wie es den Familienangehörigen selbst damit gehen muss.

Ich bleibe einige Stunden und höre, dass etliche Freunde und Bekannte der Familie umgebracht oder verletzt wurden und die Anzahl der Beerdigungen sowie die Schicksale der Hinterbliebenen fast nicht zu ertragen seien. Aber es gibt auch viele fröhliche Momente, in denen wir lachen und gemeinsame Erinnerungen austauschen.

Der Autor

Jörg Müller
(53) engagiert sich als Vorsitzender des Vereins Emahti aktiv in der Prävention von Antisemitismus. Über zwei Jahrzehnte hinweg organisierte er schon über 30 Gruppenreisen nach Israel und brachte die Teilnehmer mit Holocaustüberlebenden und deren Angehörigen zusammen. Viele Juden, Araber und Palästinenser haben ihn bereits in Lörrach besucht.

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