Lörrach Zweifel an der Gerechtigkeit der Justiz

Regine Ounas-Kräusel
Ronen Steinke (l.) diskutierte mit dem früheren Landesjustizminister Rainer Stickelberger (r.) und dem Direktor des Amtsgerichts Frank Müller Foto: Regine Ounas-Kräusel

„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ So steht es im Grundgesetz. Aber ist das die Realität? Ronen Steinke, Jurist, Journalist und Autor sagt: Nein.

Am Freitag diskutierte er mit Rainer Stickelberger, früherer Justizminister in Baden-Württemberg, und mit Frank Müller, Direktor des Amtsgerichtes Lörrach. Das Podium fand auf Einladung der Stadt und der Volkshochschule im Alten Rathaus statt. Moderiert wurde der Abend von Markus Brock, Journalist bei SWR und 3sat.

Mit Demenz ins Gefängnis

Steinke – Autor des Buches „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ – schilderte, wie es im Gerichtsalltag zu härteren Strafen und häufigeren Gefängnisaufenthalten von armen, obdachlosen, prekär lebenden Menschen kommt.

Bei kleineren Straftaten wie Ladendiebstahl oder Trunkenheitsfahrten schicken die Gerichte meistens Strafbefehle mit einer Geldstrafe. Steinke nannte ein Beispiel aus Berlin: Dort sitzen demenzkranke Menschen im Gefängnis. In der U-Bahn würden sie in Panik oft Alarm auslösen, was ja verboten sei. Der Sicherheitsdienst übergebe sie der Polizei und das Gericht schicke schließlich einen Strafbefehl. Da die Kranken diesen Brief nicht öffnen oder nicht verstehen, würden sie ihre Strafe nicht zahlen und müssten eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. All das, weil niemand mit ihnen rede.

„Kaputtgesparte Justiz“

Steinke forderte auch, dass niemand wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis muss. Er schlug vor, den öffentlichen Nahverkehr stattdessen aus Steuern zu finanzieren.

Laut Steinke müssen benachteiligte Menschen häufiger in Untersuchungshaft als Menschen mit sicherem Job, Familie und festem Wohnsitz: wegen Fluchtgefahr. Wer genügend Geld habe, könne sich dagegen mit einer Kaution von der U-Haft freikaufen. Ein Unternehmen dürfe ganz legal die Geldstrafe für einen straffälligen Manager übernehmen – so geschehen beim Abgasskandal von VW, so Steinke.

Steinke warb dafür, dass arme Menschen einen Pflichtverteidiger bekommen. In Deutschland stehe diesen Menschen nur bei schweren Delikten wie Mord ein Pflichtverteidiger zu. Steinke fragte zudem, ob eine „kaputtgesparte Justiz“ denn Personal und Zeit habe, um fair zu urteilen.

Demenzkranke Menschen gehörten nicht ins Gefängnis, pflichtete ihm Frank Müller im Rahmen der Diskussion bei. Das Gefängnis müsse ihre Haftfähigkeit prüfen. Ein Verteidiger präpariere einen Angeklagten oft so, dass er nicht bestraft werden könne, merkte Müller an, korrigierte sich aber sofort: Das Recht auf einen Pflichtverteidiger sei wichtig. Müller wünschte sich gut ausgestattete Gerichte, bei denen eine Künstliche Intelligenz alles Formale erledige und Zeit für die Menschen im Gerichtssaal eröffne.

Stickelberger kritisierte, Steinke schildere in seinem Buch lediglich problematische Einzelfälle. In Baden-Württembergs Gefängnissen säßen keine demenzkranken Menschen ein. In Berlin gebe es eben mehr Armut, so Steinke: Für sein Buch habe er sämtliche Strafrechtsstatistiken ausgewertet.

Es fehlt die Lobby

Auch Stickelberger warb für eine gut ausgestattete Justiz. Da diese aber keine Lobby in der Bevölkerung habe, sei es schwierig, Geld dafür locker zu machen.

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