Lörrach Zwischen Panik und neuer Ordnung

Die Oberbadische
Beklemmend, eindrücklich und realitätsnah: „Blind“ ist spannungsgeladen. Foto: Ursula König Foto: Die Oberbadische

Theater: Das Jugendtheater von Tempus fugit inszeniert „Blind“

Von Ursula König

Lörrach. Was ist normal? Dieser Frage geht das neue Stück des Theaters Tempus fugit nach, das am Freitag Premiere feierte. „Blind“ unter der Regie von Karin Maßen greift Elemente des Romans „Die Stadt der Blinden“ von José Saramago auf. Das Jugendtheater Lörrach gestaltet daraus ein eigenes Stück: beklemmend und bedrohlich nahe an einer Wirklichkeit, die jederzeit möglich wäre.

Voraussetzung dafür wäre das plötzliche Ausbrechen einer unbekannten Seuche und der Versuch, die Ausbreitung zu verhindern. „Blind“ ist kontrastreich inszeniert: Laut und leise; hell und dunkel wechseln sich oft ohne Übergang ab. Mehr Raum nehmen aber die Darstellungen der Individuen und der Gruppenprozesse ein. Viele Szenen zeigen, wie dünn die Decke der Zivilisation ist. Dabei geht es nicht nur um blanken Egoismus.

„Ich konnte gut...Ich konnte nicht gut...“. Die Gruppe junger Menschen, die sich zu Beginn im Publikum verteilt, skandiert Sätze, die sich auf die Vergangenheit beziehen. Denn während eines Festivalbesuches ändert sich ihr Leben. Am Ende der Wortkaskaden steht vielstimmig ein einziger Satz: „Ich kann nicht sehen“. Spielt es eine Rolle, welcher Art die Blindheit ist? „Ich bin weißblind“, stellt ein Betroffener fest. Bald wird deutlich, dass jeder angesteckt wird, der mit den Erkrankten in Kontakt kommt.

In Rückblenden wird die Vorfreude der Jugendlichen spürbar, die Reaktionen der Eltern und der Moment, in dem erlebt wird, dass etwas Unfassbares passiert. Medien reagieren zunehmend ratlos. Politiker versichern, dass alles unter Kontrolle sei, während Polizei und Militär das Festivalgelände abschirmen. Menschen in der Stadt werden dazu aufgefordert, Verdachtsfälle zu melden.

Und im Quarantänebereich? Dort entsteht unter den Betroffenen eine neue Struktur; genährt aus Panik und dem Wunsch zu überleben. Rangordnungen beginnen sich zu festigen, doch es geht um mehr, als um das Recht der Stärkeren. Widersprüchliche Gefühle bahnen sich einen Weg, während die Darsteller auf dem Boden kriechen und zwischen den Tribünenplätzen verschwinden. Eine Auflösung der Situation wird nicht angeboten.

Vielmehr starten die Protagonisten den Versuch, ihre Situation in Relation zu dem zu setzen, was ihre Welt war: „Sehen ist vielleicht nur eine andere Art des Blindseins“, könnte so zu einem Durchhaltespruch werden. Das Quarantänelager weckt Bilder von anderen Lagern, in denen ohnmächtige Menschen Verantwortlichen mit Macht ausgeliefert waren. So wirkt ein Satz am Ende nahezu unversöhnlich: „Die Ohnmacht der Mitwissenden nimmt mit der Menge der Informationen zu.“

„Blind“ ist ein spannend inszeniertes Stück mit Tiefgang, in dem die Schattenseiten des Menschseins nicht im Dunkeln bleiben. Eindrücklich sind auch die musikalische Akzente von Benedikt Reising, der seine Kompositionen einer Atmosphäre zwischen Chaos und einer neuen Ordnung anpasst.

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